Eine außergewöhnliche Vermehrungsweise
Die Vermehrungskraft des Schwarzblauen Ölkäfers ist gewaltig. Ein einziges Weibchen kann fünf- bis sechsmal im Abstand von 1–2 Wochen je 3000–9500 0,9–1,3 mm lange Eier (Abb. 3) in geeignete Böden (3–5 cm tief) ablegen. Diese machen etwa 30–45 % seines Gewichtes aus. Dazwischen sind stets Phasen der Nahrungsaufnahme nötig. Aus den Eiern schlüpfen die sogenannten Triungulinus-Larven. Der Name bezieht sich auf je zwei neben der Klaue am letzten Fußglied vorhandene klauenartige Borsten.
Diese Larven klettern auf Blüten, nehmen dort aber keine Nahrung zu sich. Sie warten auf ihre Transportwirte, bestimmte Wildbienen, die sie zu ihren Nestern tragen (man nennt diese Verhaltensweise Phoresie). Mit ihren eigentümlichen Klauen klammern sie sich in deren Pelz fest. Bei manchen Arten werden Stachelreihen am Vorderrand des Kopfes in die dünnen Häute zwischen den Hinterleibssegmenten der „Tragbienen“ eingebohrt, oder sie halten sich mit ihren Mandibeln an Haaren fest. Die Triungulinus-Larven (Primärlarven) gelangen nur dann zur Entwicklung, wenn sie in die Nester der richtigen Wirtsbienenarten gelangen. Schließlich muss die Larve auf ein Bienen-Ei gelangen, fällt sie daneben, ist es um sie geschehen.
Ist das Wirtsei erreicht, wird es von der Triungulinus-Larve aufgefressen, und es erfolgt die Häutung zu einer kurzbeinigen, blinden, madenartigen Larve (Sekundärlarve). Diese frisst den von der Wildbiene für ihre Larvenvorbereiteten Pollen-Nektar-Brei und häutet sich dreimal. Die Sekundärlarve des letzten Stadiums wandert später aus dem Nest in den Erdboden, wo sie sich eine kleine Höhlung gräbt. Dort erfolgt die Häutung zu einer Scheinpuppe – eine solche ist wohl einmalig bei den Käfern! Diese überwintert, nimmt dabei keine Nahrung auf. Im Frühjahr schlüpft aus der Scheinpuppe eine den Sekundärlarven ähnelnde Tertiärlarve, die keine – oder höchstens eine geringe – Nahrungsmenge braucht. Erst dann folgt das Puppenstadium. Die Verpuppung geschieht in der Erde. In Mitteleuropa schlüpfen die Käfer im März bis Mai. Unmittelbar danach beginnt der Reifungsfraß an verschiedenen Krautpflanzen, wobei die Weibchen bis zum sechsfachen des Ausgangsgewichtes zunehmen. Schließlich kommt es zu Paarung (Abb. 4) und Eiablage, womit der als Hypermetamorphose bezeichnete Zyklus geschlossen ist.
Die Reise ins Ungewisse – jeder Irrtum ist tödlich
Triungulinus-Larven klammern sich relativ oft nicht an die für ihre Entwicklung geeigneten Wildbienen, sondern auch an andere Blütenbesucher, vor allem, wenn diese vergleichsweise dicht behaart sind. Sie gelangen bei den falschen Transportwirten natürlich nicht zum richtigen Ziel, den Bienennestern. So werden auch an blütenbesuchenden Weichkäfern,Bockkäfernund Blatthornkäfern(z. B. Rosenkäfer, Gartenlaubkäfer) gelegentlich Ölkäfer-Larven gefunden. Ein Exemplar des Gemeinen Weichkäfers (Cantharis fusca) war z. B. mit 454 solcher Larven besetzt und dadurch flugunfähig. Diese befanden sich auch unter den Elytren und in den Falten der Hinterflügel. Es treten also bereits in diesem Lebensabschnitt starke Verluste auf, die aber insgesamt durch die außerordentlich hohe Eizahl der Weibchen ausgeglichen werden.
Man muss sich nur zu helfen wissen
Gelegentlich wird ein massenhaftes Auftreten von Triungulinus-Larven des Schwarzblauen Ölkäfersbeobachtet (2500–3000 Individuen), die zu gelblichen Klumpen geballt an Grashalmen und anderen Pflanzenteilen – nicht auf Blüten – sitzen. Die Larven sind orangegelb, und die Ballen (Aggregationen) leuchten wie eine Blüte. Der Gedanke an eine „Blütenimitation“ liegt nahe. Eine Wildbiene, die sich absetzt, wird den Irrtum zwar sofort bemerken, aber sogleich ist sie mit Triungulinen besetzt. Eigenartigerweise wird die „Blütenimitation“ auch dann gebildet, wenn wirkliche Blüten vorhanden sind. Es gibt einen weiteren Trick. Man hat bei einer amerikanischen Meloe-Art festgestellt, dass die Triungulinus-Larven Botenstoffe ausscheiden, die auf die Männchen der Wirtsbienenart anziehend wirken. Diese unternehmen mit den Klumpen einen Kopulationsversuch, „infizieren“ sich und übertragen sie dann bei der Paarung auf die Weibchen, wodurch der Weg in das richtige Nest geebnet ist.
Auf die Biene kommt es an
Nicht jede Wildbienenart ist als Wirt für den Schwarzblauen Ölkäfer geeignet. Es sind im Boden brütende Arten, die bevorzugt werden. Vor allem Arten der Sandbienen(Andrena), Pelzbienen (Anthophora), Seidenbienen (Colletes), Langhornbienen (Eucera) undFurchenbienen (Halictus) werden befallen. Honigbienen und Hummeln sind jedoch ungeeignet.
Als geeignete Transportwirte werden neben den Wildbienen auch deren spezifische Kuckucksbienen (z. B. Wespenbienen – Nomada) und Parasiten (Schwebfliegen der Gattung Volucella) genutzt.
Gefährdung und Schutz
Die Schwarzblauen Ölkäfer leben an sandigen und offenen Stellen, auch in Gärten, vor allem, wenn viele Bienennester vorhanden sind. Unsere Art ist in Mitteleuropa regional noch recht häufig. Insgesamt nimmt der Bestand aber ab. Ursache ist insbesondere der Lebensraumverlust, der auch die Wirtsbienen betrifft, aber auch der Straßenverkehr und Trittverluste durch Fußgänger. Ihr komplizierter und deshalb störanfälliger Entwicklungsgang verträgt keine weiteren großen Ausfälle. Deswegen ist der Schwarzblaue Ölkäfer in Deutschland in der Roten Liste gefährdeter Artenals gefährdet (Kategorie 3) eingestuft.
Ein Blick auf die Verwandtschaft
Die Gattung Meloe, zu der unsere Art gehört, ist in Mitteleuropa durch elf Arten vertreten. Einige davon sind extrem selten und vielerorts ausgestorben oder verschollen. Sie ähneln sich in ihrer Lebensweise. Ihre Erscheinungszeit liegt meist im Frühjahr. Einige Arten haben ihr Maximum aber im Herbst, z. B. der Mattschwarze Ölkäfer (Meloe rugosus).
Eine sehr interessante andere Art ist Schäffers Breithorn-Ölkäfer (Cerocoma schaefferi), eine zartgrün gefärbte, 7–11 mm lange Art mit voll ausgebildeten Flügeldecken. Begegnen sich Männchen und Weibchen, so bleiben sie zunächst voreinander stehen. Anschließend steigt das Männchen auf das Weibchen und bewegt die Vorderbeine sehr schnell fächelnd auf und ab (Fächelbalz). Kleine Pausen werden eingelegt, wobei ein Vorderbein an dem mit Drüsen versehenen eigenen Fühler- oder Tasterglied entlangstreift. Die Duftstoffe versetzen das Weibchen offenbar in eine, die Kopulationsbereitschaft fördernde Stimmung.
Die Triungulinus-Larven von Cerocoma schaefferi lassen sich von Grabwespen (Gattungen Tachytes und Tachysphex) in deren Nester mitnehmen, wo sie für ihre Larven Heuschrecken eingelagert haben, die sie durch Giftstiche lähmen. Die Cerocoma-Larve tötet zuerst die Grabwespenlarve und ernährt sich dann von der konservierten Nahrung.
Sehr bekannt ist die Spanische Fliege (Lytta vesicatoria), ein Ölkäfer von 10–20 mm Körperlänge und mit voll entwickelten metallisch-grünen Flügeldecken. Vor allem diese Art wurde in Mitteleuropafür pharmazeutische Zwecke verwendet. Deren Triungulinus-Larven dringen zu Fuß aktiv in die Nester ihrer Wirtsbienen ein (Seidenbienen-Colletes, Blattschneiderbienen-Megachile, Furchenbienen-Halictus).
Text von Prof. Dr. Dr. h. c. Bernhard Klausnitzer