pm vortrag messel 12.3.2020

Senckenberg packt aus

Ein riesiges, herausforderndes Puzzle

Interview mit PD Dr. Krister T. Smith


Wie beeinflusst Klima(-wandel) ökologische Kreisläufe und  was zeigen uns Fossilien über das Klima vergangener Zeiten? Als Paläontologe interessiert sich Dr. Smith für die Ursprünge des Lebens. Im Interview verrät er, woher seine Begeisterung für sein Fachgebiet, die Paläoherpetologie, rührt und erklärt, welche Geheimnisse über die Zukunft unseres Planeten in der Grube Messel versteckt sind.

Herr Smith, wieso sind sie Paläontologe geworden?

Bevor ich zur Uni gegangen bin, war mir ehrlich gesagt gar nicht bewusst, dass man als Naturwissenschaftler auch außerhalb von Krankenhäusern oder großen Unternehmen arbeiten kann. Ich stellte mal als Student einem Doktoranden die Frage, wie viele Jobs es für Paläontologen gibt und er antwortete: „Es gibt keine“ – ganz sicher eine Übertreibung, aber es stimmt natürlich, dass es viel mehr Menschen mit einem Abschluss in Paläontologie gibt als Paläontologen. Nichtsdestotrotz: Ich war stur, hatte bereits Blut geleckt und im Endeffekt einfach Glück.

Was fasziniert Sie denn besonders an der Paläoherpetologie?
 
Mich interessieren die Ursprünge von Dingen; ich will wissen woher sie kommen.  Die Gruppe der niederen Wirbeltiere, mit der ich mich vorwiegend beschäftige, ist sehr divers: Es gibt über 10.000 noch lebende Arten von Squamaten, also Schlangen und Echsen. Diese zu erforschen ist nicht immer leicht. Die Säugetiere sind da einfacher: Hier genügen Kieferknochen, um die Art zu bestimmen. Bei Squamaten hingegen muss man zunächst das gesamte Skelett – oder zumindest den Schädel – rekonstruieren. Es ist ein riesiges, herausforderndes Puzzle. Und Herausforderungen gefallen mir.

An welchen Fragestellungen arbeiten Sie gerade?

Viele Gruppen innerhalb der Squamaten haben im Laufe der Evolution ihre Gliedmaßen verloren, Schlangen sind hierbei die bekanntesten Vertreter. Mit diesen Gruppen habe ich mich im vergangenen Jahr vorrangig beschäftigt.  Besonders im frühen Känozoikum – so bezeichnen wir die letzten 66 Millionen Jahre der Erdgeschichte – wurden viele fossile Spezies durch Knochenfunde an verschiedenen Orten beschrieben. Im Grunde genommen wissen wir kaum etwas über sie. Zusammen mit ein paar Kolleg*innen bringe ich Licht ins Dunkel: Wir wollen mehr über ihre Evolution und ihre Lebensweise erfahren und herausfinden, wie Individuen untereinander und mit ihrer Umwelt interagiert haben (zum Beispiel durch Infrarot-Sicht). 

Wie können Fossilien genutzt werden, um Rückschlüsse auf das Klima vergangener Zeiten zu ziehen?

Genau das ist eine der großen Fragen, die mich bei meiner täglichen Arbeit begleiten: von Taxonomie über Systematik hin zu Taphonomie [Fossilisationslehre, Anmerkung d. Rdk.]. Hat man eine relativ junge Ansammlung von Fossilien – jung bedeutet wenige Millionen Jahre alt – dann ist es wahrscheinlich, dass die meisten Tier- und Pflanzenarten daraus noch heute vorkommen. Die klimatischen Präferenzen dieser noch lebenden Arten geben Hinweise auf das Klima, in dem sich die Fossilien abgelagert haben. 

Und was ist, wenn die Arten bereits ausgestorben sind?

In diesem Fall wird das Ganze schon etwas komplizierter: Man muss dann die Phylogenie miteinbeziehen, also den Stammbaum, da dieser alle Arten verbindet; rezente sowie ausgestorbene.

Welche Methoden wenden Sie bei ihrer Forschung an?

Wir nutzen moderne Methoden wie Computertomografie und wenden diese an Fossilien aus der Grube Messel an. Diese Herangehensweise kombinieren wir mit detaillierten morphologischen Studien von Spezies aus anderen europäischen Fundorten.

Stichwort Messel: Die Grube Messel gibt einen Einblick in das Eozäne Klimaoptimum, der wärmste anhaltende Zeitintervall der letzten 66 Millionen Jahre. Können uns Erkenntnisse über die damaligen Tier- und Pflanzengemeinschaften etwas über die Zukunft unseres sich erwärmenden Planeten verraten?

Messel ist eine der außergewöhnlichsten Fossillagerstätten, die wir kennen. Es ist unglaublich selten, dass eine einzelne Fundstätte so viele Komponenten eines Ökosystems umfasst: Pflanzen, Pilze, Mollusken, Arthropoden und Wirbeltiere. Das ist ein ganz enormer Anteil des makroskopischen Lebens. Darüber hinaus beinhaltet Messel sogar Details organismischer Interaktionen, wie spektakuläre Fossilien gezeigt haben. Die Grube Messel verspricht – vielleicht als einzige Fundstätte ihrer Art – die Möglichkeit, zu verstehen, wie ein Ökosystem unter jenen klimatischen Bedingungen funktioniert, die wir innerhalb der nächsten 200 Jahre, oder vielleicht früher, erleben werden.

Das Eozän fällt nicht nur durch die hohen Durchschnittstemperaturen, sondern vor allem durch den schlagartigen globalen Temperaturanstieg vor etwa 56 Mio. Jahren um ca. 6°C auf. Was sagen Fossilien darüber aus, wie Flora und Fauna auf diese Temperaturänderung reagiert haben?

Das Paläozän-Eozän-Temperaturmaximum wird von vielen Seiten sehr detailliert untersucht. Unser Verständnis davon ist keineswegs umfassend, aber wir sind auf einem guten Weg. Bisher fallen einige allgemeine Trends auf, die direkt mit dem Temperaturanstieg in Verbindung stehen.

Was sind das für Trends?

Erstens: die Verbreitungsgebiete von Arten ändern sich drastisch.  An Wärme angepasste Arten bewegen sich in der nördlichen Hemisphäre weiter nach Norden. Korridore in hohen Breitengraden öffnen sich, was zur Ausbreitung mehrerer Linien auf verschiedene Kontinente führt – heute würden wir diese als invasive Spezies bezeichnen.  

Zweitens: an Land nimmt die Artenvielfalt und die Intensität organismischer Interaktionen lokal zu. An dieser Stelle darf man jedoch nicht vergessen, dass die Forschung zu regionaler Artenvielfalt noch Lücken aufweist und in manchen Lebensräumen, zum Beispiel in den Ozeanen, Aussterbe Ereignisse dokumentiert wurden.

Drittens: in manchen Linien ist eine Abnahme der Körpergröße zu beobachten – auf Englisch nennt man das „dwarfing“ (dwarf engl.: Zwerg) – die mit dem Temperaturanstieg korreliert und einer bekannten ökologischen Regel folgt [Anmerkung d. Rdk.: Es geht um die Bergmannsche Regel: Vertreter nah miteinander verwandter Arten sind in kälteren Regionen tendenziell größer und weisen einen „kompakteren“ Körperbau auf als in warmen]. 

Eine Sache ist sicher: Ökosysteme wurden durch den plötzlichen Temperaturanstieg fundamental verändert, was den Lauf der Geschichte für immer geändert hat.

Zur Person

Dr. Krister T. Smith ist stellvertretender Abteilungsleiter der Messelforschung und Mammalogie sowie Sektionsleiter der Paläoherpetologie am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt und Privatdozent in der Fakultät der Biowissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt. Der in Kalifornien aufgewachsene Paläontologe befasst sich vor allem mit niederen Wirbeltieren, insbesondere mit Schlangen und Echsen. Sein Ziel dabei ist, die Zusammenhänge von Ökologie und Klimawandel besser zu verstehen.