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Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut
“Insekt des Jahres” 2022
Das Insekt des Jahres 2022 wurde am Montag, den 29. November 2021 um 11:00 Uhr von Leonore Gewessler, Umweltministerin der Republik Österreich (Schirmherrin) und Prof. Dr. Thomas Schmitt, Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut in Müncheberg (Vorsitzender des Kuratoriums) im Rahmen eines Online-Pressegesprächs bekannt gegeben.
Die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege – Venustoraphia nigricollis
Die Kamelhalsfliegen sind die artenärmste Ordnung der Insekten mit vollkommener Verwandlung, der Holometabola, mit Ei, Larve, Puppe und Imago. Sie repräsentieren eine der drei Ordnungen der Neuropterida (Netzflügler im weiteren Sinne), die außerdem die zwei Ordnungen Megaloptera (Großflügler, Schlammfliegen) und Neuroptera (Netzflügler im engeren Sinne) umfassen. Bisher kennt man in Mitteleuropa 16 Arten, weltweit sind ca. 250 Arten bekannt. Die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege, Venustoraphidia nigricollis (Abb. 1), wurde vor 130 Jahren von dem holländischen Entomologen Herman ALBARDA entdeckt, beschrieben und benannt. Sie ist unter den in Mitteleuropa vorkommenden Kamelhalsfliegen leicht und sicher zu identifizieren durch die geringe Größe (Vorderflügellänge max. 8,5 mm, meist unter 7,5 mm), den gänzlich schwarzen Halsschild, die besonders lange und schlanke Vorderbrust und das rauchig-ockerbraune Flügelmal. Lange Zeit galt sie als eine der seltensten Kamelhalsfliegen, bis man erkannte, dass sich die Imagines vorwiegend in der
Kronenschicht von Bäumen aufhalten. Die Larven leben räuberisch unter der Borke von Laubbäumen (besonders Obstbäumen) und Koniferen (besonders Kiefern). Die nördlichsten Funde der Art stammen aus Norddeutschland, die südlichsten vom Aspromonte (Süditalien).
Erforschungsgeschichte der Raphidiopteren
Der Name Raphidia (vermutlich von griechisch ραφις, raphis = Nadel und ειδος, eidos = Aussehen, wohl auf die Legeröhre Bezug nehmend) wurde von Carolus LINNAEUS (1707–1778) 1735 mit der Charakterisierung einer Kamelhalsfliege eingeführt. 1758 beschrieb er die erste Spezies: Raphidia ophiopsis. 1799 wurde von LATREILLE (1762–1833) erstmals die Larve einer Kamelhalsfliege beschrieben. 1838 erfolgte die erste ausführliche Beschreibung von Ei, Larve, Puppe, Metamorphose und Lebensweise von Kamelhalsfliegen durch Friedrich von STEIN (1818–1885). 1861 wurden Kamelhalsfliegen erstmals in Amerika nachgewiesen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren weltweit nur 31 Spezies bekannt, 1950 waren es 59. Nach 1960 setzte eine intensive Erforschung der Raphidiopteren ein, die bis heute anhält.
Charakteristik der Kamelhalsfliegen
Wer einmal eine Kamelhalsfliege gesehen hat, wird sie immer als solche wiedererkennen: auffallend langer „Hals“, wissenschaftlich exakt die Vorderbrust (Prothorax), glasklare Flügel mit lockerem Geäder und deutlichem Flügelmal (Abb. 2, 3). Kamelhalsfliegen sind etwa 9–25 mm groß. Die Weibchen besitzen eine lange Legeröhre (Abb. 4). Die Verbreitung der Raphidiopteren ist auf Teile der Nordhemisphäre beschränkt (Abb. 5), da sie für ihre Entwicklung eine Periode der Temperaturerniedrigung benötigen (Winter). Aus den vielen fossilen Funden kann man schließen, dass diese Insekten zu Urzeiten in viel größerer Zahl auf der Erde verbreitet waren. Dramatische klimatische Veränderungen nach dem Einschlag eines Asteroiden zum Ende der Kreidezeit (vor ca. 66 Mio. Jahren) ließen nur kälteadaptierte Formen überdauern, deren Aussehen dem der heutigen Arten sehr ähnelte. Kamelhalsfliegen dürfen somit zu Recht als lebende Fossilien bezeichnet werden. Die heute lebenden Kamelhalsfliegen umfassen zwei Familien: Raphidiidae (mit ca. 210 Arten) und Inocelliidae (mit ca. 40 Arten; Abb. 6). Kamelhalsfliegen sind grundsätzlich standorttreue Insekten. Sie breiten sich – wenn überhaupt – nur langsam durch aktive Wanderung aus. Wahrscheinlich spielt Verdriftung durch Wind eine wesentliche Rolle.