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Wale und Parasiten
Parasitismus, also die Strategie einen anderen Organismus als Lebensraum zu nutzen und diesem gezielt Nährstoffe zu entziehen, hat sich als Lebensstil in vielen unterschiedlichen Organismenklassen entwickelt. Kennzeichnend sind eine hohe Diversität sowie die Eigenschaft, sich durch eine meist kurze Generationszeit und große Anzahl an Nachkommen schnell an veränderte Umweltbedingungen anzupassen.
Forscher vermuten daher sogar, dass jedes Lebewesen zumindest einmal während seines Lebens von einem Parasiten oder dessen Zwischenstadien als Wirt genutzt wird. in aquatischen und terrestrischen Biotopen findet sich eine große Vielfalt systematisch unterschiedlicher Parasiten in verschiedenen sogenannten trophischen Stufen. Somit bilden Parasiten einen entscheidenden anteil an der Biodiversität des jeweiligen Ökosystems. Parasitismus gilt als die erfolgreichste Lebensstrategie auf unserem Planeten und ist bereits sehr früh in der Evolutionsgeschichte aus freilebenden Organismen entstanden. Aufgrund ihrer zentralen Stellung in aquatischen ökosystemen und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als hochwertiges Nahrungsmittel sind fische wichtige Forschungsobjekte parasitologischer Studien.
Weltweit sind über 32.000 unterschiedliche Fischarten beschrieben, von denen ca. die Hälfte im Meer lebt. Die Parasitierung von fischen, welche für den menschlichen Verzehr genutzt werden, ist ein seit langem bekanntes Problem. Eine Monitorreportage (ARD) im Jahr 1987, bei der lebende Fadenwürmer in verzehrfähigen Fischprodukten nachgewiesen wurden, sorgte als sogenannter Nematodenskandal deutschlandweit für Schlagzeilen und hatte dramatische Auswirkungen auf die deutsche Fischereiindustrie. Solche Umstände führten zu der Erkenntnis, dass entscheidende Grundlagen über das Auftreten und die Verbreitung potenziell humanpathogener Parasiten fehlten. Besonders im aquatischen Bereich ist der Stand der Kenntnis über die globale Diversität medizinisch wichtiger Arten sehr unterschiedlich. Forscher des bikf-Projektbereichs Medizinische biodiversität und Parasitologie widmen sich daher der Erforschung der Vielfalt medizinisch relevanter Parasiten, deren Areal und Populationsdynamik, Ökologie, Genetik und Lebenszyklusstrategien sowie den gesundheitsrelevanten Auswirkungen auf den Menschen.
Der Fadenwurm Anisakis kann auch den Menschen befallen
In einem aktuellen Projekt befassen sich Prof. Dr. Sven klimpel und Dipl.biol. Thomas kuhn mit der ursache und Verbreitung der durch die walparasitische Fadenwurmgattung (nematoda) Anisakis hervorgerufenen sog. anisakiasis. neben den arten ihrer naheverwandten gattungen Pseudoterranova und Contracaecum ist diese gruppe mariner Parasiten weltweit am häufigsten vertreten und gilt als Hauptursache für menschliche infektionen, und zwar als sog. Zoonosen (Übertragungen von infektionen vom Tier auf den Menschen).
Obwohl der Lebenszyklus dieser Arten in seinen Grundzügen bekannt ist, sind die genauen Mechanismen der Übertragung im aquatischmarinen Nahrungsgefüge bis heute gegenstand intensiver Forschung. als gesicherte Erkenntnis gilt, dass Anisakis in seinem komplexen Lebenszyklus neben vier Häutungen und Larvalstadien mehrere Wirtswechsel einschließt, die sich quer durch das gesamte Nahrungsnetz erstrecken. Als Endwirte fungieren dabei Barten und Zahnwale (Cetacea), zu denen auch Delfine gehören und die sich über die Nahrung, also der aufnahme einer Vielzahl befallener Zwischenwirte (Krebse, Kopffüßer, Fische), mit diesen Parasiten infizieren.
Der Mensch, als sog. Fehlwirt, ist nicht Teil des Lebenszyklus, kann sich allerdings durch den Verzehr lebender Larven (z.B. in Fischfilets) temporär mit diesem Parasiten infizieren. Die Aufnahme lebender Parasitenstadien führt zum befall des menschlichen Gastrointestinaltraktes. Die Infektion ist begleitet von klinischen Symptomen wie starken Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall, Erbrechen und Fieber und kann bei manchen Patienten sogar die ursache schwerer allergischer Reaktionen sein.
Betroffen sind vor allem Menschen in den Küstenstaaten Europas (Niederlande, Deutschland, Frankreich, Spanien) sowie der USA und Japan sowie Bevölkerungsgruppen, die auf fische und Meeresfrüchte als wichtige Proteinquelle angewiesen sind (u.a. sog. Entwicklungsländer). Schätzungen zufolge decken über 60 % der Weltbevölkerung ca. 40 % ihrer Eiweißversorgung durch Fischereierzeugnisse ab. Die Zahl der weltweit gemeldeten humanen Infektionen durch Anisakisoder deren nächsten Verwandten (innerhalb der Familie der Anisakidae) ist ansteigend und beläuft sich auf ca. 25.000 Fälle jährlich.
Die tatsächliche Infektionsrate könnte jedoch aufgrund einer ähnlichen Symptomatik mit anderen Magen-Darmerkrankungen noch viel höher liegen. Eine infektion des Menschen ist nur in seltenen Fällen lebensbedrohlich und das Durchgaren und Tieffrieren von Speisefischen tötet Parasiten im filet oder den innereien ab. Dennoch ist davon auszugehen, dass Infektionen durch Änderungen der Ernährungsgewohnheiten (z. b. die Tendenz, Speisen nicht zu überkochen) nicht mehr nur auf Küstenstaaten oder Regionen beschränkt bleiben, in denen der Verzehr von rohem oder unzureichend gekochtem Fisch (z. b. Sushi, Sashimi) kulturell bedingt ist.
Über die Entwicklung der Molekularbiologie ist es erst in den letzten 20 Jahren gelungen, die einstmals als weltweit vorkommend angesehene art Anisakis simplex in mehrere Arten aufzuspalten, die eine deutliche Wirtsspezifität bei ihren jeweiligen Wal-Endwirten zeigen. Die Gattung umfasst nunmehr neun beschriebene arten, die sich zwar in ihrer ökologie und genetik deutlich voneinander unterscheiden, äußerlich jedoch nahezu identisch sind (sog. kryptische Arten). Anisakisspielt eine rolle als integraler Teil des marinen Nahrungsnetzes mit den eng verflochtenen trophischen interaktionen der Zwischen und endwirte. Daher können diese Fadenwürmer auch als natürliche Indikatoren genutzt werden, um rückschlüsse auf den Lebensraum der Endwirte zu ziehen und auf diese Weise aussagen über das Wanderverhalten oder die Nahrungsökologie zu treffen.
Aus dem Vorkommen von morphologisch sehr ähnlichen, aber ökologisch getrennten und taxonomisch unterschiedlichen Arten im Meer, lässt sich vermutlich das ungleichmäßige Auftreten der Anisakiasis in verschiedenen Ländern und Regionen ableiten und verdeutlicht den großen Einfluss von Klimazonen auf die Zoogeografie dieser Parasiten.
Um genauere aussagen über die Verbreitung von Anisakis und das potenzielle Auftreten der Anisakiasis in bestimmten Regionen treffen zu können, verfolgen Klimpel und Kuhn einen Ansatz, indem sie unterschiedliche Aspekte bestehender Methoden zur Berechnung von Verbreitungsgebieten in einem übergreifenden, neuen Modell verbinden. Sie nutzen dabei neben vorhanden Daten zum Vorkommen von Anisakis auch Techniken moderner molekularbiologischer Artidentifizierung. Anhand der unterschiede in verschiedenen kernkodierten und mitochondrialen Genen streben sie an, die Identität der kryptischen Anisakisarten zweifelsfrei klären zu können und dadurch eine möglichst flächendeckende und abgesicherte Datengrundlage für ihre Berechnungen zu erhalten.
Die Ergebnisse der Modellierung weisen deutlich auf das Vorkommen Art-spezifischer Verbreitungsgebiete innerhalb der Klimazonen und Ozeane hin, die klar mit der Verbreitung und dem Migrationsverhalten der jeweiligen Walendwirte in Deckung zu bringen sind. Auf diese Weise können, neben der Risikoabschätzung für Anisakiasisinfektionen, gleichzeitig Rückschlüsse über das Vorkommen und die Populations/Bestandsgröße bestimmter Walarten in ganz bestimmten Gebieten und Klimazonen gezogen werden.
Prof. Dr. Sven Klimpel ist seit 2010 Leiter des Projektbereichs Medizinische Biodiversität und Parasitologie und studierte Biologie an der Universität Kiel und dem Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung (ehem. IfMGeomar). Er promovierte 2003 am Institut für Zoomorphologie, Zellbiologie und Parasitologie der HeinrichHeineUniversität Düsseldorf, wo er zwischen 2004 und 2010, zunächst als AssistenzProfessor und nach seiner Habilitation (2008) als Privatdozent, die Forschungsgruppe „Terrestrische und Marine Parasitologie“ leitete. Darüber hinaus war er bis Mai 2013 als InterimsDirektor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts (SDEI) der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung tätig.
My primary research interest is the ecology, evolution and host-parasite co-evolution of aquatic (limnic, marine) and terrestrial protozoan/metazoan parasites and pathogens (e.g. viruses, bacteria, fungi). I am particularly interested in how changes in environmental conditions influence dispersal and migration of parasites/pathogens and their intermediate hosts/vectors. My work integrates a variety of disciplines, such as phylogenetics, systematics, ecology, ichthyology, zoogeography, oceanography, genomics and population genetics. In our lab we combine traditional morphological with up to date molecular techniques.
Student opportunities
Various research projects for MSc and BSc students as well as for short internships are available all year round. They range from field studies, lab experiments/analyses to literature-based meta-analytical approaches. Please contact me for more details.
Short CV
Since 2010 Professor at the Biodiversity and Climate Research Centre (BiK-F) and the Goethe-University Frankfurt am Main, Department of Biological Sciences, Institute of Ecology, Evolution and Biodiversity
2004 – 2010 Research Group Leader “Aquatic and Terrestrial Parasitology”
2008 Habilitation in Zoology (Associate Professor), funded by the DFG, DAAD, EU
2004 Research Associate, Institute of Zoomorphology, Cell Biology and Parasitology, Heinrich-Heine University
2003 PhD in Life Sciences (Dr. rer. nat.)
2001 – 2003 Research Associate, Leibniz-Institute of Marine Sciences (IfM-Geomar)
2000 – 2002 Young Research Group Leader “Marine Pathology”
2000 Diploma in Biology (Dipl. Biol.)
1999 Research Associate, Federal Research Centre for Fisheries
1995 – 2000 Studies of Biology at the University of Kiel (field of studies: parasitology, zoology, marine and fishery biology, oceanography, biochemistry, microbiology, molecular biology)
Editorial Experience 2008 – dato Editor in Chief – Diseases of Aquatic Organisms
2008 – dato Subject Editor – Parasitology Research
2009 – dato Wissenschaftlicher Beirat – Bulletin of Fish Biology
Thomas Kuhn studierte nach einer Ausbildung zum biologischtechnischen Assistenten Biologie an der HeinrichHeineUniversität in Düsseldorf mit den Schwerpunkten Parasitologie, Zoologie und Genetik. Seit 2010 ist er Doktorand im Projektbereich Medizinische Biodiversität und Parasitologie bei Prof. Dr. Sven Klimpel und erforscht dort die Verbreitung und Verwandtschaftsbeziehungen humanpathogener, mariner Nematoden, die er während diverser Fischereiforschungsfahrten aus verschiedenen Fischarten gewinnt.