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Senckenberg-Thema
Invasive Arten und ihre Auswirkungen
Als Neobiota bezeichnet man gebietsfremde Arten aus Tier- und Pflanzenwelt, die sich dauerhaft in einer neuen Umgebung etablieren. Das geschieht meistens durch direkte oder indirekte menschliche Hilfe, oder durch Flucht vor lebensfeindlichen Umweltbedingungen.
In Deutschland gibt es rund 800 Neobiota-Arten, die auch negative Auswirkungen auf heimische Arten haben können. Ein Beispiel dafür ist die Spanische Wegschnecke, eine der schlimmsten Landwirtschaftsschädlinge weltweit.
Ihren Ursprung hat die etwa 10 Zentimeter lange Nacktschnecke irgendwo in Südwest-Europa. „Hierzu gibt es verschiedene Studien. Sicher ist, dass sich die Schnecke seit etwa Mitte des vorigen Jahrhunderts weit in Europa ausgebreitet hat. Mittlerweile gibt es Vorkommen bis Skandinavien und Osteuropa – und sogar in Nordamerika wurde sie kürzlich gefunden“, erklärt Dr. Heike Reise vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz und fährt fort: „Wo auch immer die Art auftaucht, erreichen die Populationen innerhalb weniger Jahre beachtliche Größen und verursachen enorme wirtschaftliche Schäden in der Landwirtschaft.“ Was weniger bekannt ist: Arion vulgaris hat auch einen massiven Einfluss auf die heimische Fauna: Die rasante Ausbreitung über Europa hat regional bereits zum Verschwinden der äußerlich ähnlichen einheimischen Roten Wegschnecke (Arion rufus) geführt. „Ein wichtiger Faktor scheint hierbei die Hybridisierung heimischer Wegschnecken mit der Schadart im Initialstadium der Invasion zu sein“, ergänzt Reise.
In einer Langzeitstudie haben Forscher*innen des Senckenberg Museums für Naturkunde Görlitz anhand von 3500 gesammelten Tieren den Ausbreitungsprozess der Spanischen Wegschnecke seit deren Eintreffen im Umkreis von Görlitz und das damit einhergehende Verschwinden der heimischen Roten Wegschnecke verfolgt. Sie zeigen, dass unmittelbar nach Eintreffen der Spanischen Wegschnecke Hybriden, Nachkommen aus Mischverpaarungen, in der Population auftauchen. Diese verschwinden zwar in einem späteren Zeitraum wieder – mit ihnen aber auch die einheimische Art. Übrig bleibt eine starke Population der invasiven Spanischen Wegschnecke. “Der Anteil von Hybrid-Nachkommen in der Population war zeitweise höher als ursprünglich angenommen, denn einige Tiere wurden bislang – aufgrund ihrer Ähnlichkeit – als eine der beiden Elternarten gezählt”, erläutert Reise. Die Forschenden haben zu Vermeidung solcher Fehlinterpretationen ein Set von verschiedenen, zum Teil neuen, Merkmale erarbeitet, mit denen man die Schnecken-Hybriden klar erkennen kann. Reise hierzu: „Die Auslöschung regionaler Arten durch eingeschleppte Invasivarten ist weltweit ein bekanntes Problem beim Artenschutz. Aber vielleicht ist die Spanische Wegschnecke gerade deshalb so erfolgreich, weil sie auf ihrer Expansionsroute immer wieder Genversionen von lokal gut angepassten Populationen aufnimmt.”
Neben den Hybridformen wurde auch die durch eine große morphologische Variabilität schwer zu beschreibende heimische „Elternart“ von dem Malakolog*innen-Team unter die Lupe genommen. „Unsere Studie ergab, dass es in und um Görlitz drei verschiedene Formen gibt, die durch morphologische und genetische Merkmale charakterisiert sind. Die in Görlitz ehemals häufigste entspricht einer im kontinentalen Mittel- und Westeuropa weit verbreiteten Unterart, eine zweite Form ist besonders aus Großbritannien bekannt. Beide Unterarten könnten auf Einschleppungen vor langer Zeit zurückgehen. Die dritte Form ist die in Nordeuropa heimische Schwarze Wegschnecke, deren Vorkommen so weit im Süden allerdings noch unbekannt war.“
Während die beiden ersten Formen mit der Ausbreitung der invasiven Spanischen Wegschnecke aus Görlitz verschwanden, konnte sich die Schwarze Wegschnecke bislang halten. „Die Tiere leben überwiegend in naturnahen Wäldern. Assistiert durch Abladen von Abfällen in Wäldern dringt die Spanische Wegschnecke mittlerweile aber auch in deren Lebensraum vor. Längerfristig könnte dies zu einer weiteren Ausbreitung des Schädlings und zum Aussterben der heimischen Art führen“, schließt Reise.
In der Vortragsreihe “Welt in Bewegung” geht es ebenfalls um invasive Arten, feindselige Lebensumstände und die Gründe der Mobilität in Pflanzen- und Tierwelt.
Im Auftaktvortrag der Reihe, “Pflanzen und Tiere als Migranten und Neubürger – die Natur als Vorbild?”, spricht der Zoologe Dieter Mahsberg über die Fluchtgründe von Lebewesen und wiefern diese als Neubürger anderorts ansässige Lebensgemeinschaften bereichern aber auch negativ beeinflussen können. Mahsberg hat sich mit der Zusammensetzung und Veränderung der Fauna verschiedener Erdregionen befasst und setzt sich mit diesem Aspekt auch im Rahmen seines Engagements im regionalen Naturschutz auseinander.
Auch (wieder)einwandernde Wildtiere, die einst durch Mensch verdrängt und ausgerottet wurden, breiten sich wieder in Europa aus. Diese Rückkehr ist Gegenstand intensiver Diskussion und Gegenstand des Vortrags von Dr. Carsten Novak aus dem Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt. Im Vortrag geht es um das aktuelle Vorkommen von Wildtier-Arten und die Erforschung ihrer Ausbreitung. Auch wird diskutiert, wie die Menschen (wieder) lernen können, mit den neuen Mitbewohnern zu leben und ein konfliktarmes Miteinander von Mensch und Wildtieren entstehen kann.
Zum Abschluss der Vortragsreihe “Welt in Bewegung – Wanderungen, Mobilität und Migration im globalen Kontext” wurde diskutiert wohin unsere Welt sich künftig bewegt – im realen wie im übertragenen Sinne. Bewegung und Migration sind ein polarisierendes Thema, zu dem es jedoch deutlich mehr Perspektiven gibt als jene, die es gemeinhin in die Schlagzeilen und sozialen Medien schaffen. Zeit also für einen rationalen Blick auf Geschichte, Hintergründe, Zusammenhänge und Auswirkungen von Bewegung. Was bedeuten diese Wanderungen von Menschen, Tieren und Pflanzen für die Ziel- und Herkunftregionen? Wie ist es um eine globale Gesellschaft bestellt, in der Waren und Touristen frei zirkulieren, die Menschen auf der Flucht jedoch fürchtet und bestraft? Und wie kann es uns als Gesellschaft gelingen, mit Bewegung und Veränderung konstruktiver umzugehen?
Es diskutieren: Prof. Dr. Nicole Deitelhoff (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung), PD Dr. Miriam Haidle (Heidelberger Akademie der Wissenschaften), Prof. Dr. Daniel Hess (Germanisches Nationalmuseum), Dr. Hanno Seebens (Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum). Moderation: Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Mosbrugger (Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung)