Paläozoologie

Forschung

Forschungsschwerpunkte der Sektion Paläozoologie des MMG Dresden sind Makro-Invertebraten, d.h. relativ großwüchsige wirbellose Tiere wie Muscheln, Schnecken und Ammoniten (Kopffüßer). Zeitlicher Fokus ist das Mesozoikum (= Erdmittelalter: ca. 250-65 Mio. Jahre vor heute), insbesondere die mittlere Kreidezeit (ca. 120-80 Mio. Jahre vor heute).

Makro-Invertebraten

Makro-Invertebraten haben den großen Vorteil, aufgrund ihrer Größe und morphologischen Merkmale recht leicht bestimmbar und paläo-ökologisch interpretierbar zu sein. Fossile Makro-Invertebraten
• reflektieren einen großen Teil der Paläo-Biodiversität der Erde,
• stellen die besten Gruppen für hoch-auflösende Biostratigraphie, d.h. die relative Altersdatierung (z.B. die Ammoniten und Inoceramen),
• besitzen recht gut bekannte Umwelt-Präferenzen (z.B. hinsichtlich der Temperatur und Salinität),
• sind direkte Zeugen und wichtige Archive des vergangenen Globalen Wandels.

Fossile Makro-Invertebraten sind somit hervorragende Werkzeuge in der Paläoumwelt-Rekonstruktion. Die Analyse fossiler Makro-Invertebraten sowie ihrer Gemeinschaften und Lebensräume kann somit genutzt werden, um vergangenen Globalen Wandel zu entziffern und in Raum und Zeit zu verfolgen.

Zum Thema siehe auch: https://www.senckenberg.de/presse/senckenberg-packt-aus/interview-markus-wilmsen/

Das Mesozoikum

Das Mesozoikum war größtenteils eine intensive Treibhauswelt mit einem um ein Vielfaches höheren CO2-Gehalt als heute. Marin abgelagerte Sedimentgesteine und ihre Fossilien sind wertvolle Archive dieses bewegten erdgeschichtlichen Zeitintervalls. In ihnen dokumentieren sich die evolutive Umgestaltung einer vergleichsweise modernen Lebewelt, lang- und kurzzeitige Klimaveränderungen, Umweltkatastrophen globalen Ausmaßes sowie intensive plattentektonische Aktivität und schnelle paläogeographische Veränderungen. Die Analyse mesozoischer Sedimentgesteine und ihres fossilen Inventars erlaubt es uns, die Funktionsweise von Paläo-Ökosystemen unter den Bedingungen eines extremen Treibhausklimas zu verstehen und die Veränderungen der Paläo-Biodiversität in Zeit und Raum an ausgewählten Organismengruppen zu verfolgen. Somit kann der vergangene globale Wandel ein Schlüssel für das Verständnis möglicher Zukunftsszenarien unseres Planeten Erde sein:
The past is the key to future global change.

Die Analyse und Rekonstruktion sowie das funktionelle Verständnis komplexer mesozoischer Ökosysteme erfordert einen interdisziplinären Ansatz, der klassische Paläontologie und Sedimentgeologie mit den Methoden moderner Mikrofaziesanalyse, Isotopen-Geochemie, quantitativer Paläookologie und der höchstauflösenden, integrierten Stratigraphie kombiniert. Mittels spezifischer Fallstudien, überwiegend aus ehemaligen Schelfbereichen der Ozeane, werden die Muster des mesozoischen Wandels aufgezeigt, die Steuerungsfaktoren benannt und im Hinblick auf mögliche Zukunftsszenarien gedeutet.

Drittmittelprojekte

DFG-Projekt WI 1743/11-1
Titel:
Umweltbedingungen und Glaukonitgenese – Hinweise von Grünsand-Giganten der späten Kreidezeit (seit 11/2019)
Wissenschaftlicher Mitarbeiter (M.Sc.): Niklas Metzner 

Grüne authigene marine Tone entwickelten sich in der Erdgeschichte vom späten Paläoproterozoikum bis heute mit einem Akkumulationsmaximum in der Kreidezeit. Dieses Projekt zielt darauf ab, die Umweltparameter zu verstehen, die die massive Bildung von grünen authigene Tonmineralien während der (frühen) Oberkreide (Cenomanium bis Coniacium) kontrollierten und deren Akkumulation zu mächtigen und weit verbreiteten Grünsandabfolgen („greendsand giants“) in den Küstenbereichen vieler Kreide-Becken weltweit begünstigten. Ziel des integrierten Ansatzes, der stratigraphisch-sedimentologische und mineralogisch-geochemische Untersuchungen im Kontext der kreidezeitlichen Umweltbedingungen und Paläogeographie betrachtet, ist ein umfassendes Verständnis der aus heutiger Sicht an-aktualistischen Bildungsbedingungen oberkretazischer Grünsand-Giganten: die massive, sehr weit verbreitete Bildung und Akkumulation von küstennahen, Glaukonit-faziellen Grünsanden hat kein rezentes Analog. Diese Beobachtungen legen nahe, dass die Gegenwart nicht immer der Schlüssel zur Vergangenheit ist. Die Hauptziele des Projekts können wie folgt zusammengefasst werden:

  1. Untersuchung der stratigraphischen, sedimentologischen und paläogeographischen Bedingungen von Grünsandvorkommen rund um die Mitteleuropäische Insel.
  2. Quantitative Daten zu den gesteinsbildenden grünen Tonmineralen zu erarbeiten (Morphologie, Farbe, Abundanz, Mineralogie, Geochemie).
  3. Charakterisierung und Verständnis der geochemischen Rahmenbedingungen der Grünsandvorkommen.
  4. Test der Hypothese, dass die großflächige Bildung und Akkumulation von küstennahen Grünsanden während der (frühen) Oberkreide wesentlich mit dem flachmarinen Chemismus zusammenhängt.

Das Forschungsprojekt ist somit zwar regional aufgehängt, behandelt aber ein globales Phänomen von übergeordneter Bedeutung, welches im geplanten Arbeitsgebiet hervorragend eingegrenzt und analysiert werden kann: die integrierte Analyse und der Vergleich verschiedener Grünsandvorkommen rund um die Mitteleuropäische Insel werden wichtige Hinweise auf die Bildungsbedingungen oberkretazischer Grünsand-Giganten geben.

DFG-Projekt WI 1743/8-1 (erfolgreich abgeschlossen)
Titel:
 Biodiversität und Plankton–Benthos-Koppelungsmuster: Eine integrierte Ökosystemanalyse der spätkreidezeitlichen „Schreibkreide“-Fazies

Zusammenfassung: Die Struktur mariner Nahrungsketten in prä-känozoischen Ozeanen ist nur wenig bekannt, da sich integrierte paläobiologische Studien bisher bevorzugt der Rekonstruktion geologischer Ablagerungsräume widmeten. Trotz einer oft guten Kenntnis der taxonomischen und palökologischen Zuordnung individueller Gruppen von Organismen (z. B. kalkiges Nannofossilien, Foraminiferen, Bivalven etc.) gibt es kaum Ansätze, die qualitative und quantitative paläobiologische Daten taxonomisch verschiedener Nanno-, Mikro- und Makrofossilgruppen nutzen, um Nahrungsketten, Ernährungsstrategien und Nahrungsflüsse der Vergangenheit zu rekonstruieren.
Unser Ziel ist es, die Struktur und Zusammensetzung einer kreidezeitlichen Nahrungskette über das Koppelungsmuster von Primärproduzenten und Konsumenten zu verstehen. Es ist geplant Plankton und Benthos jeweils aus identischen Proben der Schreibkreide-Fazies des Unter-Maastricht, einer paläoozeanographisch mutmaßlich oligotroph-stabilen Phase, zu bearbeiten. Der kombinierte Datensatz soll zu einer integrierten Ökosystemanalyse eines Abschnittes des spätkreidezeitlichen „Schreibkreide-Meeres“ führen. Es sollen folgende Fragen geklärt werden:

a) Wie funktionierte die Plankton- Benthoskoppelung und der Nährstofffluss unter oligotrophen Bedingungen in einem großen epikontinentalen Schelfmeer?
b) Wie beeinflusst ein geringer vertikaler Corg-Fluss das Benthos?
c) Werden kleinere, orbital gesteuerte Produktivitätsänderungen durch die paläontologischen und geochemischen Proxies widergespiegelt?
d) Welche palökologische und paläoozeanographische Bedeutung haben spezifische makrofossilreiche Horizonte?

DFG-Projekt WI 1743/6-1/6-2 (erfolgreich abgeschlossen)
TitelTest der Gleichaltrigkeit, Abschätzung der Raten und Evaluierung der zeitlichen Muster früh-oberkretazischer Meeresspiegelschwankungen: ein integrierter Ansatz.

Zusammenfassung: Die warme früh-oberkretazische Treibhausphase war gekennzeichnet durch einen generellen Meeresspiegelanstieg, der jedoch wiederholt von kurzfristigen Regressionen unterbrochen wurde. Die Gründe hierfür sind noch schlecht verstanden. Einige der Regressionen sind jedoch mit Glazio-Eustasie in Verbindung gebracht worden, im Wesentlichen basierend auf der zeitlichen Übereinstimmung mit positiven d18O-Exkursionen in Foraminiferen-Kalzit aus ODP-Kernen. Der Isotopenbeweis ist aber häufig zweifelhaft und die ODP-Kerne sind nur schlecht mit den Onshore-Abfolgen parallelisierbar. Allerdings liefern Onshore-Profile viel bessere und umfangreichere Informationen, um die Muster früh-oberkretazischer Meeresspiegelschwankungen zu erkennen und ihre Ursachen zu verstehen: Sequenzgrenzen sind gut ausgebildet und ein wesentlicher Vorteil liegt in ihrer guten stratigraphischen Einstufung, besonders durch hochauflösende Makrofossil-Biostratigraphie. Dazu können mit Hilfe von Isotopen- und Zyklostratigraphie höchstauflösende, integrierte Gliederungen erarbeitet werden.

Zusammen mit der Analyse der (Bio-)Fazies, stratalen Architekturen (On-/Offlap) und dem erosiven Einschneiden an den Sequenzgrenzen können recht exakte Angaben zu den Magnituden und Raten früh-oberkretazischer Meeresspiegelschwankungen gemacht werden. Um ihre Gleichaltrigkeit zu testen, wird eine sequenzstratigraphische Vergleichsstudie ausgewählter Cenoman – Turon-Profile (ca. 100-90 Mio. Jahre vor heute) über verschiedene tektonische Platten hinweg (Europa, Nordafrika, Mittlerer Osten) angestrebt. Darüber hinaus wird die Periodizität der Meeresspiegelschwankungen und ihre Steuerung durch hochfrequente Milankovitch-Zyklen (<500.000 J.) und deren Modulation in langwellige Zyklen (>1 Mio. J.) evaluiert. Die Studie ist ein wichtiger Test für ausschließlich Isotopen-basierte Meeresspiegelrekonstruktionen und hat auch Konsequenzen für Vorraussagen zur zukünftigen Entwicklung des globalen Meeresspiegels.

Projekt im Rahmen des Int. Darius-Programmes
TitelBiofaziesentwicklung und Geodynamik des Zentraliran in der Kreidezeit (Apt – Campan) am Beispiel des Yazd-Blocks.

Zusammenfassung: Das Projekt zielt auf die Untersuchung der Karbonatsysteme, die sich während des mittelkretazischen Supertreibhausklimas am Westrand des Central-East Iranian Microcontinents (CEIM) entwickelten. Diese sind in den Sedimenten der Biabanak-, Shah Kuh-, Mirza-, Bazyab-, Debarsu- and Haftoman-Formationen repräsentiert. Ihre Analyse erlaubt nicht nur das Verständnis der enormen tektonischen Diskordanzen innerhalb der Abfolge und der generellen geodynamischen Entwicklung des CEIM im tektonischen Puzzle des Mittleren Ostens, sondern wird auch dazu beitragen, die Funktion von Karbonatplattformen und ihren Organismengemeinschaften unter den Bedingungen von zunehmenden Treibhausbedingungen und daraus resultierenden Oceanic Anoxic Events (OAE) besser zu verstehen.

Eine detaillierte Biofaziesanalyse und eine hochauflösende integrierte Stratigraphie (insbesondere Ammoniten-Biostratigraphie, kombiniert mit Sequenz-, Zyklo- und Isotopenstratigraphie) werden genutzt, um die Paläo-Environments zu rekonstruieren und ihre räumliche und zeitliche Variabilität zu verfolgen. Exemplarisch werden diese Studien im Bereich des so genannten Yazd-Blocks durchgeführt, der eine Schlüsselposition für die geodynamische Entwicklung der Region innehat. Ein weiterer Aspekt, der mit den anderen Forschungsprojekten der Sektion vernetzt ist, bildet die Datierung und Quantifizierung der mittelkretazischen Meeresspiegelschwankungen. Hierbei stellt der CEIM eine Fallstudie einer isolierten, tektonisch aktiven Mikroplatte dar, auf der das Konzert aus tektonischen und eustatischen Meeresspiegelschwankungen in gut erkennbaren relativen Meeresspiegelschwankungen aufgezeichnet ist. Aus dem überregionalen räumlich-zeitlichen Vergleich können diese Signale ausgelesen und im Sinne der klimatischen Dynamik zu Zeiten von (Super-)Treibhausklimaten interpretiert werden.

Weitere Forschungsvorhaben

TitelKreidezeitliche Küstensysteme am Fallbeispiel der Galala- und Maghra el Hadida-Formationen (Eastern Desert, Ägypten).

Zusammenfassung: Sedimentgesteine und Fossilien kreidezeitlicher Küstensysteme sind hervorragende Archive vergangenen globalen Wandels. An der Schnittstelle vom Land zum offenen Meer zeichnen sie sowohl terrestrische als auch marine Signale auf und sind durch eine große Dynamik und Diversität gekennzeichnet. Durch die großen Fortschritte in der integrierten Stratigraphie sind mittlerweile auch diese marginalen Systeme in der erdgeschichtlichen Vergangenheit mit hochauflösenden Methoden studierbar, wie am Beispiel des Cenoman und Turon des Wadi Araba (Eastern Desert, Ägypten) aufgezeigt werden kann.
Die fossilreichen Schichten der Galala- und Maghra el Hadida-Formationen im Wadi Araba der nördlichen Eastern Desert in Ägypten stellen Sedimente dar, die während der frühen Oberkreide am Südrand des Tethys-Ozeans an der Schnittstelle Land-Meer unter subtropischen Bedingungen abgelagert wurden.

Eine stratigraphisch-sedimentologische Studie durch einen Doktoranden des Sektionsleiters (E. Nagm) zeigt, dass die Abfolge ohne große Probleme in die internationale Standardgliederung eingehängt und hochauflösend biofaziell und paläontologisch untersucht werden kann. Interessanterweise erschließen die Profile eine Flachwasserabfolge über eines der kreidezeitlichen Oceanic Anoxic Events auf (das OAE 2 im Cenoman – Turon-Grenzbereich) und erlauben somit die Analyse von Warmwasser-Flachschelf-Gemeinschaften während einer massiven klimatischen Krise (die meisten Untersuchungen zu diesen durch „Überhitzung“ der Atmosphäre und Überdüngung der Ozeane verursachten, kurzfristigen Ereignissen stammen bisher aus den tieferen Schelfen bzw. den Ozeanen der Kreide). Die Abfolge soll mittels Isotopenstratigraphie detailliert  kalibriert und biofaziell-paläontologisch (Makrofossilien, Taphonomie) untersucht werden. Kontakte zu Wissenschaftler zweier Universitäten in Kairo sind etabliert.

TitelMakro-Invertebraten und Biofazies der Peri-Bohemischen Kreide.

Zusammenfassung: Marine, fossilreiche Sedimentserien wurden während der Oberkreide in küstenparallelen Faziesgürteln rund um die Böhmische Masse als SE-Teil der Mitteleuropäischen Insel abgelagert. Die Analysen der Paläo-Biodiversität und der Biofazies der Peri-Bohemischen Kreide sollen als eine Fallstudie für die Verteilungsmuster von Organismen in Abhängigkeit von physiko-chemischen Umweltfaktoren dienen und stellen einen wichtigen Mosaikstein des paläo-biogeographischen Puzzles der Kreidezeit dar.

Die Sächsisch-Böhmische Kreide ist ein klassisches Gebiet der geognostischen Forschung seit fast 200 Jahren. Trotzdem ist das Wissen über die Stratigraphie und insbesondere die Paläo-Biodiversität der Abfolgen noch immer sehr lückenhaft. Letzteres liegt an der Tatsache, dass seit den Originalbeschreibungen von z.B. Reuss, Geinitz und Fritsch im 19. Jahrhundert kaum neuere Revisionen der Faunen erfolgt sind und die Taxonomie somit stark veraltet ist. Die Danubische Kreide auf der bayerischen Seite der Böhmischen Masse befand sich bis 2009 einem ähnlich rudimentären stratigraphisch-taxonomischen Bearbeitungsstand, der durch eine aktuelle Revision (Niebuhr, Wilmsen & Pürner 2009, SDGG 65) allerdings stark verbessert wurde. Somit dient diese Abfolge als regionaler Ausgangspunkt für die anvisierten Arbeiten.

Das Projekt zielt im Wesentlichen auf die Untersuchung der Makro-Invertebraten (Mollusken, Echinodermaten, Brachiopoden). Viele Vertreter dieser Gruppen haben gut bekannte Präferenzen für ihre Umweltbedingungen, die für die Paläo-Milieurekonstruktionen genutzt werden können. Die faziell-sedimentologische Untersuchung der Fundschichten liefert gleichsam Informationen über die Umweltbedingungen und ergänzt die paläontologischen Befunde. Aus der stratigraphisch-regionalen Analyse kann nachfolgend die räumlich-zeitliche Variabilität der Paläo-Ümweltbedingungen erfolgen und mit altersgleichen Abfolgen sowie besonderen Events korreliert werden.

Die Studien der Makro-Invertebraten aus der Sächsisch-Böhmischen Kreide (insbesondere Ammonoideen und Bivalven) dienen der Rekonstruktion der paläo-biogeographischen Verteilungsmuster in einem trans-kontinentalen Rahmen [Asien (Iran) – Nordafrika (Ägypten) – Europa (Norddeutschland, Peri-Bohemia); siehe andere Projekte der Sektion].