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Meeresforschung bei Senckenberg
Fundierte Methoden der Biodiversitätsforschung helfen uns, das System Erde zu verstehen. Unsere Wissenschafler*innen arbeiten gemeinsam mit ihren Kolleg*innen weltweit daran, die Artenvielfalt in den Ozeanen zu erfassen, die Verbreitung der Organismen zu analysieren und ihre Ökologie und Evolution zu erforschen. Auch meeresgeologische Themen stehen auf ihrer Agenda. Drei Abteilungsleiter*innen stellen ihre Arbeit vor.
Krebse als Modellorganismen
von Angelika Brandt
Die Tiefsee ist der größte Lebensraum der Erde, jedoch gehört sie zu den am wenigsten erforschten Regionen. Vor 150 Jahren dachte man noch, dort gäbe es kein Leben. Unsere bisherigen Erkenntnisse dokumentieren jedoch eine sehr hohe Artenvielfalt am Meeresboden der Tiefsee, nach einigen Schätzungen bis zu 10 Millionen Arten, von denen wir bislang nur einen Bruchteil kennen. Diese Wissenslücken wollen wir schließen.
In meiner Arbeitsgruppe untersuchen wir hauptsächlich Krebstiere, insbesondere die Meeresasseln. Diese Tiergruppe – – wissenschaftlich: Isopoda – kommt in der Tiefsee sehr häufig vor und es existieren gute Vergleichsuntersuchungen. Meeresasseln eignen sich daher gut als Modellorganismen.
Wir versuchen zu rekonstruieren, wie diese Tiere die Tiefsee besiedelt haben. Wir wollen wissen, welche ökologischen Ansprüche sie haben und wo sie diese Rahmenbedingungen vorgefunden haben. Zudem interessiert uns, wo ihre stammesgeschichtlichen Ursprünge liegen und wie ihre Evolution abgelaufen ist. Was sind die treibenden Faktoren für die hohe Biodiversität in der Tiefsee und welche Rolle spielen Konkurrenz und Koexistenz in Raum und Zeit für die Entwicklung neuer Arten. Isolationsfaktoren wie unterseeische Hartsubstrate, Gebirgsrücken und Tiefseegräben spielen dabei eine große Rolle für unser Verständnis der Populationsdifferenzierung, Artbildung und -verbreitung sowie der Evolution der Organismen in der Tiefsee. Welche biogeografischen Muster können wir mit unseren Methoden nachvollziehen und was sagt uns das über mögliche Verbreitungen der Zukunft?
Neue Biodiversitätsdatenbank
Vor dem Hintergrund der sehr schnell voranschreitenden und zum Teil anthropogen bedingten Klimaveränderungen versuchen wir auch die künftige Biodiversitätsentwicklung und biogeografische Verbreitung von häufigen Schlüsselarten zu modellieren. In den letzten zehn Jahren führten wir zum Beispiel im Nordwestpazifik vier internationale Expeditionen durch. Die von uns gesammelten Biodiversitäts- und Umweltdaten haben wir in die Datenbank OBIS (Ocean Biodiversity Information System) eingegeben und den bestehenden Datensatz damit verfünffacht. All diese Informationen stehen nun anderen Wissenschaftler*innen zur Verfügung. Unsere Daten bilden eine solide Basis für die Bewertung der biologischen Vielfalt im Nordwestpazifik. Wir können damit die zukünftige Verbreitung der Arten im arktischen Meeresökosystem vorhersagen – in einer Umwelt, die sich unter dem massiven Einfluss des Menschen schnell verändert, ist das ein äußerst relevantes Werkzeug.
Die Autorin
Prof. Dr. Angelika Brandt wurde 1995 Professorin an der Universität Hamburg und Kuratorin der Abteilung Wirbellose II (Crustacea und Polychaeta) am Zoologischen Museum Hamburg, das sie von 2004 bis 2009 leitete. Seit April 2017 ist sie Abteilungsleiterin der Marinen Zoologie am Senckenberg-Standort Frankfurt und lehrt an der Goethe-Universität. Sie erforscht die Makrofauna der Tiefsee und Polarregionen und hat bisher 29 Expeditionen durchgeführt.
Wenn marinen Ökosystemen die Luft ausgeht
von André Freiwald
Meine Arbeitsgruppe erforscht den strukturellen Aufbau und Ökosystemfunktionen in Kaltwasserkorallenriffen, die vorzugsweise an den Kontinentalrändern mehrere Hundert Kilometer lange Hügelketten bilden. In den letzten Jahren widmeten wir uns zusammen mit Wissenschaftler*innen von MARUM (Bremen), GEOMAR (Kiel) und IUP (Heidelberg) vor allem den Korallenvorkommen der westafrikanischen Kontinentalränder vor Mauretanien, Angola und Namibia.
Reiche Fischgründe in Gefahr
Alle drei Regionen zeichnen sich durch extrem geringe Sauerstoffgehalte in der Wassersäule und am Meeresboden aus, sodass wir hypoxische (Mauretanien und Angola) und sogar anoxische Bedingungen (Namibia) vorfinden. Aus Langzeitmessungen des GEOMAR im Seegebiet zwischen den Kapverden und Mauretanien wissen wir, dass der Sauerstoffgehalt des Wassers in der Tiefsee in den letzten Jahrzehnten abnimmt und die sauerstoffarmen Wassermassen – mittlerweile ebenso in geringeren Tiefen – zunehmen. Die Lebensbedingungen am Meeresboden, aber auch in der freien Wassersäule verschlechtern sich also zunehmend.
Unsere Untersuchungsgebiete stehen stellvertretend für andere sehr fischreiche Regionen der Erde und sind wie diese von ökonomisch signifikanter Bedeutung für die Versorgung der Weltbevölkerung mit Proteinen aus dem Meer. Was passiert mit diesen Fischgründen, wie reagiert das Ökosystem Meer mit all seinen Teilsystemen überhaupt, wenn wir weiter auf eine ökologische Krise zusteuern? Und was können wir aus ähnlichen globalen Anoxia-Krisen der Erdgeschichte und den damit verbunden Massenaussterben lernen?
Wissenstransfer nach Westafrika
Wir setzen bei unseren Forschungen in Westafrika zunehmend auf den Wissenstransfer vor Ort. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt derzeit unsere Arbeit mit Partnern in Mauretanien. Mit ihnen bauen wir eine biologische Referenzsammlung für die marinen Organismen Mauretaniens auf und entwickeln eine DNA-Barcode-Bibliothek. All diese Informationen werden dann über ein marines Geografisches Informationssystem (GIS) abrufbar sein. Damit wollen wir moderne Werkzeuge der Ökosystemforschung in Mauretanien etablieren. Unsere Arbeit erfährt vor Ort auch von der Politik Wertschätzung. Gemeinsam mit anderen Institutionen konnten wir der Regierung des westafrikanischen Landes bereits Vorschläge für ein Netzwerk von Meeresschutzgebieten unterbreiten. Dieses Konzept soll dann auch das bereits vorhandene UNESCO-Weltnaturerbe Banc d‘Arguin, das größte Wattenmeer Afrikas, einbeziehen. Dieser Erfolg ist für uns sehr ermutigend, und so sehen wir der kommenden UN-Dekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung mit leichtem Optimismus entgegen.
Der Autor
Prof. Dr. André Freiwald ist seit 2010 Leiter der Abteilung Meeresforschung und hält derzeit die Institutsleitung von Senckenberg am Meer, Wilhelmshaven, in seinen Händen. Zugleich hat er eine Professur für Meeresgeologie an der Universität Bremen inne. Seit 1994 widmet er sich Kaltwasserkorallen, die er auf mehr als 30 Hochseeexpeditionen studiert hat.
Molekulare und klassische Taxonomie kombinieren
von Pedro Martinez Arbizu
Wer die Artenvielfalt eines Lebensraums untersucht, muss Lebewesen sammeln, bestimmen und sie anschließend wiederauffindbar verwahren. Um genau das am Senckenberg zu ermöglichen, wurde im Jahr 2001 das Deutsche Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung (DZMB) gegründet. Wir sorgen mit unseren Mitarbeiter*innen an zwei Standorten dafür, dass die auf den Expeditionen gesammelten Meereslebewesen bestimmt und anschließend so in den Sammlungen aufbewahrt werden, dass andere Wissenschaftler*innen sie wiederfinden und für zukünftige Forschungen auswerten können. Die taxonomischen Schwerpunkte des DZMB Hamburg sind die Organismen des Makrobenthos (Krebse und Würmer), des Zooplanktons und Cnidaria (Nesseltiere). In Wilhelmshaven studieren wir hauptsächlich Organismen der Meiofauna und Dinoflagellaten.
DNA-basierte Artbestimmung
Viele Organismen können wir mit herkömmlichen Methoden bestimmen. Wir entwickeln aber auch molekulare Methoden, mithilfe derer sich die Arten bei großen Individuenzahlen sehr effizient bestimmen lassen. Nur so sind wir in der Lage, die Artenvielfalt eines Ökosystems in einer Zeit zu erfassen, wie es zum Beispiel für das Monitoring vor und während menschlicher Eingriffe in diesen Lebensraum gebraucht wird. Auf der Grundlage DNA-basierter Methoden hat das DZMB über 1000 marine Arten von der Nordsee bis in die entlegensten Meeresregionen unserer Erde charakterisiert. Mit diesem genetischen Strichcode können wir nicht nur erwachsene Tiere, sondern auch ihre Larven und Eier bestimmen; was mit herkömmlichen Methoden oft nicht möglich ist.
Die Daten stellen wir über internationale Datenbanken (Barcode of Life System) der (Fach-)Öffentlichkeit zur Verfügung. Unsere eigene Datenbank ist mittlerweile so groß, dass wir sie als Referenz für eine weitere innovative und am DZMB entwickelte Bestimmungsmethode – MALDI-TOF – nutzen können; mit diesem Verfahren lassen sich Arten mithilfe von Massenspektronomie bestimmen.
Folgen von Fischerei und Tiefseebergbau
In der Nordsee untersuchen wir die langfristige Veränderung des Planktons unter dem Einfluss des Klimawandels sowie die Effekte der Fischerei auf die Nahrungsnetze. In der Tiefsee versuchen wir herauszufinden, wie der Abbau beispielsweise von Manganknollen und Massivsulfiden die abyssalen Ökosysteme beeinflussen könnte. Welches Ausmaß wird der großflächige Einsatz von Erntemaschinen auf dem Meeresboden haben? Wie sensibel sind die Lebensgemeinschaften dort und wie werden sie auf den Tiefseebergbau reagieren? Und wie lange wird es dauern, bis sie sich wieder erholen?
Fragen über Fragen und Probleme, die sich nur global beantworten beziehungsweise lösen lassen. Und die Senckenberg-Meeresforscher*innen werden sich ihnen gemeinsam mit ihren Partner*innen in aller Welt stellen.
Der Autor
Prof. Dr. Pedro Martínez Arbizu ist seit Anfang 2001 Leiter des DZMB. An der Universität Oldenburg leitet er die AG Marine Biodiversitätsforschung. Zuvor war er Professor für Zoologie an der Universidade Federal de Paraná in Brasilien. Seit über 30 Jahren untersucht er die Artenvielfalt in den Weltmeeren und hat über 120 Publikationen verfasst, unter anderem in der Zeitschrift „Marine Biodiversity“, für die er als Editor-in-Chief tätig ist.