NFm-1-3-2021
Alpine Steppe in der westlichen Provinz Qinghai, ca. 5000 m über dem Meeresspiegel gelegen. Im Hintergrund das Tanggula-Gebirge, das die Grenze zwischen dem Autonomen Gebiet Tibet und Qinghai markiert.

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Forschung auf dem Dach der Welt

Tibet und der Himalaya sind eine Schlüsselregion für Senckenberg – und für die Menschheit


Im Himalaya liegen die höchsten Berggipfel, Tibet ist das größte Hochland und dort entspringen Flüsse, in deren Einzugsgebiet ein Drittel der Menschheit wohnt. Auch die Geobiodiversität der Region wartet mit Superlativen auf – es gibt kaum ein anderes Gebiet, in dem Geologie, Biodiversität und Landnutzung in vergleichbar engem Wechselspiel stehen.

Zentralasien ist eine Schlüsselregion, um zentralen Fragen der Grundlagenforschung nachzugehen und Konzepte zur nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen zu erarbeiten.

Das Wechselspiel zwischen Biodiversität und Landnutzung …

In den letzten 15 Jahren hat sich die Forschungszusammenarbeit mit Partnern in China beziehungsweise Tibet sowie angrenzenden Regionen wie der Mongolei stark intensiviert. Wir haben das Glück, Teil dieser Entwicklung zu sein, die untrennbar mit den Aktivitäten Volker Mosbruggers verbunden ist. Unter seiner Federführung sind neue Forschungsinitiativen begonnen und bestehende Projekte weiter vernetzt worden – der so entstandene Schwung trägt uns bis heute weiter.

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Professor Volker Mosbrugger arbeitete konzentriert in seinem Freiluft-„Büro“ auf etwa 4000 Meter über dem Meeresspiegel.

… in disziplinen- und länderübergreifenden Forschungsinitiativen untersuchen

Zu nennen sind das große DFG-Schwerpunktprogramm „Tibetan Plateau: Formation – Climate – Ecosystems“ und das koordinierte BMBF-Programm „CAME – Central Asian Monsoon Environments“, in denen Senckenberg und sein Generaldirektor zentrale und koordinierende Aufgaben hatten (Wesche 2013). So konnten wir über Jahre im Rahmen dieser Programme umfangreiche Forschungen in Tibet durchführen. Im Vordergrund standen die Auswirkungen der in ganz Zentralasien verbreiteten Beweidung, die traditionell in mobiler („nomadischer“) Lebensweise praktiziert wird, aber gegenwärtig rasanten Veränderungen unterliegt.

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Die Teilnehmer*innen der deutsch-chinesischen Kobresia-Ökosystem-Exkursion im Juli 2015 vor dem Puma Yumco (5030 m ü. d. M.), dem „Blauen Juwel, das am Himmel schwebt“.

Im DFG-geförderten Verbundprojekt KEMA konnten wir eine neue Forschungsstation mitten in Tibet nutzen, die in einer Kooperation der Universitäten Marburg und Lhasa mit Mitteln des DAAD aufgebaut worden war. In multidisziplinären Teams, an denen noch weitere Partner aus Göttingen, Hannover, Bayreuth sowie Kunming, Beijing und Lhasa beteiligt waren, haben wir die Auswirkungen von Yak- und Schafbeweidung untersucht.

Überraschende Ergebnisse

Es zeigte sich, dass der Einfluss der Beweidung auf Diversität von Pflanzen und Kleinsäugern, aber auch auf die Kohlenstoffflüsse nicht so negativ ist, wie wir dies angenommen hatten. Diese lokalen Befunde konnten wir durch eine expeditiv angelegte Studie untermauern: Im PaDeMoS-Projekt des BMBF haben wir über einen 5000 Kilometer langen Transekt Weideländer vom feuchten Osten Tibets bis in den trockenen Westen untersucht. Es zeigte sich, dass zum Beispiel Ameisen, Kleinsäuger, Pflanzen oder Böden unterschiedlich auf Beweidung reagieren (Wang et al. 2018), beweidungsbedingte Degradation sich aber insgesamt nur auf bestimmte und oft kleinflächige Gebiete beschränkt.

Eine wesentliche Rolle bei unseren Forschungen spielten Exkursionen, auf denen wir ganz im Humboldtschen Sinne durch möglichst umfassende Beobachtung die Geoökosysteme besser zu verstehen gelernt haben. Ergebnis dieser engen Verzahnung verschiedener Perspektiven war eine übergreifende Publikation eines 36-köpfigen Autor*innenteams (Miehe et al. 2019). Darin konnten wir die Gesamtökologie der Kobresia-Matten des östlichen Tibets in vielerlei Hinsicht neu bewerten und zeigen, dass die Landnutzung keinesfalls immer negative Auswirkungen auf die Ökosysteme haben muss. Gerade traditionelle Landnutzungsfomen können einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Volker Mosbrugger ist bei diesen Aktivitäten maßgeblich beteiligt und vor Ort dabei gewesen, und dennoch hat er es geschafft, die Geschicke des großen „Tankers Senckenberg“ auch aus der Ferne weiter zu steuern (s. Abb. oben). Das von ihm maßgeblich entwickelte Konzept der Geobiodiversitätsforschung trägt also Früchte, das zeigen auch Nachfolgeprojekte wie das große BMBF-Projekt „BioTip“ in den Weideländern der Mongolei.

Literatur

Miehe, G., Schleuss, P.-M., Seeber, E., Babel, W., Biermann, T., Braendle, M., Chen, F., Coners, H., Foken, T., Gerken, T., Graf, H.-F., Guggenberger, G., Hafner, S., Holzapfel, M., Ingrisch, J., Kuzyakov, Y., Lai, Z., Lehnert, L., Leuschner, C., Li, X., Liu, J., Liu, S., Ma, Y., Miehe, S., Mosbrugger, V., Noltie, H.J., Schmidt, J., Spielvogel, S., Unteregelsbacher, S., Wang, Y., Willinghöfer, S., Xu, X., Yang, Y., Zhang, S., Opgenoorth, L., Wesche, K. (2019): The Kobresia pygmaea ecosystem of the Tibetan highlands – Origin, functioning and degradation of the world‘s largest pastoral alpine ecosystem: Kobresia pastures of Tibet. – Science of The Total Environment 648: 754–771.

Wesche, K. (2013): Wie verbreitet ist Degradation in tibetischen Weideländern? – Senckenberg – Natur, Forschung, Museum 143: 18–23.

Wang, Yun, Lehnert, L., Holzapfel, M., Schultz, R., Heberling, G., Görzen, E., Meyer, H., Seeber, E., Pinkert, S., Ritz, M., Fu Yao, Ansorge, H., Bendix, J., Seifert, B., Miehe, G., Long Ruijun, Yang Yong-Ping & Wesche, K. (2018): – Multiple indicators yield diverging results on grazing degradation and climate controls across Tibetan pastures. – Ecological Indicators 93: 1199–1208.

Die Autor*innen

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Dr. Yun Jäschke arbeitet als Postdoc in der Abteilung Botanik am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz. Ihr Interesse gilt Vegetationsveränderungen in Graslandsystemen insbesondere Zentralasiens, den Interaktionen abiotischer (Klima) und biotischer (Beweidung) Treiber von Ökosystemveränderungen und Reaktionen im Bereich Plant Functional Traits unter Klima- und Nutzungsstress.
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Prof. Dr. Karsten Wesche ist Leiter der Abteilung Botanik am Senckenberg-Standort Görlitz und Professor für Biodiversität der Pflanzen an der TU Dresden. Seine Hauptforschungsgebiete sind Effekte von Landnutzungs- und Klimawandel in den Kulturlandschaften Mitteleuropas und den Trockengebieten Zentralasiens.
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Prof. Dr. Georg Miehe ist pensionierter Professor für Biogeografie an der Universität Marburg. Zu seinen vornehmlichen Forschungsschwerpunkten gehören historische und rezente Effekte von Klima und Landnutzung in Gebirgen, insbesondere in Tibet und Äthiopien.

Kontakt

Dr. Yun Jäschke
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
Am Museum 1
D-02826 Görlitz
yun.wang@senckenberg.de