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#11: Zu den südlichsten Wäldern der Welt … und darüber hinaus
Ein Reisebericht von Dr. Christian Printzen
Dr. Christian Printzen und Dr. Birgit Kanz, Wissenschaftler*innen vom Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt, waren Ende 2021 unterwegs nach Puerto Williams am südlichsten Zipfel Feuerlands. Sie wollen auf der chilenischen Isla Navarino die Biodiversität der Flechten und Pflanzen erforschen und – nicht zuletzt – grandiose Landschaften und unberührte Natur genießen.
Mit ihren Reiseberichten hier auf dem Mitglieder-Blog ließen uns die Beiden teilhaben an ihren Erfahrungen, Begegnungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen in den südlichsten Wäldern der Welt – und darüber hinaus.
Weil das so spannend war, konnten Sie die Reise in den Sommerferien noch einmal miterleben – dies ist der letzte Beitrag.
#11 Ein kleiner Nachschlag
4.3.2022
Obwohl unser Blog schon vorletzte Woche offiziell für abgeschlossen erklärt wurde, gibt es heute einen kleinen – und diesmal wirklich abschließenden – Nachschlag. Ich hatte schlicht vergessen, rechtzeitig Bescheid zu geben, dass ich kurz mit dem Schreiben aussetzen musste, weil ich zum Abschluss meines Aufenthaltes an zwei weiteren mehrtägigen Exkursionen teilnehmen konnte. So wurde mein Schweigen als ein höfliches „mir reicht’s“ interpretiert. Dabei gibt es doch noch so viel zu erzählen…
In exotischen Gegenden zu forschen, verspricht für Biosystematiker*innen einerseits immer leichte Beute in Form unbeschriebener Arten oder neuer biogeographischer Erkenntnisse. Andererseits ist der Weg zu solchen Erkenntnissen oft anstrengender als daheim, wo sich praktisch jedes Ziel mit dem Auto oder in wenigen Stunden zu Fuß erreichen lässt. Das ist allerdings wiederum kein Grund zum Jammern, wenn man bedenkt, wie viele Trekkingtouristen genau diese Anstrengung suchen und sich das einiges kosten lassen. Die letzten beiden Ausflüge ins Gelände hatten dann tatsächlich den Charme von sozusagen mit Wissenschaft angereicherten Zeltwanderungen.
Als Lichenologe ist man im Gelände ziemlich anspruchslos. Die technische Ausrüstung besteht aus einer Lupe, Hammer und Meißel, Messer, Stift und Papiertüten. Das höchste der Gefühle ist ein GPS-Tracker, um die Fundpunkte genau angeben zu können. Ein Smartphone erfüllt diesen Zweck aber mittlerweile auch. Bei vielen Ökolog*innen sieht es da schon anders aus, besonders wenn sie chemische oder Klimadaten für ihre Forschung benötigen. Eine Messstation aufzubauen und in Betrieb zu nehmen, war denn auch das Ziel der ersten Exkursion, der ich mich anschließen durfte. Mit einer ganzen Autoladung voller Eisenwaren und elektronischer Geräte, inklusive einer Solaranlage (Abb. 1), machten wir uns also am Freitagmorgen zu siebt auf den Weg zu einem kleinen Seitental zwischen Cerro Bandera und Dientes de Navarino, dem zentralen Gebirgsstock der Insel (Abb. 2). Neben Javier, dem hier im Blog schon mehrmals erwähnten Expeditionsleiter, der die Geländelogistik organisiert, und dem technischen Leiter Camilo, der hauptsächlich als Ingenieur für eine Firma arbeitet, die Puerto Williams ans Glasfasernetz anschließt, waren die beiden Praktikanten Matías und Esteban mit uns unterwegs. Außerdem noch Brenda und Valeria, eine Doktorandin und eine Masterstudentin, die mit der Sache eigentlich genau so wenig zu tun hatten wie ich, aber dennoch mithalfen. Wer hier genau für wen arbeitet und warum, habe ich übrigens in den drei Monaten meines Aufenthalts nie so genau durchschaut. Man ist insgesamt sehr flexibel, auch was die Arbeitszeiten und -orte angeht. Oft trifft man am Wochenende oder mitten in der Nacht noch Angestellte, die eine Aufgabe erledigen, die nicht fertig geworden ist. Wenn das Büro gerade belegt ist, lassen sie sich z.B. in der Küche nicht vom Geschirrklappern und Bratendunst stören oder erledigen Telefonate im Flur oder vor der Haustür.
Wo war ich? Ach ja … die Messstation. Das Wetter war zum Glück prächtig, sonst wäre mir mit unserem Gepäck auf dem zum Teil extrem steilen Weg durch die Schutthalden des Cerro Bandera zum normalen sicher auch noch der Angstschweiß ausgebrochen (Abb. 3). So kamen wir abends zwar verschwitzt, aber ohne weitere Schäden an Mensch und Material an unserem Zeltplatz oberhalb der Laguna del Salto an. Nach einem kurzen Snack ging die technische Crew ans Werk, während ich die Felsen der Umgebung mit Hammer und Meißel bearbeitete. Wie fern hier die Zivilisation ist, konnte man in der wolkenlosen Nacht sehen. Nachdem der Kocher abgestellt und die Stirnlampen ausgeschaltet waren, gab es zwischen den Bergen nicht die geringste Licht- oder Luftverschmutzung. Der Sternenhimmel bot eine entsprechend spektakuläre Aussicht (Abb. 4). Am Vormittag des nächsten Tages konnte die Anlage in Betrieb genommen werden (Abb. 5) und liefert nun hoffentlich für einige Jahre Messdaten aus der Luft und dem Oberlauf des Rio Robalo, der westlich von Puerto Williams die Grenze des Parque Omora bildet, in dem sich viele Forschungsarbeiten konzentrieren.
Nach einer kurzen Verschnaufpause am Sonntag machten wir uns am Montag zum Lago Windhond im Zentrum der Insel auf. Wem dieser Name seltsam vorkommt, sei daran erinnert, dass das Kap Horn seinen Namen der niederländischen Stadt Hoorn verdankt und nicht etwas irgendwelchen Hörnern oder der spanischen Bezeichnung für Ofen („horno“, was nahe Feuerland ja auch nicht ganz abwegig wäre). Neben dem unermüdlichen Javier nahmen wieder Brenda (Moose), Xena (Fledermäuse) und Abril aus Argentinien, eine weitere Praktikantin, an der Tour teil. Der Weg zum See ist auf allen Karten eingezeichnet, verliert sich aber immer wieder in Mooren (Abb. 6) und schwer durchdringbaren Wäldern – besonders mit Gepäck. Hinderlich sind vor allem die auch hier allgegenwärtigen Biberdämme (Abb. 7 und 8), um die herum kreuz und quer abgestorbene Bäume liegen. Das alles führt dazu, dass man für den nur 23 km langen Weg zwei volle Tage in jede Richtung einplanen muss. Entsprechend ist der Süden der Insel bisher biologisch nicht gut erforscht.
Man hatte uns gewarnt, dass die Landschaft um den See von Kühen „verwüstet“ sei. Von denen gab es aber, ganz anders als in den Montes Miseria (s. Blog 7), schon kurz hinter Puerto Williams keine Anzeichen mehr. Stattdessen fanden sich überall Spuren verwilderter Hunde (Abb. 9), die für die einheimische Fauna, besonders bodenbrütende Vögel, eine ernsthafte Gefahr darstellen. Auf halber Strecke gab es einst das Refugio Beaucheff, das aber mittlerweile der (Ver-)Witterung zum Opfer gefallen ist (Abb. 10). Immerhin kann man auf den herumliegenden Blechteilen gefahrlos ein Lagerfeuer entzünden. Das in den 1960er Jahren errichtete Refugio Charles nördlich des Lago Windhond ist dagegen noch einigermaßen gut in Schuss (Abb. 11), wenngleich ziemlich windschief, weil man bei seiner Errichtung vergessen hat, zur Stabilisierung ein paar diagonale Balken einzubauen (Abb. 12). Der bereits vor unserer Abreise prognostizierte heftige Sturm hinderte uns dann erfolgreich am Schlafen. Ein schlecht befestigtes Blechdach ist ein erstaunlich gutes Perkussionsinstrument und wir fühlten uns am nächsten Morgen, als hätten wir die Nacht im Inneren einer Kesselpauke verbracht. Das konnte uns natürlich nicht am Forschen hindern, die wissenschaftliche Ausbeute in Form von Flechtenproben hielt sich allerdings in Grenzen. Der nördliche Teil des Sees ist noch an allen Seiten bewaldet (Abb. 13). Hier gab es nichts, was ich nicht auch schon im Norden der Insel gesehen hatte, immerhin aber doch neue Fundpunkte für zwei vermutlich noch unbeschriebene Flechtenarten. Bei mittlerweile mehr als 1.000 Herbarbelegen konnte ich auf zusätzliche Schlepperei auf dem Rückweg nach Puerto Williams gut verzichten und beließ es bei wenigen Proben seltenerer Arten.
Für den Rückweg war zwar eigentlich gutes Wetter angesagt, das bedeutet hier unten aber nicht viel. Der vierte Tag unserer Tour begann mit tief hängenden Wolken (Abb. 14), und gegen Mittag begann es zu regnen (Abb. 15). Der gute Javier hatte natürlich für alles vorgesorgt, so dass wir unsere Mittagspause mit warmer Mahlzeit und Tee einigermaßen trocken verbringen konnten (Abb. 16). Überhaupt, die Verpflegung! Für fünf Tage nimmt man am besten nur Trockennahrung und einen Wasserfilter mit. Man lebt also sozusagen von Tütensuppen, Nudeln und Reis. Wohl dem, der dann jemanden bei sich hat, der sich nicht um die Wissenschaft, sondern um die wirklich wichtigen Dinge kümmert und einem an zwei von vier Abenden frische Forellen serviert (Abb. 17)!
Hat sich der Aufwand dieser letzten Tour, immerhin 25 Personentage für die Wanderung und zusätzliche Planungs- und Nachbereitungszeit (z. B. für das Trocknen des Materials und der Ausrüstung), gelohnt? Bei den Flechten gab es zwar nicht viel Neues, aber doch Interessantes, was mir vorher noch nicht so schön entwickelt begegnet war (Abb. 18). Außerdem ist die Beobachtung, dass sich die Flechten im Süden der Insel nicht grundlegend von denen im Norden unterscheiden, ja ebenfalls neu, wenn auch nicht spektakulär. Xena, die mit ihren Fledermäusen mal wieder die Nacht zum Tage gemacht hatte, konnte mittels ihres Detektors aber sogar zwei Arten nachweisen, die so weit südlich noch nie gefunden wurden. Es gibt eben immer noch viel zu viele weiße Flecken auf der Landkarte der Biodiversität, und die Daten für die in jüngster Zeit viel beschworenen „Big-Data“-Forschungsansätze müssen überhaupt erst zur Verfügung stehen. Das erfordert viele aus der Entfernung vielleicht unbedeutend erscheinende, aber überaus wichtige und manchmal mühsame Schritte. Meine persönlichen Highlights dieses letzten Ausflugs waren übrigens gar keine Flechten. Die winzige fleischfressende Drosera uniflora war zwar schon lange von hier bekannt, ich hatte sie aber noch nicht in der Natur gesehen (Abb. 19). Und die allgegenwärtige Brombeere Rubus geoides, die uns vom ersten Tag auf Navarino begleitet hat, fruchtete nun endlich (Abb. 20), ein Hochgenuss!