NFM 10-12-2020
Altsteinzeitliche Jagdszene. Aquarell mit freundlicher Genehmigung von Benoît Clarys.

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300.000 Jahre alter Wurfstock dokumentiert die Evolution der Jagd

Steinzeitmenschen aus Schöningen setzten Holzwaffen bei der Jagd auf Wasservögel und Pferde ein.


Die Steinzeit-Jäger waren geschickt, hocheffizient und verwendeten ein Arsenal verschiedener Holzwaffen: Dies zeigt ein rund 300.000 Jahre alter „Wurfstock“ aus der Freilandfundstelle Schöningen in Niedersachsen, den Forscher*innen des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und der Universität Liège (Belgien) geborgen und analysiert haben.

Ein Wurfstock – manchmal auch Wurfholz genannt – ist in seiner simpelsten Form nur ein natürlicher Stock, der geworfen wird, um entweder einen Gegner zu vertreiben oder unerreichbare Nahrung (Früchte, Nüsse, Nester) doch zu erreichen. Bereits verschiedene Affenarten verwenden erfolgreich solche Hölzer. Als echte Fernwaffe kann er so unterschiedlich sein, wie die Kulturen, die ihn verwendet haben, u.a. Alte Ägypter, Etrusker, viele Sammler*innen und Jäger*innengruppen in Australien, Tasmanien, Afrika und Amerika.

Wurfstöcke werden in ähnlicher Weise geworfen wie ein Bumerang, auch sie rotieren während des Flugs um ihren eigenen Schwerpunkt. Die Rotation sorgt hierbei für eine hohe Treffgenauigkeit. Zudem trifft das Holz nicht mit der Spitze auf das angepeilte Zielobjekt, sondern mit seiner Längsseite – die Impaktfläche ist dadurch sehr groß. Die Wurfstöcke kehren allerdings nicht zum Werfer zurück und ihre Flugbahn beschreibt eher eine nur leicht gebogene Linie. Ein geübter Werfer trifft mit einem solchen Wurfholz sehr zuverlässig und hat somit eine effektive Waffe, die er über verschiedene Entfernungen einsetzen kann.

Erstmals Belege für die Verwendung

Die neu beschriebene Holzwaffe aus Schöningen ist 64,5 cm lang. Mindestens 21 kleine Äste wurden abgetrennt. Der Speer wurde sorgfältig aus einem Ast oder Stamm einer Fichte so geschnitzt, dass beide Enden spitz zulaufen. Die Analyse der Gebrauchsspuren lässt auf eine Verwendung als Fernwaffe schließen. Die Einschlagspuren im mittleren Bereich ähneln stark den Beschädigungen, die wir von australischen und tasmanischen Wurfhölzern für die Jagd auf Vögel kennen. Damit haben wir zum ersten Mal klare Belege für die Funktion eines solchen Geräts in der Altsteinzeit.

NFM 10-12-2020
Wurfstock aus Schöningen 13 II-4. 

Viele weitere Funde

Der Wurfstock stammt aus der Fundschicht 13 II­4, aus der bereits in den 1990er Jahren immer wieder sehr gut erhaltene Wurfspeere, eine Stoßlanze sowie andere Holzwerkzeuge bislang ungeklärter Funktion ausgegraben wurden. Homo heidelbergensis verwendete den Wurfstock bei der Jagd vermutlich in unterschiedlicher Form, sei es um Wasservögel zu jagen – Knochen und Eierschalen von Schwänen und Enten sind aus der Fundschicht gut belegt – oder um größere Säugetiere bei der Jagd vor sich herzutreiben.

Die Holzfunde aus Schöningen beweisen hiermit, dass Jäger bereits vor 300.000 Jahren unterschiedliche hochwertige Waffen wie Wurfstöcke, Wurfspeere und Stoßlanzen in Kombination eingesetzt haben.

Selten erhaltenes Artefakt

Die Chancen, bei der Ausgrabung paläolithischer Fundstätten Artefakte aus Holz zu bergen, sind normalerweise verschwindend gering. Nur dank der fabelhaften Erhaltungsbedingungen in wassergesättigten Seeufersedimenten in Schöningen können wir die Evolution der Jagd und die vielfältige Nutzung von Holzwerkzeugen dokumentieren. Die Fundstelle Schöningen liefert mit Abstand die zahlreichsten und bedeutendsten paläolithischen Holzwerkzeuge und Jagdwaffen der Welt.

Literatur

Nicholas J. Conard, Jordi Serangeli, Gerlinde Bigga & Veerle Rots (2020): A 300,000­ year­old throwing stick from Schöningen, northern Germany, documents the evolution of human hunting. – Nature Ecology & Evolution, DOI: 10.1038/s41559­020­1139­0.

Die Autoren

NFM 10-12-2020
Prof. Nicholas J. Conard ist als Professor für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie an der Universität Tübingen tätig. Darüber hinaus leitet er das Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment sowie das Forschungsprojekt Schöningen.
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Dr. Jordi Serangeli hat an der Eberhard­-Karls­Universität Tübingen zu Älterer Urgeschichte und Quartärökologie promoviert und leitet seit 2008 die Grabungen an der Fundstelle Schöningen. Der Archäologe koordiniert außerdem die Arbeiten des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment in Schöningen.