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Ein plastikfressender Wal-Delfin
Die Künstlerin Pınar Yoldaş zeigt vom 22. Juni bis 01. Oktober 2023 im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt mit „An Ecosystem of Excess“ ihre Vision zukünftiger Ökosysteme
Unter die Wal-Skelette des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt mischt sich ab dem 22. Juni das Knochengerüst eines außergewöhnlichen Meeresbewohners: eine neue Spezies zwischen Wal und Delfin, deren Verdauungsapparat sich an die Verschmutzung der Meere angepasst hat – sie kann sich von Plastikmüll ernähren. Erschaffen hat dieses Wesen, das nicht wirklich in der Natur existiert, die international tätige KünstlerinPınar Yoldaş. Das Exponat wird erstmals im Rahmen der Sonderausstellung „An Ecosystem of Excess“ im Frankfurter Naturmuseum gezeigt. Gemeinsam mit fünf hell beleuchteten und mit Wasser gefüllten Vasen, in denen futuristisch anmutende, künstliche Organsysteme schweben, bildet es die neueste Version des gleichnamigen Projekts, das Yoldaş seit 2014 verfolgt. Das Senckenberg Naturmuseum ist mit diesem Projekt Kooperationspartner der Schirn Kunsthalle und der dortigen Ausstellung „Plastic World“, kuratiert von Martina Weinhart.
Schon heute hat Plastik alle Lebensräume erobert: Meere, Strände, Wälder ebenso wie Städte und auch die Körper der Menschen und der Tiere. Im Zentrum der Arbeit von Pınar Yoldaş stehen die Ozeane, einstmals Ursprung des Lebens und nun von Plastik durchdrungen. Welche Lebensformen könnten sich in diesen verunreinigten Ökosystemen entwickeln? Pınar Yoldaş lässt die Evolution weiterlaufen, in einer Umwelt, in der es in manchen Bereichen heute schon mehr Plastik gibt als Plankton.
Das Ergebnis ist eine erdachte Welt, in der Lebewesen mit Organsystemen existieren, die Plastik aufnehmen, verdauen, ausscheiden und umwandeln können. So wie der gezeigte Meeressäuger, der sich auf den ersten Blick in die Gruppe der Walskelette einfügt und ein weiteres Ausstellungsstück des Senckenberg Naturmuseums zu sein scheint. Beim aufmerksamen Betrachten fallen Veränderungen an Schädel, Gliedmaßen und Rückgrat des Tieres auf, das sich an seine Umwelt angepasst hat und mit seinen Zähnen sogar Fischernetze durchbeißen kann. „Pınar Yoldaş, die Künstlerin und Wissenschaftlerin ist, gibt ihren Werken bewusst einen wissenschaftlichen Ausdruck und lässt die Betrachtenden für einige Sekunden glauben, die von ihr geschaffenen Lebewesen und Organsysteme seien tatsächlich real. Sie schafft damit eine besondere Aufmerksamkeit für eine drängende Herausforderung unsere Zeit: Die Problematik der Allgegenwärtigkeit von Plastik und dem, was daraus entstehen könnte, wird auf eine neue Ebene gehoben und Möglichkeiten der Evolution spekulativ vorausgedacht“, erläutert Museumsdirektorin Dr. Brigitte Franzen.
Auch die ungewöhnlich geformten Organe, die Plastik für die neu entstandenen Spezies nutzbar machen können, werden in Flüssigkeit schwebend in Glasvasen präsentiert – ähnlich wie auch naturwissenschaftliche Feuchtpräparate in einer Aufbewahrungslösung konserviert werden. Mit großer Sorgfalt hat Yoldaş, scheinbar lebensechte, auf biologischen Fakten basierende Organe und Organismen kreiert. Was wie Wissenschaft wirkt, ist tatsächlich aber Kunst.
Inspirationsquelle der Künstlerin war die Entdeckung des sogenannten „Great Pacific Garbage Patch“, eines Teppichs aus mehreren Millionen Tonnen von Kunststoffmüll, der im Nordpazifik treibt und in etwa der Fläche Mitteleuropas entspricht. Einige Lebewesen schaffen es schon heute, den Kunststoff für ihr Überleben zu nutzen: Insekten finden auf dem schwimmenden Plastikteppich Brutstätten für ihre Eier. Auch Bakterien besiedeln die Oberfläche und bilden Biofilme.
Die Menschheit produziert pro Jahr mehr als 400 Millionen Tonnen Plastik. „Selbst der Tiefsee-Boden ist stärker mit Mikroplastik belastet, als bislang angenommen“, berichtet Prof. Dr. Angelika Brandt, Senckenberg-Direktoriumsmitglied und Abteilungsleiterin für Marine Zoologie. Gemeinsam mit einem Forschungsteam hat sie Proben aus dem westpazifischen Kurilen-Kamtschatka-Graben in mehr als 9600 Meter Tiefe analysiert. Keine einzige davon war frei von Mikroplastik. „Ein sauberer Ozean beginnt nicht in der Nordsee, dem Atlantik oder dem Pazifik, sondern bei uns. Denn wir entscheiden, wie wir Wasser nutzen, was wir essen, wie wir Waren transportieren oder wie wir uns verhalten und mit Plastik umgehen. Ein sauberer Ozean ist von zentraler Bedeutung für die Zukunft des Lebens, die biologische Vielfalt und damit auch für uns Menschen“, resümiert die Tiefseeforscherin.
Bei Vorlage der Eintrittskarte der Schirn Kunsthalle zur Ausstellung „Plastic World“ erhalten Besuchende des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt ermäßigten Eintritt. Besuchende der Schirn Kunsthalle erhalten ermäßigten Eintritt bei Vorlage der Eintrittskarte des Senckenberg Naturmuseum. Die Aktion ist nur vom 22. Juni – 01.Oktober 2023 gültig und nur mit Eintrittskarten, die in diesem Zeitraum erworben wurden.
22. Juni – 01.Oktober 2023
Plastic World
Schirn Kunsthalle Frankfurt
„Plastic World“ in der Schirn präsentiert Objekte, Installationen, Filme und Dokumentationen und eröffnet ein breites Panorama der künstlerischen Verwendung und Bewertung von Plastik, die den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext spiegeln. Das Spektrum reicht von der Euphorie der Popkultur in den 1960er-Jahren über den futuristischen Einfluss des Space Age und die Trash-Arbeiten des Nouveau Réalisme bis zu ökokritischen Positionen der jüngsten Zeit; es umfasst Architekturutopien und Environments ebenso wie Experimente mit Materialeigenschaften. Zu sehen sind über 100 Werke von rund 50 internationalen Künstler*innen. Die große Installation „An Ecosystem of Excess“ von Pınar Yoldaş ist in diesem Rahmen im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt zu sehen.
Über die Künstlerin
Pınar Yoldaş (geboren 1979 in Denizli, Türkei) ist eine in den Vereinigten Staaten lebende und arbeitende Architektin, Künstlerin, Designerin und Forscherin. Sie konzentriert sich in ihrer Arbeit auf Themen wie Posthumanismus, das Anthropozän, Neurowissenschaften und feministische Technowissenschaft. Sie ist als Professorin an der University of California San Diego tätig.
Bereits im Alter von fünf Jahren stellte Pınar Yoldaş erstmals ihre Malerei aus und galt damit als jüngste Künstlerin mit eigener Ausstellung in der Türkei. Heute entwirft sie architektonische Installationen, kinetische Skulpturen, Klangkunst, Videoinstallationen und Zeichnungen. Eine ihrer eindrucksvollsten Arbeiten ist das Projekt „An Ecosystem of Excess“, für das sie ein posthumanes Ökosystem aus spekulativen Organismen und ihrer ausgedachten Umwelt schuf. Ihre Arbeit ist an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft angesiedelt.
Pınar Yoldaş wurde mit verschiedenen Stipendien der Künste und Wissenschaften ausgezeichnet, unter anderem von der John Simon Guggenheim Memorial Foundation (New York, USA), der Schering Stiftung (Berlin, Deutschland), der Duke University (North Carolina, USA), der MacDowell Colony (New Hampshire, USA) sowie der UCross Foundation (Washington, USA). Sie hat einen Ph.D. im Studiengang Visual and Media Studies an der Duke University, ein Zertifikat in kognitiver Neurowissenschaft der Duke University sowie einen Master of Fine Arts der University of California Los Angeles. Ihre wissenschaftlichen Forschungsinteressen beinhalten Bio-Art, Interaktionen von Kunst und Neurowissenschaften sowie Umweltaktivismus. Vor ihrer Ausbildung in den Vereinigten Staaten erhielt Pınar Yoldaş einen Bachelorabschluss in Architektur der Middle East Technical University sowie einen Master of Arts der Bilgi Universität in Istanbul und einen Master of Science der Technischen Universität Istanbul.
Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist eine Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft und erforscht seit über 200 Jahren weltweit das „System Erde“ – in der Vergangenheit, der Gegenwart und mit Prognosen für die Zukunft. Wir betreiben integrative „Geobiodiversitätsforschung“ mit dem Ziel die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Zudem vermittelt Senckenberg Forschungsergebnisse auf vielfältige Art und Weise, vor allem in den drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden. Die Senckenberg Naturmuseen sind Orte des Lernens und Staunens und sie dienen als offene Plattformen dem demokratischen Dialog – inklusiv, partizipativ und international. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.