Pachycrocuta Ober- und Unterkiefer aus der Sammlung der Abteilung Quartärpaläontologie Weimar

Quartärpaläontologie | Weimar

Quartäre Großsäugetiere

Forschung

Klimatische Zyklizität und Biodiversität während des Quartärs

Die Entwicklung der Geobiodiversität unseres Planeten war mehrfach durch die Wirkung globaler Kaltzeiten geprägt. Insbesondere seit etwa 15 Millionen Jahren sind Tendenzen globaler Abkühlung zu verzeichnen, die ihre spektakulären Höhepunkte während der Glazialperioden des vor 2,6 Millionen Jahren beginnenden Quartärs erlebten.

Fluktuationen des globalen Klimas sowie daraus erwachsende Umweltveränderungen hatten maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung von Arten, auf die Entwicklung ihrer Überlebensstrategien sowie die Formierung und Verbreitung ganzer Faunengemeinschaften. Aktuelle Forschungen sollen Zusammenhänge zwischen rhythmischer Klimavariabilität und regionaler bzw. transregionaler Biodiversität während des Quartärs in Eurasien klären. Von besonderem Interesse ist der Einfluss von Dauer und Intensität der Klimazyklen auf die Faunenevolution. Außerdem erscheint es möglich, stimulierende Faktoren der Ausbreitung früher Menschen in Europa abzuleiten. 

Kooperationspartner
N. García (University Complutense Madrid), S. Gaudzinski (Universität Köln, Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz), H. Hemmer (Universität Mainz), C. Hertler (ROCEEH Frankfurt/M.), T. Kaiser (Universität Hamburg),  D. S. Kostopoulos (University of Thessaloniki), F. Lacombat (Museé Crozatier Le Puy-en-Velay), A. M. Lister (Natural History Museum London), D. Lordkipanidze (Georgian State Museum Tbilisi), P. P. A. Mazza (University of Florence), N. Spassov (National Museum of Natural History Sofia), V. V. Titov (Russian Academy of Sciences  Rostov-on-Don), sowie jeweilige Kuratoren bzw. Grabungsprojektleiter vor Ort nach Bedarf und Möglichkeit.

Epivillafranchium von Untermassfeld – Interdisziplinäre Auswertung einer eurasischen Schlüsselfauna

Die Zeitspanne zwischen 1,2 und 0,9 Millionen Jahren war durch gesteigerte klimatische Variabilität und einen damit verbundenen tiefgreifenden faunistischen Wandel gekennzeichnet, der sich auf der gesamten Nordhemisphäre der Erde vollzog. Für den westpaläarktischen Raum wurde darum ein gesondertes Biochron, das sogenannte Epivillafranchium, definiert. Umfangreichere Großsäugerfunde aus dieser Zeit blieben in Europa bislang allerdings selten.

Vor etwa 1,05 Millionen Jahren formten katastrophale Hochflutereignisse des Flusses Werra in Südthüringen (Mitteldeutschland) ein fossiles Leichenfeld, das Reste hunderter Säugetiere enthielt. Senckenbergische Grabungsteams konnten dort inzwischen das nach Diversität, Qualität und Quantität vollständigste Wirbeltiermaterial seiner Zeitstellung im westlichen Eurasien bergen. Die inzwischen 15.000 konservierten und dokumentierten Funde erlauben erstmalig detaillierte Einblicke in die Tierwelt Europas vor einer Million Jahren – einer Zeit entscheidender Weichenstellungen für das Überleben zahlreicher Tiergruppen während des Quartärs.

Die Auswertungen der Funde und Befunde wurden im Rahmen einer weitgefächerten internationalen/interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Leitung und Koordination von Ralf-Dietrich Kahlke durchgeführt (Stand: 29.4.2022):

1.)Grabung und Dokumentation Arbeitsgruppen der Senckenberg Forschungsstation für Quartärpaläontologie Weimar
2.)Regionale und lokale Forschungsgeschichte R.-D. Kahlke (Weimar)
3.)Regionale Geologie und Sedimentologie J. Ellenberg (Jena)
4.) Geologische Struktur der FundstelleR.-D. Kahlke (Weimar)
5.)Geologische Geschichte der Fundstelle A. Gärtner (Dresden) und R.-D. Kahlke (Weimar) und U. Linnemann (Dresden)
6.) U-Pb Datierung an umgelagertem Travertin A. Gerdes (Frankfurt/M.) und R.-D. Kahlke (Weimar) und A. Gärtner (Dresden) und U. Linnemann (Dresden)
7.)Absolute Altersbestimmung (ESR/U-Serien) C. Falguères (Paris) und J.-J. Bahain (Paris)
8.) AminosäuredatierungK. Penkman (York)
9.)PalynologieM. Stebich (Weimar)
10.)MakrobotanikF. Kienast (Weimar)
11.) GastropodenE. Krolopp † (Budapest)
12.) OstrakodenE. Pietrzeniuk † (Berlin)
13.)FischeE. Rutte † (Würzburg), M. Böhme (Tübingen)
14.)AmphibienG. Böhme (Berlin), M. Böhme (Tübingen)
15.)ReptilienM. Böhme (Tübingen)
16.)VögelD. Jánossy † (Budapest), A. Manegold (Karlsruhe)
17.)BovidenA. Sher † (Moskau), M. Bukhsianidze (Tbilisi)
18.)CervidenH.-D. Kahlke † (Weimar), M. Breda (Ferrara) und A. Lister (London) und R.-D. Kahlke (Weimar)
19.)HippopotamidenR.-D. Kahlke (Weimar)
20.)SuidenC. Guérin † (Lyon) und M. Faure (Lyon), A. Iannucci (Rom)
21.)RhinocerotidenH.-D. Kahlke † (Weimar), A. Kotowski (Wrocław) und K. Stefaniak (Wrocław) und R.-D. Kahlke (Weimar)
22.) EquidenR. Musil (Brno), V. Eisenmann (Paris) und N. Boulbes (Paris)
23.)ElephantidenI. A. Dubrovo (Moskau), H. van Essen (Dieren), D. Mol (Rotterdam), A. Lister (London)
24.)CanidenM. V. Sotnikova (Moskau)
25.)UrsidenR. Musil (Brno), N. Garcia (Madrid), P.P. A. Mazza (Florenz)
26.)Musteliden M. Wolsan (Warschau)
27.)HyaenidenA. Turner † (Liverpool), A. Iannucci (Rom) und B. Mecozzi (Rom) und R.-D. Kahlke (Weimar) und R. Sardella (Rom)
28.)KoprolithenJ.-A. Keiler (Weimar)
29.)FelidenH. Hemmer (Mainz) und R.-D. Kahlke (Weimar)
30.)Insektivoren, Lagomorphen, Rodentier L. C. Maul (Weimar)
31.)Cercophiteciden H. Zapfe † (Wien), J. W. F. Reumer (Rotterdam) und R.-D. Kahlke (Weimar)
32.)TaphonomieR.-D. Kahlke (Weimar) und S. Gaudzinski (Neuwied)
33.)KnochenmodifikationenL. Steguweit
34.)Knochenmodifikationen durch InsektenJ.-A. Keiler (Weimar) und M. Benecke (Köln) und J. Keiler (Rostock)
35.)Knochenmodifikationen durch HyänenJ. Arnold (Jena)
36.)Zahnwurzel-ZementanalyseH. Kierdorf (Köln), N. García (Madrid)
37.)Mesowear-Analyse E. N. van Asperen (Liverpool) und R.-D. Kahlke (Weimar)
38.) Herbivoren-Osteophagie R.-D. Kahlke (Weimar)
39.)Rodentier-NagespurenL. C. Maul (Weimar)
40.)Paläopathologie U. Kierdorf (Hildesheim) und S. Flohr (Hildesheim) und R.-D. Kahlke (Weimar)
41.) Paläotemperaturbestimmung E. Stephan (Tübingen) und H.-P. Uerpmann (Tübingen) und B. Cramer (Tübingen)
42.) Stabile-Isotopen-Analyse N. García (Madrid) and R. S. Feranec (Berkeley) and R.-D. Kahlke (Weimar)
43.)Paläoökologie R.-D. Kahlke (Weimar)
44.)Stratigraphie R.-D. Kahlke (Weimar)
45.)Präparations- und Konservierungstechniken J.-A. Keiler (Weimar)

Entstehung, Verbreitung und Verarmung eurasischer Kaltzeitfaunen

Klimawandel und Gebirgsbildungen führten seit dem späten Tertiär sowie während des Quartärs zu einer tendenziellen Abkühlung und Aridisierung mittlerer und nördlicher Breiten Eurasiens. Während der mittel- und spätpleistozänen Kaltzeiten, d.h. seit etwa 500 000 Jahren, entwickelten sich in Eurasien die sogenannten Mammutfaunen (Mammuthus-Coelodonta-Faunenkomplex). Es handelte sich dabei um die am effektivsten kälteangepassten Säugetiergemeinschaften der Erdgeschichte.

Die Kaltzeitfaunen Eurasiens rekrutierten sich vor allem aus Abkömmlingen nördlicher Tundren- sowie zentralasiatischer Steppenbewohner. Es wird untersucht, welche Gattungen Elemente pleistozäner Mammutfaunen hervorbrachten und mit welchen Verbreitungsmustern diese Formen auf die Umweltveränderungen des Mittel- und Spätpleistozäns reagierten. Außerdem werden die verschiedenen Entwicklungsetappen der pleistozänen Kaltzeitfaunen hinsichtlich ihrer Biodiversität und Biogeographie sowie ihrer paläoökologischen Verhältnisse analysiert.

Kooperationspartner
D. J. Álvarez-Lao (University of Oviedo), B. Buigues (Cerpolex Paris), N. García (Univesity Complutense Madrid), F. Lacombat (Musée Crozatier, Le Puy-enVelay), D. Mol (Cerpolex/Mammuthus Amsterdam / Natuurmuseum Rotterdam), H. v. d. Plicht (University of Groningen), J. W. F. Reumer (Natuurmuseum Rotterdam), A. Tikhonov (Zoological Institute of the Russian Academy of Sciences St. Petersburg)