Georgina Mace

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Prof. Georgina Mace

Grande Dame des Artenschutzes und der Ökosysteme gestorben


Über 35 Jahre erforschte die britische Biologin den Verlust an Biodiversität und Ökosystemveränderungen.

von Thorsten Wenzel

Ihr Name ist untrennbar mit der internationalen „Roten Liste gefährdeter Tier- und Pflanzenarten“ verbunden. Doch schon lange vor ihrer Arbeit bei der IUCN brachte sich Georgina Mace für den Schutz von Gorillas, Nashörnern, Fledermäusen und vielen anderen Tieren ein. Am 19. September 2020 starb sie im Alter von 67 Jahren – drei Monate zuvor standen wir wegen eines Porträts mit ihr im Austausch: Viele viele Stationen und Projekte erzählen beredt von einem erfüllten Leben als Forscherin.

Erste Berührung mit dem Artenschutz

Wir gehen zurück in die Mitte der 1980er Jahre. Es ist die Zeit, in der offenkundig wurde, dass die Welt auf eine „Biodiversitätskrise“ zusteuerte. Damals war die Nachwuchsforscherin noch in den USA an der Smithsonian Institution in Washington, D. C. tätig und sah sich erstmals intensiver mit Artenschutzfragen konfrontiert. Unzählige Tier- und Pflanzenarten in verschiedenen Lebensräumen waren vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt, was die Wissenschaftler*innen weltweit auf den Plan rief, ihre Erfassung und ihren Schutz weiter voranzutreiben. Georgina Mace fühlte sich in diesem Forschungsfeld von Anfang an zu Hause und arbeitete mit Elan an der Entwicklung von Schutzkonzepten. „Krisenwissenschaft nannte es der berühmte Naturschutzbiologe Michael Soule, Gründer der Society for Conservation Biology, und ich war eines ihrer ersten Mitglieder“, so die Forscherin.

IUCN-Jahre

Die Arbeit am Smithsonian führte sie 1988 zu einem Langzeitprojekt bei der International Union for the Conservation of Nature. Es war eine in hohem Maße herausfordernde und verantwortungsvolle Aufgabe, galt es internationale Standards für die Klassifizierung aufzustellen beziehungsweise Kriterien und Indikatoren von Tier- und Pflanzenarten mit dem höchsten Aussterberisiko zu entwickeln. Dazu Georgina Mace: „Es waren Jahre, in denen ich mit Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen zusammenarbeitete und viel über die Beziehung – und die Grenzen – zwischen Wissenschaft und Politik, über persönliche, öffentliche und staatliche Belange gelernt habe, Jahre in denen man als Wissenschaftler*in Kompromisse einzugehen hatte, etwa bei der Festlegung von Gefährdungskategorien bestimmter Arten.“

MEA und IPBES

Auch beim Millennium Ecosystem Assessment (MEA), der 2001 von den Vereinten Nationen in Auftrag gegeben wurde, war die Expertise von Georgina Mace gefragt. Ziel der Studie war es, die Ökosysteme auf der Erde zu klassifizieren, eine politikrelevante Bewertung ihres Zustands abzugeben; auch im Hinblick darauf, ob sie ihre nutzenstiftenden Leistungen, wie beispielsweise den Zugang zu Wasser und Nahrung, auch noch in Zukunft für den Menschen erbringen können. Wegen ihres breiten Wissens über die biologische Vielfalt, über bedrohte Arten und ihrer guten Kontakte zu Expert*innen weltweit wurde Mace Leitautorin des Kapitels Biodiversität. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche Rolle die Biodiversität bei der Bereitstellung von Ökosystemleistungen spielt. „Im Grunde ist das ganz einfach“, betont die Forscherin: „Ökosysteme werden durch die Wechselwirkungen zwischen lebenden (biotischen) und nicht lebenden (abiotischen) Komponenten definiert und in Gang gehalten. Entsprechend können sie ohne ihre Organismen nicht existieren beziehungsweise funktionieren – und damit die für uns Menschen essenziellen Leistungen nicht bereitstellen.“

Die Wissenschaftler*innen hatten viele überzeugende Zahlen und Statistiken zusammengetragen, die den anhaltenden Verlust von Arten und die Veränderungen von Ökosystemen belegen. Und die jährlich veröffentlichten „Roten Listen“ bestätigten diesen Negativtrend und dokumentierten steigende Gefährdungsraten von Tier- und Pflanzenarten.

Bei der Veröffentlichung des MEA im Jahr 2005 waren es vor allem die Zahlen zur Aussterberate, die in die Schlagzeilen kamen und das öffentliche Interesse und Besorgnis erregten. Dass Ökosysteme für uns Menschen jedoch aus anderen Gründen als durch den vermeintlichen Verlust charismatischer Arten wesentlich sind, ging in den populären, mit charismatischen Tigern, Nashörnern und Elefanten in Szene gesetzten Presseberichten unter. Den gleichen Effekt hatte Anfang 2019 die Veröffentlichung des Global Assessment Reports des Intergovernmental Panel on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES 2019).

Ist der Wert der Natur monetär messbar?

Im Anschluss an das MEA nahm das Umweltministerium der britischen Regierung (DEFRA) im Vereinigten Königreich eine monetäre Bewertung von Ökosystemen und biologischer Vielfalt vor. Im Rahmen dieses UK National Ecosystem Assessment (NEA) ist es gelungen, zahlreiche Ökosystemleistungen auf nationaler Ebene zu kartieren, zu bewerten und die Bedeutung nicht marktfähiger Leistungen, wie etwa Erholungspotenzial oder Kohlenstoffbindung, aufzuzeigen. Dabei zeigte sich Folgendes: Marktwerte zum Beispiel aus der Nahrungsmittelproduktion hatten, nachdem die Subventionen herausgerechnet worden waren, tatsächlich einen bemerkenswert niedrigen Wohlstandswert. Die Modelle zeigten deutlich, dass Landbewirtschaftungsstrategien, die auf soziale Werte von Ökosystemleistungen und ihre Gesundheit und Produktivität abzielen, für die Erhaltung der biologischen Vielfalt förderlich waren.

 

Das White Paper

Die Ergebnisse des NEA rief die Politik auf den Plan. In ihrem Manifest „The Natural Choice“ hieß es: „Die Regierung strebt an, der nachfolgenden Generation die natürliche Umwelt Englands in einem besseren Zustand zu überlassen, als sie diese vorgefunden hat. Um dies zu erreichen, müssen sektorübergreifende Maßnahmen ergriffen werden, anstatt Umweltbelange isoliert zu behandeln. Diese Maßgabe verlangt von uns allen, den Wert der Natur in den Mittelpunkt unserer Entscheidungsfindung zu stellen – innerhalb der Regierung, der lokalen Gemeinschaften und der Unternehmen. Auf diese Weise verbessern wir die Qualität und wir erhöhen den Wert der natürlichen Umwelt in ganz England.“

Um dieses Ziel zu erreichen, wurde ein Natural Capital Committee (NCC) gegründet, in dem neben zahlreichen Ökonomen auch einige Wissenschaftler*innen vertreten waren. „Es war eine völlig neue und hochinteressante wie inspirierende Tätigkeit“, berichtet Mace. „Wir diskutierten lebhaft darüber, ob und wie Naturkapital sich schätzen und messen lässt. Kritische Stimmen im NCC vertraten die Auffassung, dass man die Natur ab- oder gar entwertet, indem man sie in monetäre Werte fasst.“ Mace vertritt einen konträren Standpunkt: „Wir degradieren Natur nicht auf ein schieres Handelsgut, indem wir ihr einen Marktpreis geben – aber ein solcher Geldwert verleiht ihr Ernsthaftigkeit.“ Doch welcher Wert ist der richtige? Wie lassen sich etwa Biodiversitätsverluste beziffern? Die wirtschaftliche Bewertung ist ein Lösungsansatz, aber sie ist bei Weitem nicht ausreichend. Eine Bewertung ist nützlich, um zu zeigen, dass der Verlust der biologischen Vielfalt neben den Veränderungen im Ökosystem auch mit wirtschaftlichen Konsequenzen einhergeht – und damit in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Berücksichtigung finden muss.

Und last but not least: Auf unserem Weg in eine nachhaltige Gesellschaft ist Biodiversität eine Konstante, die im Zusammenhang von Umweltfragen der Gegenwart zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Dazu Mace: „Viele jüngere Entwicklungen und Ereignisse, nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie, haben in unserer Gesellschaft einen Wertewandel angestoßen – wir wollen die biologische Vielfalt erhalten und lernen, im Einklang mit der Natur zu leben.“

Zur Person

Georgina Mace war Professorin für biologische Vielfalt und Ökosysteme am University College London. Zuvor war sie Präsidentin der Society for Conservation Biology und Präsidentin der British Ecological Society. 2002 wurde sie zur Fellow of the Royal Society gewählt. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter 2007 den Internationalen Kosmos-Preis, den A.-H.-Heineken-Preis für Umweltwissenschaften und 2016 die Linné-Medaille der Linnean Society of London. 2015 nahm Sie in Frankfurt a. M. den „Senckenberg-Preis für Natur-Forschung“ entgegen. ((XXX – recent research/projects))