Fledermaus

Senckenberg packt aus

Das Erbgut der Fledermäuse entschlüsseln

Prof. Dr. Michael Hiller ist seit 01.09.2020 am von Senckenberg mitinitiierte LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) als Gruppenleiter tätig.
Hiller ist Genomwissenschaftler, Bioinformatiker, zuvor Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) sowie am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden. Nicht zuletzt ist er ein Fledermausexperte.
 
Michael, wie alt warst Du, als Du zum ersten Mal eine lebende Fledermaus gesehen hast?

Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber diese Tiere, die in der Dämmerung oder kompletten Dunkelheit extrem wendig umherfliegen, haben mich schon immer interessiert. Daher hatte ich auch großes Interesse daran mich am Bat1K Projekt zu beteiligen, wo wir Genome von Fledermäusen sequenzieren und analysieren.

Was müssen wir über das Bat1K Projekt wissen? Ist das eine Forschungsinitiative, ein Netzwerk?

Ja, genau, das ist eine weltweit tätige Arbeitsgemeinschaft, ein Konsortium aus Wissenschaftlern, Naturschutzorganisationen, Fledermausforschern, aber auch aus Studenten und Ehrenamtler, die vor hat, jede einzelne der 1421 lebenden Fledermausarten zu sequenzieren. Fledermäuse sind seit ungefähr 64 Millionen Jahren weltweit verbreitet, nur an den Polen gibt es sie nicht. Das heißt, überall auf der Welt hat man, wenn man sich dem Nachthimmel zuwendet, die Chance eine von mehr als 1.400 Fledermausarten zu sehen.
Wie gesagt, Bat1K beschäftigt sich mit der Sequenzierung und Analyse dieser unterschiedlichen Fledermausgenome. Bisher konnten wir sechs hochqualitative Referenzgenome erstellen (z. B. das der Samtfledermaus, der Weißrandfledermaus, des Nilflughunds oder der mexikanischen Bulldoggfledermaus). Hochqualitative Genome bedeutet, dass die sequenzierten Genome fast vollständig entschlüsselt sind.

Was hat man davon, Fledermäuse auf Genomebene zu untersuchen?

Fledermäuse sind wirklich außergewöhnliche Tiere. Sie haben einige „Superkräfte“, die viele andere Säugetiere nicht besitzen. Zum Beispiel haben sie eine sehr lange Lebenspanne und manche Arten können bis zu 40 Jahre leben. Sie haben ein außergewöhnliches Immunsystem und sind resistent gegenüber zahlreichen Krankheiten, u.a. Krebs. Außerdem sind sie auch widerstandsfähig gegenüber Alterungsprozessen. Das Geheimnis dieser Superkräfte muss wohl in den Genen verborgen sein.

Fledermaus

Es wird also untersucht wofür bestimmte Gene zuständig sind und welche Eigenschaften sie kodieren.

Tatsächlich, und das ist wiederum ein spannender Teil unserer Arbeit. Wir konnten zum Beispiel Veränderungen in den Genen des Gehörs gefunden, die sehr wahrscheinlich bei der Echoortung eine Rolle spielen. Auch Duplikationen von antiviralen Genen konnten wir feststellen und Änderungen in den Genen des Immunsystems, was zu deren Toleranz gegenüber Viren beitragen könnte. Bei manchen Genen zum Beispiel, die Entzündungen fördern, haben wir einen Genverlust festgestellt. Genverluste sind also nicht immer als Nachteil zu sehen, sie spielen bei der physiologischen und morphologischen Anpassung der Tieren eine wichtige Rolle.
In einer anderen Studie konnten wir feststellen, dass den Früchte fressenden Fledermäusen Gene fehlen, die die Ausschüttung von Insulin hemmen und dessen Wirkung unterdrücken. Das ist wiederum ein Vorteil für Arten, die sich ausschließlich von Fruchtsaft ernähren.

Was fasziniert Dich an Genomik?

Das Genom oder die Gesamtheit der DNA bestimmt viele Eigenschaften von Lebewesen, was man gut bei eineiigen Zwillingen beobachten kann, die ein identisches Genom haben. Ich finde es faszinierend, dass all dies mit nur vier Buchstaben möglich ist. Aber im Genom befinden sich mehrere Milliarden dieser ACGT Buchstaben, daher braucht man Computerprogramme, um diese Daten zu analysieren. Da ich sowohl Biologie und die Vielfalt der Arten als auch Informatik schon immer interessant fand, bietet dieses Forschungsfeld die Möglichkeit beide Interessen zu vereinen.

 

Was wird der Fokus Deiner Forschungsgruppe bei TBG sein?

Beim TBG beschäftigen wir uns primär mit der Fragestellung, welche Unterschiede im Genom verschiedener Lebewesen relevant für Unterschiede in den Merkmalen sind. Dazu entwickeln wir Computermethoden, die Genome vergleichen und wichtige Unterschiede aufdecken. Wir werden bei TBG diese Methoden auf die Genome verschiedenster Lebewesen anwenden. Ein Fokus wird dabei auf Lebewesen liegen, die Eigenschaften haben, von denen der Mensch möglicherweise etwas lernen kann.

Was war Dein bisher größter beruflicher Erfolg?

Hierzu würde ich kein einzelnes Ereignis zählen, sondern das Methodenrepertoire und die Erkenntnisse über genomische und Merkmalsunterschiede, die meine Arbeitsgruppe in den letzten Jahren gewonnen hat. Das ist aber eine Reihe von kleineren Erfolgen, jeder oft hart erarbeitet von den Mitgliedern meiner Gruppe.

Worüber denkst Du am meisten nach?

Bisher meistens über unsere laufenden und zukünftigen Forschungsprojekte und wie wir diese zum Abschluss bringen können. Momentan denke ich viel über die zukünftige Forschung bei TBG nach, in welche Richtung wir gehen sollten und wie wir Synergien aus den verschiedenen Forschungsbereichen erreichen können.

Was war der beste Rat, den Du jemals bekommen hast?

Ich habe viele gute Ratschläge für verschiedene Bereiche bekommen. Bezüglich Zeitmanagement finde ich diesen Ratschlag sehr hilfreich: Wenn Du es in 2 Minuten erledigen kannst, dann erledige es sofort.

Zurück zu den Fledermäusen. Hat die Corona-Pandemie ihrer Reputation geschadet? Müssen wir Angst vor Fledermäusen haben? Es gibt doch Arten, die geschützt werden sollen. Wie sollen wir mit diesen umgehen?

Es gibt natürlich Stimmen, die hervorheben, welche Gefahren von Fledermäusen als Reservoir diverser Viren ausgehen. Allerdings wird dies nur zum Problem, wenn Menschen in deren natürliche Lebensräume eindringen oder verschiedenste Wildtiere auf Wildtiermärkten eng zusammengebracht werden, was das Überspringen eines Virus auf den Mensch wahrscheinlicher macht. Aber statt Fledermäuse zu verdammen, sollte man eher versuchen, von diesen Tieren zu lernen, wie ein Organismus mit diversen Viren zusammen leben kann, ohne ernsthaft zu erkranken.