Jebel Irhoud
Virtuelle Computerrekonstruktion des Schädels des 300.000 Jahre alten Homo sapiens aus Jebel Irhoud, mit Sagittalschnitt des Schädeldaches. © Philipp Gunz/ MPI EVA Leipzig

22. Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald lecture

The Origin and Rise of Homo sapiens

13. November 2024

Professor Dr. Jean-Jacques Hublin,  Collège de France, Paris (Frankreich) und Director Emeritus MPI for Evolutionary Anthropology in Leipzig (Deutschland)

Im Laufe der letzten halben Million Jahre war die Landkarte der Menschheitsentwicklung  durch eine bemerkenswerte Diversifizierung archaischer menschlicher Abstammungslinien gekennzeichnet. Unter diesen wiesen der frühe Homo sapiens, die Neandertaler und die Denisovaner die größte geografische Verbreitung auf. Der Fundort Jebel Irhoud in Marokko ist der früheste Nachweis für die Abstammung unserer Spezies in Afrika. Die Geschichte von Homo sapiensreicht mindestens 300.000 Jahre zurück und geht einher mit Steinwerkzeugen aus der Mittelsteinzeit. Es ist sehr wahrscheinlich, dass verschiedene afrikanische Populationen bei der Entstehung dessen, was wir heute als „moderne“ Formen des Homo sapiens kennen, eine entscheidende Rolle gespielt haben.

In den folgenden 200.000 Jahren erleichterte das Auftreten von feuchteren Klimaphasen der sogenannten „Grünen Sahara“ die Migration afrikanischer Populationen nach Südwestasien. Diese geographische Ausbreitung wird durch paläontologische Funde gestützt, die auf 190.000 Jahre v. Chr. zurückgehen und ihre Präsenz im Nahen Osten und vor etwa 80.000 Jahren im tropischen Asien belegen. Im Gegensatz dazu erfolgte die Ausbreitung von Homo sapiens in die mittleren Breiten Eurasiens erst viel später, vorwiegend in den letzten 50.000 Jahren, und scheint kaum mit Umweltfaktoren zusammenzuhängen. Diese Expansion war durch die Verdrängung aller lokalen Populationen gekennzeichnet, wenn auch mit einigen genetischen Kreuzungen mit lokalen Neandertalern und Denisovanern. Es ist bezeichnend, dass diese Zeit der Expansion auch mit tiefgreifenden kulturellen Veränderungen einherging. Letztlich breitete sich eine einzelne menschliche Spezies über den gesamten Planeten aus und setzte einen Prozess der Umweltveränderung in Gang, der unsere Welt bis heute prägt.

Referent Prof. Dr. Jean-Jacques Hublin, ist Inhaber des Lehrstuhls für Paläoanthropologie am Collège de France in Paris und Direktor Emeritus am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere haben die Ursprünge der Neandertaler und des Homo sapiens und insbesondere die Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Gruppen eine zentrale Rolle gespielt. Um bedeutende Fragen zu klären, führte er Feldforschungen in Europa und Nordafrika durch, wo er die frühesten Formen unserer Spezies entdeckte. Er erforschte die Auswirkungen, die das Eintreffen des modernen Menschen in Europa auf die Neandertaler-Populationen hatte und war in jüngerer Zeit an der Erforschung der Denisovaner in Russland und China beteiligt.

Prof Hublin gehört zu den Pionieren in der virtuellen Paläoanthropologie, bei der digitale medizinische und industrielle Bildgebungsverfahren, gepaart mit moderner Computertechnik zur Rekonstruktion und zum Vergleich fossiler Überreste in großem Umfang zum Einsatz kommen. 

Neben zahlreichen Fachartikeln publizierte Hublin mehrere populärwissenschaftliche Bücher. Einen wesentlichen Beitrag zur Geschichte der Paläoanthropologie leistete Jean-Jacques Hublin gemeinsam mit Claudine Cohen durch die Veröffentlichung einer Biografie von Jacques Boucher de Perthes, dem französischen Begründer der prähistorischen Archäologie. 

Professor Hublin ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften u.a. der American Association of Physical Anthropology (AAPA), der European Anthropological Association (EAA) sowie Gründer der European Society for the Study of Human Evolution (ESHE) und war von 2011 bis 2020 Präsident der Gesellschaft. Zuletzt wurde er 2023 mit dem Balzan Preis ausgezeichnet.

 

Der Vortrag wird in englischer Sprache gehalten.

Mit der Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald-Lecture ehrt Senckenberg den Gründer seiner paläoanthropologischen Abteilung, der mit seinen Mitarbeitern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf der Insel Java über hundert Hominiden Fossilien entdeckte. Dank der Werner Reimers Stiftung, Bad Homburg, befindet sich die Sammlung „G.H.R. von Koenigswald“ seit 1968 im Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, wo sie bis heute zum wissenschaftlichen Renommee des Hauses beiträgt.

 

2021 fand die lecture virtuell statt, der Filmemacher Oliver Becker hat den Film „Was macht uns zum Menschen“ produziert.

hier gehts zum Film mit anschliessender Podiumsdiskussion

in deutscher Sprache.