Abb. 5

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#4: Zu den südlichsten Wäldern der Welt … und darüber hinaus

Ein Reisebericht von Dr. Birgit Kanz

Dr. Christian Printzen und Dr. Birgit Kanz, Wissenschaftler*innen vom Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt, waren Ende 2021 unterwegs nach Puerto Williams am südlichsten Zipfel Feuerlands. Sie wollen auf der chilenischen Isla Navarino die Biodiversität der Flechten und Pflanzen erforschen und – nicht zuletzt – grandiose Landschaften und unberührte Natur genießen.

Mit ihren Reiseberichten hier auf dem Mitglieder-Blog ließ uns Birgit Kanz teilhaben an ihren Erfahrungen, Begegnungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen in den südlichsten Wäldern der Welt – und darüber hinaus.

Weil das so spannend war, können Sie die Reise in den Sommerferien noch einmal miterleben; täglich wird einer der elf Beiträge veröffentlicht!

#4 Ein Tag am Strand

Puerto Williams, 24. Dezember 2021

Der schönen Lage am Meer ist geschuldet, dass das Wetter in Puerto Williams sehr wechselhaft ist. Der Wind treibt die Wolken genauso schnell wieder weg, wie er sie herbeigeweht hat. Durchgehend grau sind die Tage hier nur selten – durchgehend sommerlich heiße Tage gab es bisher genau drei. Einen davon haben wir an der Küste verbracht.

Ein schöner Küstenabschnitt befindet sich gleich westlich des Ortes in der Nähe des Flughafens. Auf dem Weg dorthin passierten wir zunächst eine große Lagune (Laguna Zañartu), in deren Umgebung wir deutlich erkennen konnten, welchen Einfluss schon wenige Weidetiere auf die Vegetation nehmen (Abb. 2). Die kleinen Herden der hier stets freilaufenden Kühe und Pferde (darauf werde ich in einem der nächsten Beiträge noch näher eingehen) haben den Wald bis auf schmale, lückige Restbestände komplett zurückgedrängt. Im Randbereich der Gehölze fanden wir kleinere Trupps der beiden bildhübschen Arten Graues Ferkelkraut (Hypochaeris incana, Abb. 3) und einer weiteren (siehe Blog #3) Gavilea-Art, Gavilea australis (Abb. 4).

An der Küste bot sich uns ein überwältigend schöner Anblick! Kein Windhauch bewegte an dem Tag die Meeresoberfläche, so dass sich Wolken und Steilküste vollkommen klar im Wasser spiegelten (Abb. 5). Plötzlich war es auch überraschend heiß, damit hatten wir in diesen Gefilden gar nicht gerechnet. Es empfiehlt sich, bei Touren immer für alle Jahreszeiten ausgestattet zu sein, die Sonnencreme war glücklicherweise gleich zur Hand und die Möglichkeit einer Abkühlung auch nicht fern (Abb. 6). Allerdings war der Weg dorthin schmerzhaft, da die Steine am Strand förmlich glühten. Andere hatten es da leichter … (Abb. 7).

Das Ablaufen des schmalen Strandes unterhalb der Steilküste gehörte für uns Botaniker*innen eher zum gemütlichen Teil des Tages. Auf dem grobsteinigen Substrat wuchs außer dem Patagonischen Greiskraut (Senecio patagonicus, Abb. 8) nichts und auch an der vertikal aufsteigenden Steilwand aus bröckeligem Material waren weder Pflanzen noch Flechten zu sehen. Bis wir den flachen östlichen Küstenabschnitt erreichten, widmeten wir uns deshalb vor allem der Vogelwelt. So fanden wir beispielsweise das Nest eines Felsenscharben-Paares hoch oben in der Steilwand (Abb. 9) und beobachteten das Treiben der am Strand brütenden Feuerland-Austernfischer (Haematopus leucopodus). Natürlich hielten wir dabei stets gebührend Abstand zu ihren Nestern.

Im Osten reicht ein Teil der Küste als wurmartiger Fortsatz bis hinaus zum Punta Gusano, wo sich eine Möwenkolonie eingerichtet hat (Abb. 10). Diese Struktur einer Mole, von der ich immer noch nicht weiß, ob sie tatsächlich natürlichen und nicht vielmehr künstlichen Ursprungs ist, übernimmt die Funktion eines dem Hafen vorgelagerten Wellenbrechers.

In diesem Küstenabschnitt hat sich nicht nur viel Schwemmholz angesammelt, auf dem feineren Bodensubstrat siedelt auch wieder eine üppigere Vegetation als in anderen Bereichen. Mit den beiden Kosmopoliten Strand-Grasnelke (Armeria maritima) und Strand-Wegerich (Plantago maritima) trafen wir auf vertraute Arten, die wir auch von unseren (nordhemisphärischen) Meeresküsten kennen (Abb. 11). Versuche in der Vergangenheit, die jeweiligen südamerikanischen Populationen aufgrund vermeintlich abweichender Behaarung als Subspezies abzutrennen, haben sich nicht haltbar erwiesen.

Daneben waren aber auch zahlreiche südhemisphärisch verbreitete Küstenarten zu beobachten, beispielsweise das Andenpolster (Azorella trifurcata) und der eng an den Boden angedrückte Südliche Sellerie (Apium australe; Abb. 12), die zarte Patagonische Binsenlilie (Sisyrinchium patagonicum) und die kleinwüchsige Lobelia oligophylla. Auch die in Wäldern, an Waldrändern und Gebüschen bis zu über 1 bzw. 2 m hochwachsenden Sträucher Discaria chacaye aus der Familie der Kreuzdorngewächse (Rhamnaceae) und Baccharis patagonica (Asteraceae, Abb. 13) sowie Torfmyrte (Gaultheria mucronata; Ericaceae) trafen wir hier reichlich an, wenn auch nur kriechend.

Wiederum typisch für fast alle Meeresküsten der Welt war die am benachbarten Küstenabschnitt erkennbare Zonierung der Küstenvegetation. Sie wird durch den Bewuchs unterschiedlich salzwasserverträglicher Flechtenarten hervorgerufen. Innerhalb der Brandungszone konzentrieren sich schwarzgefärbte Arten der Gattung Verrucaria, die die Benetzung mit Salzwasser nicht scheuen und langanhaltende Trockenheit nicht ertragen würden. Oberhalb schließt sich die Zone der orange gefärbten spritzwassertoleranten, aber Überflutungen meidenden Arten der Flechtenfamilie Teloschistaceae an. In diesem Bereich mischen auch schon wieder deutlich mehr salzliebende Blütenpflanzen wie beispielsweise die Strand-Grasnelke mit. Größere, flächige Vorkommen bildet sie aber erst oberhalb der beiden Flechtenzonen (Abb. 14).

An diesem wunderbaren Sommertag blieb uns – wie auch schon an allen anderen Tagen – der Anblick eines vorbeischwimmenden Wals leider versagt. Dabei sollen sie den Beagle-Kanal regelmäßig im Dezember und Januar durchschwimmen. Tatsächlich wurde bereits einer während unseres Aufenthaltes gesichtet, aber da hatten wir wohl gerade einmal nicht aufs Meer geschaut. Da wir noch eine Weile hier sind, geben wir die Hoffnung nicht auf, auch wenn die Wahrscheinlichkeit nicht hoch ist – vermutlich sind wir einfach zu oft in den Wäldern und Bergen unterwegs. Stattdessen haben wir uns fürs Erste mit den angeschwemmten Knochen eines toten Exemplars zufriedengegeben, die wir nicht weniger ehrfürchtig bestaunten (Abb. 15). Kenner*innen sehen vielleicht sofort, um welche Art es sich handelt …

Wir haben diesen geschenkten Sommertag rundum genossen, und ich kann jetzt schon verraten, dass es danach noch so einen Ausnahmetag gab. Den haben wir genutzt, um die umliegenden Berge in noch größerer Höhe zu erklimmen. Doch davon ein andermal mehr.

 

Ein kleiner Nachtrag zum Blogbeitrag #3 vom 17.12.: Mittlerweile habe ich gelernt, dass die orangen Pilzbälle an den Südbuchen nicht zur Art Cyttaria darwinii gehören, sondern stattdessen Fruchtkörper der hier am häufigsten auftretenden Art Cyttaria hariotii darstellen. Erstere sind blasser orange gefärbt.

Abb. 1
Abb. 1 Der Beagle-Kanal an einem heißen, windstillen Tag.
Abb. 2
Abb. 2 Offene Gras-Weidelandschaft statt Küstenwald an der Laguna Zañartu westlich von Puerto Williams.
Abb. 3
Abb. 3 Graues Ferkelkraut (Hypochaeris incana), Bewohner der Küstensande/-kiese, offener Gebüsche und Krähenbeeren-Heiden sowie trockenen Grünlandes.
Abb. 4
Abb. 4 Die Orchidee Gavilea australis ist im Feuchtgrünland Chiles und Feuerlands zu Hause.
Abb. 5
Abb. 5 Küstenabschnitt im Norden der Isla Navarino westlich von Puerto Williams.
Abb. 6
Abb. 6 Fußbad im Beagle-Kanal. Muscheln und Steine mussten natürlich auch inspiziert werden.
Abb. 7
Abb. 7 Felsenscharben (Phalacrocorax magellanicus) mit Möwe auf Felsen im Beagle-Kanal.
Abb. 8
Abb. 8 Patagonisches Greiskraut (Senecio patagonicus).
Abb. 9
Abb. 9 links: Steilwand mit Nest einer Felsenscharbe (Phalacrocorax magellanicus) hoch oben; rechts: Im Nest sitzende Felsenscharbe.
Abb. 10
Abb. 10 Wellenbrecher mit Schwemmholz und Möwenkolonie am Punta Gusano im Hintergrund.
Abb. 11
Abb. 11 Die beiden kosmopolitisch verbreiteten Küstenbewohner Strand-Grasnelke (Armeria maritima) und Strand-Wegerich (Plantago maritima).
Abb. 12
Abb. 12 Andenpolster (Azorella trifurcata; links) und Südlicher Sellerie (Apium australe; rechts) auf kiesigem Strandsubstrat.
Abb. 13
Abb. 13 Kriechende Sträucher Discaria chacaye (Rhamnaceae) und Baccharis patagonica (Asteraceae) auf kiesigem Strandsubstrat.
Abb. 14
Abb. 14 Großflächiges Vorkommen von Strand-Grasnelke (Armeria maritima).
Abb. 15
Abb. 15 Überreste eines Wals am Strand von Puerto Williams.