Plebejus argus mit Ameisen
Argus-Bläuling (Plebejus argus) mit Ameisen, Foto: Martin Wiemers.

Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut

Forschung Ökologie

Der globale Wandel führt zu Veränderungen in der Zusammensetzung von Artengemeinschaften, was gravierende Auswirkungen auf Ökosystemfunktionen haben kann. Zwei grundlegende Prozesse sind hierbei involviert: Filterung durch die Umwelt und Nischenpartitionierung. Beide werden von den Eigenschaften der Arten und ihren Nischen, sowie von den interspezifischen Verwandtschaftsbeziehungen geprägt. Um diese Prozesse besser zu verstehen, untersuchen wir diese insbesondere bei Europäischen Tagfaltern (Lepidoptera: Papilionoidea), die eine hervorragende Modellgruppe für die ökologische Forschung darstellen, weil sie sehr komplexe Ansprüche an ihre Umwelt stellen und unser Grundlagenwissen über diese Gruppe für Insekten vergleichsweise sehr gut ist. Dieses Wissen, das wir im Rahmen internationaler Kooperationen zusammentragen, stammt nicht nur von Berufsentomologen, sondern auch von den zahlreichen Amateur- und Bürgerwissenschaftlern. Dazu gehört auch die Kenntnis der Verbreitungsgebiete, die sich aus der historischen Biogeographie und den klimatischen Ansprüchen der verschiedenen Arten ergeben, und die es uns ermöglicht, ihre aktuellen Klimanischen zu berechnen. Diese können sich aufgrund eingeschränkter Mobilität und Interaktionen mit anderen Organismen (bedingt z.B. durch das beschränkte Verbreitungsgebiet der Raupennahrungspflanzen oder Konkurrenz mit anderen Arten) von ihren eigentlichen Klimanischen unterscheiden, so dass es für die Vorhersage von Verbreitungsänderungen aufgrund der globalen Erwärmung wichtig ist, diese Komponenten voneinander zu trennen. Die Mitteltemperatur über die Verbreitung einer Art wird als Temperaturindex der Art (STI) bezeichnet und kann zur Berechnung des Temperaturindex einer Artengemeinschaft (CTI) verwendet werden. Dieser CTI hat sich als sehr hilfreich erwiesen, um die Reaktion von Artengemeinschaften auf die Klimaerwärmung zu untersuchen.

Bei ökologischen Analysen von Artengemeinschaften müssen wir berücksichtigen, dass Arten keine unabhängigen Einheiten darstellen, sondern in einer Abstammungsgemeinschaft miteinander verbunden sind, und der Grad ihrer Verwandtschaft die Ähnlichkeiten in ihren Eigenschaften und ökologischen Nischen beeinflusst. Aus diesem Grunde haben wir erstmalig für eine größere Insektengruppe eines Kontinents eine auf der Zeitachse geeichte molekulare Phylogenie aller europäischen Tagfalterarten berechnet.

Inselsysteme stellen aufgrund ihrer Isolation aufregende Feld-Labore dar und sind Hotspots für seltene endemische Arten mit hoher Bedeutung für den Naturschutz. Wir arbeiten an einer umfangreichen Erfassung der Verbreitung und Phylogeographie makaronesischer Tagfalter, die ein hervorragendes Beispiel für ein solches System darstellen und planen detaillierte Studien zu Arteninteraktionen, um den Einfluss invasiver Arten wie dem Waldbrettspiel (Pararge aegeria) auf das nahe verwandte endemische Madeira-Waldbrettspiel (Pararge xiphia) zu untersuchen.

Desweiteren erforschen wir Wechselwirkungen in anderen Artkomplexen aufgrund von Expansionen oder entlang von Hybridzonen. Beispiele für derzeit bearbeitete Modellsysteme sind der Karstweißling (Pieris mannii), der sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts von Südwesten über fast ganz Deutschland ausgebreitet hat, der Resedaweißling (Pontia daplidice-edusa), ein kryptischer Artenkomplex mit regelmäßigen Wanderungen in Mitteleuropa, und Papilo demoleus, eine expansive Schwalbenschwanzart in Südostasien und der Karibik.

Wenngleich der Rückgang vieler Insektenarten schon seit Jahrzehnten bekannt ist und sich beispielsweise in den zahlreichen auf globaler bis regionaler Ebene erstellten Roten Listen widerspiegelt, gibt es erst seit Kurzem eindeutige wissenschaftliche Belege für einen generellen Rückgang der Häufigkeit von Insekten. Diese haben inzwischen auch zu einem verstärkten Bewusstsein für die Notwendigkeit von Insektenschutzmaßnahmen auf der Landschaftsebene geführt. Derzeit werden in mehreren Bundesländern entsprechende Aktionspläne erstellt und wir sind auch in einen solchen Plan für das Land Brandenburg eingebunden. Schon vor vielen Jahren hat unsere Sektion mit der langfristigen Erfassung der regionalen Insekten begonnen, so z.B. im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, und wir führen bei verschiedenen Tagfalterarten Fang-Wiederfang-Studien durch, um bessere Kenntnisse ihrer Populationsdynamik und Mobilität zu gewinnen. Wir sind zudem Landeskoordinatoren für das Tagfalter-Monitoring Deutschland und unterstützen Schutzbemühungen für Insekten auf nationaler und europäischer Ebene. Viele dieser Aktivitäten laufen in Zusammenarbeit mit Bürgerwissenschaftlern.