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Danuvius guggenmosi
und die Evolution des aufrechten Gangs
Im November 2019 versetzte ein Fossilfund aus Süddeutschland die Paläontologinnen und Paläontologen weltweit in Erstaunen. Danuvius guggenmosi vereint Skelettmerkmale, die man in dieser Konstellation noch nie zuvor gesehenen hat und die rund 12 Millionen Jahre zurückreichen – was seine Entdeckerin zu einer revolutionären These über die Fortbewegungsweise dieses frühzeitlichen Menschenaffen brachte …
Pforzen im Allgäu, 20. August 2015. Die Grabungen in der Tongrube der ehemaligen Ziegelei „Hammerschmiede“ laufen wieder auf Hochtouren. Seit 2011 finden hier wissenschaftliche Grabungen statt. Rund 15 000 Fossilien von 131 Wirbeltierarten konnten bislang geborgen werden, darunter Fische, Riesen-salamander, Schildkröten, Vögel, Elefanten und die weltweit ältesten Pandas. Damit zählt die Lokalität im weltweiten Vergleich zu den reichs-ten fossilen Wirbeltierfundstellen. Sie liegt in einer von nur vier Regionen Deutschlands, wo Menschenaffen gefunden wurden.
Ein Oberkiefer machte den Anfang
Zuerst schaute nur ein Zahn aus dem Tonbett heraus. Nachdem mein Doktorand Jochen Fuß den Fund freigelegt hatte, traute er seinen Augen nicht: Vor ihm lag der Oberkiefer eines Menschenaffen. Eine Sensation, denn bislang waren in der Hammerschmiede noch keine fossi-len Überreste von Primaten gefunden worden. Der zweite Beleg fand sich erst im Jahr darauf. Am 17. Mai 2016 entdeckte ich selbst den zu-gehörigen Unterkiefer – und es ging noch weiter: 37 Einzelfunde wurden bis 2019 geborgen, die wir vier Individuen zuordneten: einem Jungtier, zwei Weibchen und einem Männchen. Rund 15 Prozent der Skelettknochen des Männchens sind überliefert, darunter auch komplett erhaltene Arm- und Beinknochen, Wirbel, Finger- und Zehenknochen. Zu unserem Erstaunen ähnelten einige davon, insbesondere in den Gelenkregionen, eher der menschlichen Anatomie. Auf der Grundlage der überlieferten Fossilien rekonstruierte mein Team, dem Forscher*innen aus Bulgarien, Kanada, den USA und Deutschland angehören, ein weitgehend komplettes Skelett von Danuvius guggenmosi.
Wie sah Danuvius aus?
Danuvius war etwa einen Meter groß, das Männchen wog rund 31 Kilogramm, die Weibchen 18 Kilogramm. Körperbau, Körperhaltung und Fortbewegungsweise sind für einen Primaten bis-lang einzigartig. Der Brustkorb war flach und breit, die Lendenwirbelsäule verlängert, wodurch Danuvius seinen Körperschwerpunkt effektiv über der gestreckten Hüfte und Knien halten konnte. Die Knochen zeigen mehrere Schlüsselmerkmale, die auf Bipedie schließen lassen, wie zum Beispiel eine physiologische X-Stellung der Beine.
Es ist ein Glücksfall, dass mehrere funktionell wichtige Gelenke – zum Beispiel Ellbogen, Hüfte, Knie und Sprunggelenk – zu einem einzigen fossilen Skelett gehören. So war es möglich, die Fortbewegungsweise Danuvius’ genauer zu rekonstruieren.
Danuvius beherrschte den aufrechten Gang
Nach unseren Ergebnissen konnte Danuvius auf zwei Beinen gehen, aber auch klettern wie ein Menschenaffe. Seine Zweibeinigkeit war jedoch eine Anpassung an ein Leben in Bäumen – wir bezeichnen dies als arboreale Bipedie.
Seinen Rumpf hielt er durch die S-förmig gebogene Wirbelsäule aufrecht. Wie für Zweibeiner typisch hatte Danuvius eine funktional verlängerte Lendenwirbelsäule und gestreckte Hüft- und Kniegelenke, gleichzeitig – wie alle Menschen-affen – verlängerte und im Ellbogengelenk komplett durchstreckbare Arme mit sehr beweglichen Handgelenken. Im Gegensatz zur terrestrischen schreitenden Zweibeinigkeit späterer Vormenschen hatte Danuvius eine kräftige, abgespreizte große Zehe, mit deren Hilfe er große und vor allem auch kleine Äste sicher greifen konnte.
Neues “Missing Link”?
Es gibt viele Hypothesen zur Evolution des aufrechten Gangs, doch in den meisten Fällen fehlen fossile Belege, um diese Annahmen zu überprüfen. Nicht bei Danuvius. Unsere Auswertungen lassen den Schluss zu, dass sich der aufrechte Gang der Hominiden in Bäumen entwickelte. Seine anatomischen Besonderheiten zeugen von einer neuen Fortbewegungsweise, der wir den Namen „extended limb clambering“ gegeben haben. Dies bedeutet auf Deutsch etwa „Kraxeln mit gestreckten Gliedmaßen“. Sie kann als Ausgangspunkt sowohl für den aufrechten, terrestrischen Gang als auch für das vierfüßige Klettern angesehen werden. Nach dieser Hypothese wäre Danuvius guggenmosi funktionell eine Bindeglied von Mensch und Menschenaffe.
Damit nicht genug. Die Datierung der Danuvius-Funde auf 11,62 Millionen Jahre zeigt, wie weit die Wurzeln der bipeden Fortbewegungsweise in die Vergangenheit zurückreichen – nämlich doppelt so lange wie bisher vermutet. Und sie liegen nicht in Afrika, wo man lange Zeit die Wiege der Menschheit vermutete, sondern in Europa!
Autor
Prof. Dr. Madelaine Böhme
Geowissenschaftlerin und Paläontologin, ist Professorin für terrestrische Paläoklimatologie an der Universität Tübingen und Gründungsdirektorin des Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment in Tübingen. Sie zählt zu den profiliertesten Paläoumweltforscher*innen und betrachtet die menschliche Evolution auch im Hinblick auf die Veränderungen des Klimas und der Umwelt.
Main research interests
• Evolution and palaeobiology of vertebrates
• Hominid evolution
• Neogene continental palaeoclimatology
• Neogene stratigraphy
• Multi-proxy reconstruction of past ecosystems and environments
Academic and professional career
2012-2017 Founding director of the Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP)
2011-2017 Speaker of the department „Palaeobiology“ at the University Tübingen
Since 2009 Professor for Terrestrial Palaeoclimatology at the University Tuebingen, Department of Geoscience, Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoecology (SHEP) and Director of the Paleontological Museum and Collection of the Tuebingen University
2007-2012 Heisenberg fellow and Heisenberg Professor of the German Science Foundation
2007/2008 visiting Professor in Terrestrial Paleontology and Paleoclimate at University Tuebingen
2003 Habilitation in Geology and Paleontology at the Faculty of Earth Sciences of the Ludwig-Maximilians-Universität München
2001-2006 Research Assistant at the Department of Earth and Environmental Sciences, Paleontology Section of the Ludwig-Maximilians-Universität München
1998-2001 Research Fellow, Ludwig-Maximilians-University Munich
1997 Promotion (Dr. rer. nat.) at the Department of Earth Sciences, University Leipzig
1993-1998 Research Assistant at the Institute of Geoscience, University Leipzig
1993 Geoscientist at ENMOTEC GmbH, Freiberg
1992 Diploma in Geology and Palaeontology, TU Bergakademie Freiberg
1987-1992 Student at the Institute of Geology, TU Bergakademie Freiberg
1984-1986 Pestalozzi-Gymnasium, Dresden
List of Publications
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