Senckenberg-Themen

Wolfsmonitoring bei Senckenberg

Interview mit Dr. Carsten Nowak


Seit rund 20 Jahren gibt es wieder Wölfe in Deutschland. Das sorgt bis heute für Kontroversen in Politik und Medien. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung wurde als Referenzzentrum für Wolfs- und Luchsmonitoring in Deutschland unter vielen weiteren Institutionen ausgewählt und untersucht seit 2010 in ihren Laboren alle bundesweit anfallenden genetischen Proben. 

Wissenschaftler Dr. Casten Nowak spricht mit Senckenberg Onlineredakteur Adrian Giacomelli über das Vorgehen bei den genetischen Untersuchungen, Hybriden zwischen Wolf und Hund und welche Gerüchte rund um das Thema Wolf naturwissenschaftlich widerlegt werden können. 

Wie kam es denn, dass Senckenberg bundesweit die Untersuchungen im Rahmen des Wolfsmonitorings macht?

Als man erkannt hat, dass es im Wolfsmonitoring genetische Begleituntersuchungen braucht, wurden zahlreiche Labore in Deutschland angeschrieben, um die Eignung der Labore für das Wolfs- und Luchsmonitoring abzufragen. Darauf haben wir als Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung geantwortet und uns beworben. Einige Monate später wurde dann bei der Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz, einem Gremium der Umweltministerkonferenz entschieden, Senckenberg als bundesweites Referenzzentrum zu nutzen. Seit Anfang 2010 werden von Senckenberg dementsprechend bundesweit alle anfallenden genetischen Untersuchungen vorgenommen, sowohl vom Wolf, als auch vom Luchs.

Das heißt, der Bund hat entschieden: „Senckenberg soll unser Labor sein“?

Die Bundesländer haben dies auf Vorschlag des Bundesamts für Naturschutz gemeinsam entschieden.

Wie viel verdient Senckenberg denn an diesen Proben?

Wir verlangen im Schnitt etwa €150 pro Probe, davon werden die Mitarbeiter sowie die Laborkosten getragen. Bei den meisten Proben handelt es sich um Umweltproben, die wie forensisches Probenmaterial mit großer Vorsicht und Sorgsamkeit untersucht werden müssen. Jede Analyse wird mehrfach wiederholt, um das Ergebnis statistisch abzusichern, was den Aufwand und die Kosten stark erhöht. Wir verdienen am Ende nichts an den Proben, weil wir als Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung gar nichts verdienen dürfen. Wir sind keine Firma, die Umsatz machen muss, um Geld zu verdienen. Wir erforschen die Natur und arbeiten nicht gewinnorientiert. Überschüssige Mittel, die nach Abzug der Personal- und Sachkosten übrig bleiben, werden in die Forschung investiert, um beispielsweise Methoden zu verbessern oder Doktorarbeiten zu finanzieren, die die erhobenen Daten zu wissenschaftlichen Zwecken verwenden. So erfahren wir durch das genetische Monitoring letztlich mehr über die Wölfe als nur ihr aktuelles Vorkommen und die Verwandtschaftsverhältnisse.

Wie geht die Probenentnahme vonstatten? Angenommen irgendwo wird ein Schaf von einem Wolf gerissen, fahrt ihr dann persönlich hin und sucht dort nach DNA-Spuren?

Nein, wir nehmen selbst keine Proben. Die Probennahme, wie auch das gesamte Wolfsmonitoring, obliegt der Verantwortung der jeweiligen Länderbehörden. Diese nehmen die Proben und schicken sie uns per Post zu. Fachbehörden und Probennehmer sind entsprechend geschult.

Es sind also sehr viele Menschen involviert, bevor die Probe zu Senckenberg kommt, oder?

Eine Rissuntersuchung ist ein recht komplexes Verfahren. Erst muss eine für das Monitoring verantwortliche Stelle über den Vorfall informiert werden, dann muss eine geschulte Person möglichst rasch vor Ort die Situation begutachten, alles genau protokollieren, Fotos machen und Proben nehmen, dies wird dann der zuständigen Fachbehörde zugeschickt, wo der Fall begutachtet und über eine Einsendung von DNA-Proben entschieden wird. Diese kommt dann auf dem Postweg zu uns, dann sind meist schon einige Tage, manchmal sogar einige Wochen vergangen.
 
Und was geschieht dann bei Senckenberg?

Bei uns kümmert sich eine Person um das Auftrags- und Probenmanagement und hält gegebenenfalls Rücksprache mit der Fachbehörde, bevor die Probe im Labor von einer Labormitarbeiterin untersucht wird: DNA wird isoliert, verschiedene DNA-Fragmente werden in chemischer Lösung vervielfältigt abgelesen. Die Daten werden dann von einem weiteren Mitarbeiter ausgewertet: DNA-Sequenzen kontrolliert und gegebenenfalls korrigiert und aus den mehrfach wiederholten Ergebnissen ein genetischer Fingerabdruck für die Probe erstellt, der dann mit den DNA-Profilen aus unserer DNA-Datenbank abgeglichen wird. Das Ergebnis wird schließlich an die Fachstelle übermittelt, die anhand des genetischen Ergebnisses sowie der Befunde des Rissprotokolls samt fotografischer Rissdokumentation einen Gesamtbefund erstellt.
 
Wie läuft diese genetische Untersuchung ab? Was genau passiert dabei und wie kann man unterscheiden, ob es sich um einen Wolf, einen Hund oder einen Hybriden handelt?

Es gibt unterschiedliche Verfahren, je nach Fragestellung und Eignung der Probe. Die Grundlage des Wolfsmonitorings ist ein genetischer Fingerabdruck mithilfe sogenannter Mikrosatelliten-Marker. Dieses Verfahren wird auch routinemäßig beim Menschen, zum Beispiel in der Rechtsmedizin angewandt. Dabei werden gezielt mehrere Stellen im Wolfsgenom sichtbar gemacht, an denen sich verschiedene Individuen voneinander unterscheiden. Anhand der Ähnlichkeiten und Unterschiede an diesen Stellen werden dann Verwandtschaftsbeziehungen gemessen und Herkunftspopulationen bestimmt.
Auch Wolf und Hund lassen sich durch dieses Verfahren voneinander trennen, wobei hier Vorsicht geboten ist: Da Hunde genetisch auch nur eine von vielen Wolfspopulationen darstellen, muss man immer genau darauf achten, gegen welches Referenzmaterial man seine Proben dann über Ähnlichkeitsvergleiche testet. Vergleiche ich etwa einen Wolf aus Deutschland gegen Referenzproben von Haushunden und Wölfen aus z.B. Russland, wird die Ähnlichkeit zu beiden Gruppen möglicherweise etwa ähnlich hoch oder eben gering ausfallen. So erhält man dann leicht vermeintliche Hybriden, also Mischlinge aus Hund und Wolf.

Die Unterscheidung von Hund und Wolf ist demnach schwerer als dies bei “normalen”Arten der Fall wäre, bei Wolf und Fuchs?

Das ist richtig, man benötigt viel Erfahrung und die geeigneten Analyseverfahren.  Mittlerweile gibt es Verfahren, die deutlich hochauflösender und besser geeignet sind, um Wölfe und Hunde voneinander zu trennen. Es werden inzwischen immer mehr komplexe Verfahren aus der Genomforschung genutzt, bei denen große Teile des kompletten Genoms analysiert werden. Wir haben auf Basis solcher Daten zusammen mit einem internationalen Konsortium knapp hundert solcher Stellen im Genom identifiziert, an denen sich Wölfe von Hunden allgemein unterscheiden, unabhängig von ihrer Herkunftsregion.  Diese untersuchen wir dann, wenn der Verdacht auf Hybridisierung besteht. Mithilfe dieses Markersystems kann Hybridisierung bis in die dritte oder sogar vierte Nachfolgegeneration festgestellt werden.
 
Es kursiert die Annahme, dass die ersten Wölfe, die nach Deutschland gekommen sind, Hybride waren. Hätte es sich im Genom durchgeschlagen, wenn der erste Wolf, der über die Grenze kam, ein Hybrid gewesen wäre? 

Wir würden es mit den genannten Methoden erkennen, wenn in Deutschland Nachkommen von Hybriden und Wölfen leben würden oder wenn bereits die ersten Wölfe, die einst aus Polen nach Sachsen einwanderten, bereits Hybriden waren. Es kam ja auch gleich zu Beginn der Wiederbesiedlung zur Hybridisierung: In Sachsen paarte sich im Jahre 2003 eine Wölfin mit einem Schäferhund, zwei der Hybridnachkommen wurden gefangen und in ein Gehege verbracht, von den anderen verlor sich im Laufe der Zeit jede Spur. Wir wissen sicher, dass sie sich nicht fortgepflanzt haben. Hätten sie das getan, hätten wir vielleicht heute wirklich ein Hybridisierungsproblem. Denn damals war der Bestand noch sehr klein, so kann sich jede Hybridisierung auf die gesamte spätere Population auswirken.
 
Warum existieren diese Gerüchte dann überhaupt noch, wenn sie längst widerlegt wurden?

Das kann man leicht erklären: Bei einigen genetischen Untersuchungsverfahren werden zur Identifizierung von Hybriden die genetischen Profile mit denen von Referenzpopulationen verglichen. Nimmt man als Referenz-Wolfsproben nun die ersten Tiere, die in Deutschland nachgewiesen wurden, und definiert diese als Wölfe, könnte man bei deren Nachkommen womöglich vorhandene Spuren von Hybridisierungen mit Haushunden nicht erkennen, die Proben ließen sich ja klar zu den Referenz-“Wölfen”zuordnen.
Um mögliche Verzerrungen von Ergebnissen zu vermeiden, setzen wir heute auf moderne Methoden der Genomforschung,  bei denen die Auswahl an Referenzproben keine Rolle mehr spielt. Wir kennen eine ausreichende Anzahl an Stellen in der DNA, an denen sich Wölfe und Haushunde unabhängig von ihrer geographischen Herkunft voneinander unterscheiden. Ob die Wölfe aus Russland oder Deutschland stammen, spielt da keine Rolle. Auch schauen wir uns funktionale Merkmale an, an denen sich Wolf und Hund unterscheiden, etwa die Anzahl an Kopien des Gens, welches für das Enzym Amylase kodiert. Dieses dient der Stärkeverdauung  und liegt bei Hunden in mehrfacher Kopie vor, beim Wolf nur einfach. Wären die Wölfe in Deutschland Hybriden, müssten in der Population zahlreiche Tiere mit mehrfachen Amylasekopien im Genom vorkommen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie Untersuchungen an Hunderten von Wölfen in Deutschland in Kooperation mit der Veterinärmedizinischen Universität Wien ergeben haben.
 
Wurde Hybridisierung nicht auch gezielt vorgenommen? Wurden Hybride nicht gezielt gezüchtet, weil sie gefährlicher sind und auch keine Hemmungen vor den Menschen haben?

Da wird gezielt mit der Angst der Menschen gespielt, um Stimmung gegen eine für manche unerwünschte Art zu machen. Die identischen Gerüchte existieren in allen Regionen, in denen sich Wölfe wieder ausbreiten. Tatsächlich wurden in der Stadt Perm in Russland Experimente durchgeführt, bei denen Wölfe in Hundelinien eingekreuzt wurden; man wollte so für militärische und polizeiliche Zwecke überlegene Arbeitslinien erzeugen. Immer wieder liest man im Internet, die deutschen Wölfe seien Abkömmlinge solcher Hybriden. Wie und warum diese Tiere Tausende von Kilometern bis nach Deutschland gebracht worden sein sollen, wird leider nie erklärt. Es geht hier auch nicht um belegbare Fakten, schließlich werden wir ja auch alle durch Chemtrails manipuliert, usw. Da liegt es doch auf der Hand, dass unsere Wölfe in Wahrheit gar keine Wölfe sind. Irgendwer hat halt immer spektakuläres Geheimwissen und teilt dies gerne im Netz. Die Geschichte ist ja auch ziemlich gut, nur leider frei erfunden. Auch gibt es gar keine Hinweise darauf, dass Wolf-Hund-Hybriden wilder, enthemmter und gefährlicher als Hunde oder Wölfe sind. Selbst wenn die Wölfe in Deutschland signifikante Mengen an Hunde-DNA tragen würden, würden sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit so verhalten, wie es andere Wölfe auch tun. Aktuelle Verhaltensstudien an Hybriden in der Toskana legen genau das nahe.
 
Gibt es da noch andere Methoden außer genetische Untersuchungen? Also wenn jetzt der Wolf verdächtigt wird ein Tier angefallen zu haben, sucht man da vielleicht nach Fußabdrücken oder Ähnliches?

Ein erfahrener Experte kann anhand eines guten Fotos Wolf und Hund sicher unterscheiden. Auch Hybriden der ersten Generation sind oft noch gut identifizierbar, danach hilft nur noch die moderne Molekulargenetik weiter. Auch bei einem gerissenen Schaf ist die Identifizierung des Verursachers nicht allein von der Genetik abhängig: Ein gemeldeter Nutztierriss wird vor Ort fotografisch und protokollarisch dokumentiert und auch das entscheidet mit darüber, wer der eigentliche Rissverursacher ist. Die Genetik ist natürlich wichtig, aber so eine Rissbegutachtung ist ein komplexer Prozess. Ähnlich wie in einem Kriminalfall kann die Genetik einen wichtigen Hinweis liefern, aber wir bei Senckenberg überführen keinen Wolf oder Hund, sondern das wird in den verantwortlichen Behörden anhand aller vorliegenden Hinweise getan.
 
Was wird eigentlich sonst noch anhand von Wolfsproben oder verunfallter Wolfskadaver untersucht? 

Die Wolfsproben werden wissenschaftlich sehr gründlich von verschiedenen Institutionen untersucht. Wenn ein Wolf tot am Straßenrand liegt, dann kommt er ins Leibniz Institut für Zoo- und Wildtierforschung nach Berlin und wird genau auf Todesursache und vorliegende Krankheiten und Pathogene untersucht. Der Schädel kommt nach Möglichkeit zur morphologischen Untersuchung zu Hermann Ansorge an das Senckenberg-Institut in Görlitz, und wir in Gelnhausen erhalten natürlich eine DNA-Probe. Bei einem Kotfund ist es so, dass häufig ein Teil der Kotprobe nach Görlitz kommt und dort auf Nahrungsbestandteile untersucht wird. Dabei werden Haare und Knochenreste im Kot angeschaut und so festgestellt, ob der Wolf etwa Rothirsch, Reh, Wildschwein oder auch Nutztiere gefressen hat. Daher weiß man recht genau, welches Nahrungsspektrum die Wölfe in Deutschland haben.
 
Immer wieder liest man, v.a. in den Sozialen Medien, Behauptungen, dass Senckenberg bei den Untersuchungen nicht neutral sei und mit “wolfsfreundlichen”Organisationen, wie dem NABU kooperiere. Was ist an diesen Behauptungen dran?

Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist eine unabhängige Einrichtung, deren Zweck es ist Naturforschung zu betreiben. Zu Naturschutzverbänden wie dem NABU gibt es hinsichtlich der Untersuchungen am Wolf keinerlei Verbindungen. Die Finanzierung der Proben und die Beauftragung läuft ausschließlich über die verantwortlichen Länderbehörden. Es kommt also nicht vor, dass wir Wolfsproben im Auftrag von Naturschutzorganisationen, wie dem NABU oder WWF untersuchen. Wir arbeiten nach den Standards der Guten Wissenschaftlichen Praxis, wie sie für Senckenberg als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft allgemein verbindlich sind.

Interesse geweckt?

Dann hören Sie jetzt die 10.Folge des Senckenberg-Podcasts „Erdfrequenz“: „Der Wolf in Deutschland“. In dieser Folge erzählt Senckenberger Dr. Carsten Nowak, Fachgebietsleiter Naturschutzgenetik, was sein Team alles aus Kotspuren herauslesen kann, was passiert, wenn ein Wolf ein Nutztier reißt, und er klärt über Wolfsmythen auf, wie etwa über den Mythos des „gefährlichen Mischlings“.