NFM Band 150, Heft 7-9 2020
Übernutzung von Grundwasserressourcen für gehandelte landwirtschaftliche Produkte. Ländernamen in Fettdruck kennzeichnen die zehn größten Importeure, unterstrichene Namen die zehn größten Exportnationen (nach Dalin et al. 2017).

Essen wir unsere Zukunft auf?

Reis aus Pakistan, Bohnen aus Kenia, Soja aus Brasilien, Steaks aus Argentinien – wenn es um die Herkunft vieler landwirtschaftlicher Produkte geht, bedienen sich deutsche Verbraucher*innen häufig international.


Der Anbau von Nahrungsmitteln geht weltweit mit einer ganzen Reihe von Umweltveränderungen einher; oftmals weit weg und damit „aus den Augen“ der Konsument*innen. So werden beispielsweise wertvolle Naturwälder gerodet, um Platz für Anbauflächen zu schaffen, oder Wasser aus fragilen Ökosystemen wird zur Bewässerung eingesetzt.

In unserer Arbeitsgruppe beschäftigen wir uns damit, solche Umweltauswirkungen des Konsums land- und forstwirtschaftlicher Produkte zu erfassen und greifbar zu machen. In Zeiten globalisierter Lieferketten – oft mit mehreren Stationen in verschiedenen Ländern – stellt dies nicht zuletzt eine methodische Herausforderung dar. So ist die Entwicklung innovativer methodischer Ansätze in unserer Arbeit zentral: Wie lassen sich existierende Daten kombinieren, um daraus belastbare Kennzahlen abzuleiten? Wie können diese als Grundlage für die Bewertung negativer Auswirkungen und für die Formulierung von Optionen zu deren Reduktion dienen? Die entwickelten Methoden wenden wir auf globale, zunehmend aber auch spezifische Fragestellungen an. Diese Fragen reichen von Untersuchungen zu Land- und Ressourcennutzung bis hin zu deren Auswirkungen auf ökologische und soziale Systeme. Im Folgenden fassen wir die Ergebnisse einiger unserer Studien in diesem Forschungsfeld zusammen.

NFM Band 150, Heft 7-9 2020
Durchschnittlicher Pro-Kopf-Acklerflächenfußabruck in Deutschland (in m2 pro Kopf/Jahr). Links sind die Flächen im Inland dargestellt, rechts Flächen, die außerhalb Deutschlands liegen. Die Flächen sind in Nutzung für pflanzliche Nahrung, Futtermittel und andere Nutzungen (Energie, Material) unterteilt (Grafik nach Kastner et al. 2014).

Globale Netzwerke

Wir sind durch unsere Arbeit in der Lage, die Komplexität der globalen Handelsströme aufzuzeigen und zu quantifizieren, in welchem Umfang unser Konsum auf Flächen anderswo beruht. Auf der Grundlage statistischer Daten und Modellüberlegungen konnten wir nachzeichnen, wo landwirtschaftliche Produkte, die zum Beispiel in Deutschland konsumiert werden, angebaut worden sind. Im Rahmen von Kooperationen über Länder- und Disziplinengrenzen hinweg haben wir in den letzten Jahren untersucht, wo und in welchem Umfang Konsum und Handel landwirtschaftlicher Produkte zu tropischer Entwaldung (Pendrill et al. 2019), zum Verlust von Artenvielfalt (Chaudhary & Kastner 2016; Marques et al. 2019) und zur Übernutzung von Grundwasserressourcen beitragen (Dalin et al. 2017).

Generell zeigen die Studien, dass globale Versorgungsnetzwerke äußerst komplex sind. Ein beachtlicher, über die letzten Jahrzehnte stetig angestiegener Teil der Produktion ist für den Export bestimmt. Damit werden auch die Umweltauswirkungen bzw. -beeinträchtigungen aus den Konsum- in die Erzeugerländer verlagert.

Diese fortschreitende Globalisierung der Landnutzung hat durchaus Vorteile. So lassen sich etwa bei Missernten Versorgungsengpässe durch Importe aus anderen Ländern abmildern und eigene wertvolle natürliche Ressourcen vor Ort schonen. Der Import bewässerungsintensiver Produkte durch Länder, in denen trockenes Klima vorherrscht, kann hier als Beispiel dienen. Andererseits – so konnten wir zeigen – kommen solche Importe zu einem hohen Anteil aus Regionen, in denen die Produktion mit einer Übernutzung von Grundwasservorkommen einhergeht. Dauert diese an, werden damit auch Versorgungsrisiken globalisiert (Dalin et al. 2017). Unsere Studien belegen auch, dass die Europäische Union einen relativ großen ökologischen Fußabdruck in anderen Weltregionen hinterlässt (s. Abb. unten). Hier herrscht eine starke Diskrepanz zwischen lokal relativ strenger Umweltgesetzgebung und den globalen Folgen unseres Konsums. Die Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, die Verantwortung unter globalen Gesichtspunkten zu betrachten – wie auch die Umweltprobleme selbst (z. B. tropische Entwaldung und die Biodiversitätskrise in tropischen Ökosystemen). Ihre Eindämmung kann nur über gemeinsame Anstrengungen von Akteur*innen entlang der Versorgungsketten (Produzent–Handel–Gesetzgebung–Konsument) erfolgen.

NFM Band 150, Heft 7-9 2020
Auswirkungen landwirtschaftlicher Produktion bei der Übernutzung von Grundwasserressourcen weltweit 2010. Die Größe der Kreise verdeutlicht das Gesamtvolumen der Übernutzung in km³, die farbigen Teile veranschaulichen die Anteile e inzelner Produkte/Produktgruppen. Die darunterliegende Karte zeigt einen Grundwasserstress-­Index. In den rot markierten Gebieten wird mehr Wasser aus den Grundwasserleitern entnommen, als sich natürlich regeneriert (Grafik nach Dalin et. al 2017).

Ernährung als zentrale Stellschraube

Noch eine Erkenntnis: Die Ernährung ist die zentrale Stellschraube für unseren Flächenfußabdruck. Was wir essen, woher unsere Nahrungsmittel kommen und wie sie produziert werden, hat großen Einfluss auf die Größe der Anbaufläche und die Umweltauswirkungen. Das Balkendiagramm oben zeigt, dass um 90 Prozent des Ackerflächenfußabdrucks eines*einer durchschnittlichen Bundesbürgers*in der Ernährung dient. Auf mehr als der Hälfte dieser Flächen werden Futtermittel angebaut, was die negativen Auswirkungen unseres Konsums unterstreicht. Deutlich zu sehen: die globale Dimension der Ressourcennutzung westlicher Länder – über 50 Prozent des Ackerflächenfußabdrucks liegen außerhalb der Landesgrenzen.

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Einfluss des Handels mit land- und forstwirtschaftlichen Produkten auf die Biodiversität von Vogelarten Umweltbeeinträchtigungen stehen oft mit dem Konsum von Handelswaren in anderen Weltregionen in Zusammenhang. Die Ergebnisse der Modellierungen zeigen, dass die Importländer land- und forstwirtschaftlicher Produkte (rechte Seite) für Aussterbeereignisse von Vogelarten in den Erzeugerländern (linke Seite) verantwortlich sind, wobei die Breite der Kurven bzw. die Höhe der Balken (linke Seite) das Ausmaß des Rückgangs beschreibt. Bei uns in Westeuropa sind nur wenige Aussterbereignisse zu erwarten, doch unser Konsum ist mit einem Artensterben in Zentral- und Südamerika, Afrika und Asien verknüpft. Insgesamt war im Jahr 2011 ein Viertel der global vorhergesagten Aussterbeereignisse (ca. 30 von ca. 120) global gehandelten Produkte anzulasten (Grafik nach Marques et al. 2019).

Tomaten in Deutschland

Welche konkreten Auswirkungen unser Konsumverhalten auf anderen Ländern hat, lässt sich anhand der Ergebnisse unserer produktspezifischen Analysen illustrieren. So haben wir uns in einer Studie einem Produkt gewidmet, das nicht aus Übersee kommt: der Tomate (Ibarrola-Rivas et al. 2020). Allerdings ist auch hier die heimische Produktion wenig relevant – über 95 Prozent der bei uns konsumierten Tomaten stammen aus Importen. Dabei nahm der Pro-Kopf-Konsum in den letzten Jahren stetig zu.

Wir wollten nun genauer beleuchten, wie die Tomaten produziert werden und welche Unterschiede es macht, woher die Tomate kommt, die wir im Supermarkt kaufen. Dabei fokussierten wir uns auf zwei Herkunftsländer, aus denen das Gros der Importe stammt: Spanien und die Niederlande. In beiden Ländern ist die Tomatenproduktion stark lokal konzentriert, in Spanien auf den Süden des Landes um Almería und in den Niederlanden südlich von Den Haag. Für beide Systeme spielt der Landverbrauch eine untergeordnete Rolle, wobei das Landschaftsbild lokal stark durch Gewächshäuser geprägt ist.

Beide Länder haben mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen. In den Niederlanden müssen die Gewächshäuser beheizt werden, um die Versorgung ganzjährig gewährleisten zu können. Dies bedingt den großen CO2-Fußabdruck niederländischer Tomaten. Heizen ist in Spanien nicht notwendig, die Klimafolgen pro Tomate geringer. Hingegen werden im Süden Spaniens knappe Wasserressourcen für die Bewässerung der Gewächshausanlagen eingesetzt – mit negativen Auswirkungen für die Ökosysteme und Biodiversität vor Ort.

Neben den Umweltauswirkungen hat der Tomatenanbau auch eine soziale Dimension. Er ist arbeitsintensiv und beide Systeme sind auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. In den Niederlanden kommen sie vor allem aus Osteuropa, in Spanien aus Westafrika. Beide Gruppen haben mit schlechten Arbeitsbedingungen zu kämpfen. In der Corona-Krise griffen die Medien – anders als sonst – die Bedeutung dieser Arbeitskräfte für unsere Versorgung auf. Auch hier zeigen sich die wechselseitigen Abhängigkeiten unseres globalisierten Ernährungssystems.

Die hier aufgeführten Studien behandeln, für sich genommen, nur einige der Puzzleteile eines globalen Verständnisses über die Auswirkungen des Konsums land- und forstwirtschaftlicher Produkte. Sie verdeutlichen allerdings, wie vielschichtig die Thematik ist, und dass es keine einfachen Lösungen gibt. Denn auch die Nahrungsproduktion in Deutschland ist nicht zwangsläufig nachhaltig, auch wir erzeugen nur einen geringen Teil der Produkte so, dass Böden, Biodiversität, Wasser und Klima geschont werden. Um deren Anteil zu erhöhen, müssen die Akteure über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten. Es gilt, die Vorteile globalisierter Lieferketten zu nutzen und auszubauen, dabei jedoch die negativen Auswirkungen zu minimieren und somit nachhaltigere Versorgungssysteme zu etablieren.

Für uns als Konsument*innen kann es ein wichtiger Schritt sein, beim Einkauf Neugierde zu entwickeln, was und wer am anderen Ende der Lieferkette steht – um uns bewusst zu machen, welche Auswirkungen die Produktion unserer Nahrungsmittel auf die Ökosysteme am Herkunftsort haben kann.

Literatur

Chaudhary, A., Kastner, T. (2016): Land use biodiversity impacts embodied in international food trade. – Global Environmental Change 38, 195–204. https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2016.03.013

Dalin, C., Wada, Y., Kastner, T., Puma, M. J. (2017). Groundwater depletion embedded in international food trade – Nature 543, 700–704. https://doi.org/10.1038/ nature21403

Ibarrola- Rivas, M.-J., Castro, A. J., Kastner, T., Nonhebel, S., Turkelboom, F. (2020). Telecoupling through tomato trade: what consumers do not know about the tomato on their plate – Global Sustainability 3. https://doi.org/10.1017/sus. 2020.4

Kastner, T., Erb, K.-H., Haberl, H. (2014). Rapid growth in agricultural trade: effects on global area efficiency and the role of management – Environ. Res. Lett. 9, 034015. https://doi.org/ 10.1088/1748-9326/ 9/3/034015

Koellner, T., Bonn, A., Arnhold, S., Bagstad, K. J., Fridman, D., Guerra, C. A., Kastner, T., Kissinger, M., Kleemann, J., Kuhlicke, C., Liu, J., López-Hoffman, L., Marques, A., Martín-López, B., Schulp, C. J. E., Wolff, S., Schröter, M. (2019). Guidance for assessing interregional ecosystem service flows – Ecological Indicators 105, 92–106. https://doi.org/10.1016/j.ecolind.2019.04.046

Marques, A., Martins, I. S., Kastner, T., Plutzar, C., Theurl, M. C., Eisenmenger, N., Huijbregts, M. A. J., Wood, R., Stadler, K., Bruckner, M., Canelas, J., Hilbers, J. P., Tukker, A., Erb, K., Pereira, H. M. (2019). Increasing impacts of land use on biodiversity and carbon sequestration driven by population and economic growth – Nature Ecology & Evolution. https://doi.org/10.1038/s41559-019-0824-3

Pendrill, F., Persson, U. M., Godar, J., Kastner, T. (2019). Deforestation displaced: trade in forest-risk commodities and the prospects for a global forest transition – Environ. Res. Lett. 14, 055003. https://doi.org/10.1088/1748-9326/ab0d41

Torrellas, M., Antón, A., López, J. C., Baeza, E. J., Parra, J. P., Muñoz, P., Montero, J. I. (2012). LCA of a tomato crop in a multi-tunnel greenhouse in Almeria. – Int. J. Life Cycle Assess. 17, 863–875. https://doi.org/10.1007/s11367-012-0409-8

Die Autor*innen

Portrait
Dr. Thomas Kastner ist Nachwuchsgruppenleiter am Senckenberg BiK-F. Er studierte in Wien Soziale Ökologie und
promovierte in Groningen in Umweltsystemwissenschaften. Sein Forschungsinteresse gilt der Untersuchung globaler Konsummuster und ihres Einflusses auf Landnutzung, Ökosysteme, Klima und Biodiversität.
Portrait
Dr. Julia Krohmer studierte Romanistik an der Pariser Sorbonne Nouvelle und Geoökologie an der Universität Bayreuth. 2008 wechselten sie von der Goethe- Universität Frankfurt in die Transferstelle des Senckenberg BiK-F. Seit 2015 ist sie im Stab Wissenschaftskoordination unter anderem für Transfer zuständig.
Portrait
Dr. Florian Schwarzmüller studierte Ökologie an der Universität Göttingen. Seit Mai 2019 arbeitet er als Postdoc am Senckenberg BiK-F und beschäftigt sich dort mit Konsum- und Handelsmustern, deren Auswirkungen auf globale Landnutzung und den sich ergebenden Konsequenzen auf Biodiversität und Ökosystemfunktionen.

Kontakt

Dr. Thomas Kastner, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung,
Senckenberganlage 25, D-60325 Frankfurt a. M., thomas.kastner@senckenberg.de