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Forschung


Zur Zeit liegt ein Schwerpunkt der Forschungsstelle auf der Untersuchung kultureller Innovationen. Eine theoretische Arbeit untersuchte die Entwicklung der Fähigkeit zu kumulativer Kultur im Laufe der menschlichen Evolution. Das heute typisch menschliche Phänomen kulturelle Errungenschaften aufeinander aufzubauen und weiterzuentwickeln, wird häufig auf eine genetisch erworbene besondere soziale Kompetenz zurückgeführt.

Eine detaillierte Erörterung des Phänomens zeigte aber notwendige Faktoren im individuellen, sozialen und Umweltbereich auf, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Herausbildung kumulativer Kultur kann somit nicht als Ereignis an einem bestimmten Punkt der menschlichen Entwicklungsgeschichte gesehen werden, sondern als Ineinandergreifen gradueller Prozesse in evolutionären, individuellen und historisch-sozialen Entwicklungsdimensionen mit sich verstärkenden Elementen. Ein Entwicklungsmodell beschreibt verschiedene Stufen kumulativer Kulturfähigkeit von der Akkumulation von Traditionen über kulturelle Modifikationen bis hin zu einfacher und erweiterter vermittelter Kultur. Die zunehmenden Fähigkeiten zu kumulativer Kultur erlauben zwar komplexere kulturelle Ausdrucksformen, führen allerdings im Einzelnen nicht notwendigerweise zu immer effizienteren und komplexeren Lösungen.

Die frühen Veränderungen des kulturellen Verhaltens

Von zwei Seiten genähert wurde sich der Frage, wie (kumulativ?) innovationsfähig die Hersteller der frühesten Steingeräteformen des Oldowan und seiner Vorformen von ca. 3,3 bis 1,7 Millionen Jahren waren. Der Vergleich von Verhaltensformen mit Schlaginstrumenten verschiedener Affenarten mit unterschiedlichen Herstellungsformen früher schneidender Steingeräte in Bezug auf Aufmerksamkeitsschwerpunkte, technologische Handlungsschritte und -effekte weist nicht nur auf höhere Komplexität, sondern auch auf eine bislang kaum untersuchte kulturelle Variabilität im frühen menschlichen Verhalten hin. Darüber hinaus sind veränderte Mechanismen der kulturellen Weitergabe zu vermuten. Diese frühen Veränderungen des kulturellen Verhaltens werden nun betrachtet hinsichtlich der durch sie eröffneten Möglichkeiten räumlich zu expandieren, bzw. ob und inwieweit Expansionen menschlichen Werkzeuggebrauch und die Entwicklung der Werkzeugtechnologien gefördert haben könnten. Fallstudien zum Innovationsverhalten in den Bereichen technische Feuernutzung und Knochengeräte im Middle Stone Age in Südafrika, zur Verbreitung von Ockernutzung im Mittelpaläolithikum und Middle Stone Age sowie zum Innovationsgehalt des ca. 250.000 Jahre alten bearbeiteten Tuffbrockens von Berekhat Ram, dessen Form einer weiblichen Figurine ähnelt, ergänzten den Innovationsschwerpunkt.

Die Wechselwirkungen kultureller und natürlicher Dimensionen

Wie kulturelle und natürliche Dimensionen in Wechselwirkung stehen und sich in den verschiedenen Expansionsformen auswirken, bildet einen weiteren Schwerpunkt der aktuellen Arbeit. Eine Systematik unterschiedlicher Umweltbegriffe wurde erarbeitet und deren Beziehungen untereinander geklärt. Insbesondere im Ressourcenraum (‚resource space‘) wird der Umweltbegriff durch kulturelle Komponenten erweitert. Mithilfe agentenbasierter Modellierungen lassen sich Wechselwirkungen vieler, sehr unterschiedlicher Faktoren untersuchen. ROCEEH wendet agentenbasierte Modelle im Rahmen zweier Doktorarbeiten auf unterschiedliche Fragestellungen an. Zum einen hat ein Vergleich unterschiedlicher „Out of Africa“-Hypothesen zum Ziel, einen integrativen Ansatz zu erarbeiten, der kulturelle, populationsdynamische sowie umweltbezogene Faktoren umfasst. Zum anderen wird Insel-Migration sowie die Evolution der Säugetiere auf Inseln modelliert. Wie der Fund von Hominiden auf der indonesischen Insel Flores zeigt, waren auch Hominiden von solchen Prozessen betroffen und auch durch kulturelle Vielseitigkeit, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit nicht davon ausgenommen.

Die Diät von Homo erectus

Das aus den Sozialwissenschaften stammende Konzept der Versorgungssysteme, das von ROCEEH für Betrachtungen der menschlichen Entwicklungsgeschichte 2016 weiterentwickelt wurde, erlaubt es, die Vernetzung unterschiedlicher materieller, sozialer, verhaltensbezogener, und kognitiver Komponenten sowie weitgefächerte Auswirkungen bei Veränderungen einer Komponente besser zu erfassen. Dem Versorgungssystem der Ernährung widmete sich eine Fallstudie zur Diät von Homo erectus und der Rekonstruktion seiner Umwelt, speziell an der wichtigsten Hominiden-Fundstelle Indonesiens in Sangiran. Die Schichtenfolge dort umfasst eine Sequenz von mindestens 500.000 Jahren ohne größere Lücken. Da der größte Teil dieser Schichten auch fossilführend ist, illustrieren sie – anders als alle anderen Hominiden-Fundstellen Indonesiens – nicht nur einen bestimmten Ausschnitt, sondern sowohl die Evolution von Homo erectus, als auch die Dynamik der Umweltveränderungen über diesen Zeitraum. Gemeinsam mit Kollegen des Biodiversitäts- und Klimaforschungszentrums in Frankfurt/M. entwickelten ROCEEH-Mitarbeiterinnen eine Methode, um den Anteil der Muttermilch in der Diät von anderen Nahrungsquellen zu unterscheiden. Die Diät von Homo erectus in Sangiran zeigte sich insgesamt als überraschend variabel, besonders während der Abstillphase. Die Untersuchung der Diät fossiler Antilopen – Zeitgenossen und potenzielle Nahrungsquelle von Homo erectus – zeigte eine ähnliche Variabilität im Nahrungsspektrum. Im Falle der Antilopen nimmt sie jedoch in jüngeren Zeitabschnitten ab. Ob sich die Diät von Homo erectus gleichermaßen ändert, wird sich erst in zukünftigen Untersuchungen herausstellen. Im Falle der Antilopen ist der Wandel ist nicht unmittelbar auf entsprechende Klima- und Vegetationsveränderungen zurückzuführen.

Die Informationen zu mittelpleistozänen europäischen Fundstellen

Um Klima- und Vegetationsanalysen auf eine breitere Datenbasis stellen zu können, werden nach einem von ROCEEH-Mitarbeiterinnen mitentwickelten Ansatz auch fossile Kleinsäugerfaunen einbezogen. Um mit ihrer Hilfe räumliche und zeitliche Klimamuster und -veränderungen zu quantifizieren und mit der Ausbreitung des frühen Menschen im Pleistozän zu korrelieren, werden zur Zeit publizierte Informationen zu mittelpleistozänen europäischen Fundstellen gesammelt. Gemeinsam mit Dr. Lutz Maul, Senckenberg Weimar, werden neben den Faunenlisten auch stratigraphische und sedimentologische Informationen sowie publizierte Paläoumweltdaten für diese Fundstellen in ROAD-kompatiblem Format zusammengestellt.