Stierkäfer - Insekt des Jahes 2024
Der Stierkäfer – Typhaeus typhaeus (Foto: T. Schmitt).

Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut

„Insekt des Jahres“ 2024


Das Insekt des Jahres 2024 wurde am Donnerstag, den 30. November 2023 per Pressemeldung bekannt gegeben.

Der Stierkäfer – Typhaeus typhoeus

Der Stierkäfer Typhaeus typhoeus (Linnaeus, 1758) ist ein charakteristischer Vertreter der Familie der Mistkäfer (Geotrupidae). Gemeinsam mit ihren nahen Verwandten, den Dungkäfern aus der Familie Scarabaeidae, besetzen sie eine Schlüsselstellung in Ökosystemen. Sie sind es, die in erster Linie dafür sorgen, dass der Dung von Säugetieren abgebaut wird (Koprophagie) und die darin enthaltenen anorganischen Nährstoffe den Pflanzen wieder als Lebensgrundlage zur Verfügung gestellt werden.

Mit 14 bis über 20 mm Körperlänge gehört der Stierkäfer zu den größeren Käferarten. Er ist einfarbig glänzend schwarz. Auf den Flügeldecken sind zahlreiche Längsrillen zu erkennen, die sich bei genauerer Betrachtung als Punktreihen erweisen. An seinen bedornten Grabbeinen und den blattförmigen Fühlerkeulen sind sowohl seine Lebensweise als Gräber im Boden wie auch die Zugehörigkeit zur Überfamilie der Blatthornkäfer (Scarabaeoidea, Lamellicornia) zu erkennen. Auffällig ist der Geschlechtsdimorphismus: Männliche Tiere tragen im vorderen Bereich des Halsschildes (Pronotum) nebeneinander drei „Hörner“, von denen die beiden äußeren nach vorne gerichtet sind (Artname!) und den Kopf überragen können, das mittlere ist nur etwa halb so lang. Wie bei einigen anderen koprophagen Käfern, bei denen die hornartigen Verlängerungen allerdings Teil des Kopfskeletts sind, werden sie beim Kampf mit Rivalen und zum Schutz des Nistplatzes eingesetzt. Die Weibchen besitzen an entsprechender Stelle mittig einen schmalen quer angelegten Kiel und außen jeweils einen kleinen Höcker.

Verbreitung, Lebensweise und Verwandtschaft

Der Stierkäfer ist von Nordafrika über Westeuropa bis ins östliche Mitteleuropa verbreitet; im Mittelmeerraum kommen drei weitere Arten aus der Gattung Typhaeus vor. T. typhoeus besiedelt in der Ebene Heidegebiete und lichte Kiefernwälder auf Sandboden, dort ist er lokal nicht selten. Als ein typischer Vertreter der Mistkäfer ernährt er sich vom Kot pflanzenfressender Tiere (Kaninchen, Paarhufer von Reh bis zu Rindern, Schafen und Pferden). Drei grundsätzlich unterschiedliche Strategien bei der Nutzung dieses Substrates haben die koprophagen Käfer entwickelt. Stierkäfer zählen zu den Tunnelbauern (“tunneler“). Sie graben nach der Paarung einen etwa 1‒2 cm breiten und bis 1,50 m tiefen Schacht in den lockeren Boden. Seitengänge enden jeweils in einer Kammer; dort wird der eingebrachte Kot zu einer Pille geformt. Aus dem vom Weibchen neben der Pille abgelegten Ei schlüpft eine Larve, die zur Brutpille kriecht und sich dort ernährt. Nach etwa einem Jahr ist die Entwicklung abgeschlossen. Die erwachsenen Käfer sind nachtaktiv und führen eine versteckte Lebensweise; man kann sie aber fast das ganze Jahr über finden, an frostfreien Tagen sogar im Winter.

Annähernd 10.000 Arten koprophager Käfer sind weltweit bekannt, in Mitteleuropa sind es immerhin etwa 130 Arten. Von diesen gehören zehn zur Familie der Mistkäfer. Die auffälligste Art ist der Waldmistkäfer (Anoplotrupes stercorosus), der ein breites Nahrungsspektrum hat; er ist selbst an Menschenkot zu finden und frisst auch kleinere tote Tiere. Den Wald hingegen meidet der regional auf sandigen Böden lebende Frühlingsmistkäfer (Trypocopris vernalis).

Im südlichen Mitteleuropa kommt der einzige mitteleuropäische Vertreter der Kotkugelroller (“roller“) vor, der Pillenwälzer (Sisyphus schaefferi). Er schneidet aus einem größeren, meist frischen Kotbrocken ein Stück heraus und formt daraus eine Kugel. Diese wird über eine gewisse Entfernung wegbewegt und in lockerem Boden vergraben; so wird die Konkurrenz mit anderen Käfern gemindert. Zum einen dient die Kotkugel der eigenen Ernährung („Futterbirne“); oft wird sie durch ein Paar vergraben und ist dann der Ort der Entwicklung der nächsten Generation („Brutbirne“).

Skarabaeus – Bekannter Verwandter

Allgemeiner bekannt sind die großen Käfer der Gattung Scarabaeus. Diese leben in zahlreichen Arten vor allem in Afrika und Südasien, sechs Arten auch in Europa, von denen zwei vom Balkan ausgehend gelegentlich Mitteleuropa erreichen können. In der altägyptischen Mythologie spielte der „heilige Skarabaeus“ eine herausragende Rolle. Das damals unerklärlich erscheinende Fortpflanzungsverhalten der Tiere mit dem Erscheinen des Käfers aus der Dungkugel und das geradlinige Rollen der Kugel anscheinend rastlos oft über den ganzen Tag führte dazu, dass in

Koprophage – in der Umwelt absolut unverzichtbar

Die meisten koprophagen Scarabaeiden aber leben direkt im Kot und pflanzen sich dort auch fort (“dweller“), das sind vor allem Arten aus der Verwandtschaft der artenreichen Gattung Aphodius, die heute in mehrere eigenständige Gattungen aufgespalten wird.

Koprophage Käfer spielen in Ökosystemen eine entscheidende Rolle. Sie sorgen dafür, dass frischer Kot, vor allem von Säugern, relativ rasch, bei uns in der Regel innerhalb weniger Tage, von der Bodenoberfläche verschwindet. Dadurch wird der Nährstoffkreislauf zugunsten des Pflanzenwachstums geschlossen. So sorgen diese Käfer auch für die Unterdrückung der Entwicklung von parasitischen Würmern und Fliegen im Säugetierkot, fördern den Transport von Pflanzensamen und reduzieren die Emission von Treibhausgasen vor allem aus Kuhfladen. Allein in Großbritannien wurde die ökosystemare Wertschöpfung durch die Tätigkeit koprophager Käfer auf über 350 Millionen £ berechnet – jedes Jahr! Allerdings werden diese Leistungen nur erbracht, wenn die Fäkalien von Weidevieh stammen, Gülle und Mist von Tieren aus Stallhaltung können praktisch nicht verwertet werden.

Durch ein gänzlich unfreiwilliges Experiment wurden uns Menschen diese Leistungen in drastischer Weise vor Augen geführt. Als Folge der Besiedlung Australiens durch europäische Siedler ab Ende des 18. Jahrhunderts wurden große Flächen zu Rinder- und Schafweiden umgewandelt. Allerdings fiel lange Zeit nicht auf, dass die einheimischen Kotkäfer, die an den harten und trockenen Beuteltierkot angepasst waren, vor allem die dünnflüssigen Kuhfladen nicht verwerten konnten. Jahrelang blieb immer mehr trockener Dung unabgebaut auf den Weideflächen liegen, den Böden wurden die anorganischen Nährstoffe nicht wieder zurückgegeben, und unter den die Weideflächen bedeckenden ausgetrockneten Fladen wuchs kein frisches Gras mehr. Jährlich fielen auf diese Weise etwa 10.000 km2 Weideland aus der Nutzung.

Parallel mit der Entwertung großer Weidebereiche in Australien entwickelten sich in den offen liegenden Kuhfladen riesige Mengen von Fliegen, wobei sich vor allem zwei Arten als extrem problematisch erwiesen. Die Buschfliege befällt Säugetiere oft in großen Wolken, leckt ihren Schweiß auf und gelangt so zu den benötigten Mineralien und Nährstoffen. Besonders gerne besucht sie den Menschen, dessen Haut einfacher zugänglich ist als die von anderen Säugern. Sie ist auch die Ursache für den “Aussie salute“, eine häufige und regelmäßige schnelle Handbewegung vor dem Gesicht zur Abwehr der Plagegeister. Die Büffelfliege ist als Imago ein obligatorischer Blutsauger und daher ein besonders unangenehmer Profiteur der nicht abgebauten Kuhfladen. Beide Fliegenarten können auch zahlreiche Bakterienarten übertragen, wenn sie sich nach dem Aufsuchen von Fäkalien auf menschliches Essen oder ihre Haut setzen. Darunter sind auch Krankheitserreger nachgewiesen, sogar solche, die sich als resistent gegen mehrere Antibiotika erwiesen.

Wegen den erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen entschloss sich die australische Wissenschaftsbehörde (Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation = CSIRO) zu einem nicht risikofreien ökologischen Experiment. In einem über 20 Jahre laufenden Programm wurden ab den 1960er Jahren unter kontrollierten Bedingungen koprophage Käferarten von anderen Kontinenten aus Regionen mit ähnlichem Klima nach Australien importiert, in großen Mengen gezüchtet und ausgesetzt. Mit dieser Methode wurde das Problem des nicht abgebauten Dungs aus der Landwirtschaft tatsächlich gelöst. So reduzierte beispielsweise die aus NO-Afrika und von der Arabischen Halbinsel stammende Dungkäferart Digitonthophagus gazella die Fliegenlarven im Dung um bis zu 100 %.

Gefährdung und Schutz der koprophagen Käfer

Der Rückschlag ließ aber nicht lange auf sich warten. Etwa ab Mitte der 1980er Jahre fiel Entomologen und Ökologen weltweit ein starker Rückgang der Populationen vieler Mist- und Dungkäfer auf. Vielerorts traten wieder Probleme mit nicht abgebauten Kuhfladen auf. Halter von Weide- und anderen Großtieren waren nämlich inzwischen dazu übergegangen, ihre Tiere nicht nur bei akuten Krankheiten und Parasitenbefall medikamentös zu behandeln. So wurden besonders Avermectine (Anti-Wurmmittel) weltweit regelmäßig prophylaktisch verabreicht. Diese Mittel sind hochwirksam, auch für Menschen stellen sie aktuell unverzichtbare Arzneimittel dar. Die Wirkstoffe werden aber von den behandelten Tieren ausgeschieden. So wirken sie über die eigentlichen Zielorganismen hinaus auch bei allen anderen im Kot lebenden Insekten. Das hat zur Folge, dass koprophage Käfer absterben oder nur noch eingeschränkt reproduzieren. Der Rückgang dieser Käfer wird von der Wissenschaft als ein wesentlicher Teil des weltweiten dramatischen Verlustes der Insektenfauna eingestuft.

In Mitteleuropa sind zu Erhalt oder Wiederherstellen einer naturnahen und wirkungsvollen Koprophagenfauna mehrere Maßnahmen erforderlich. Dazu zählen die Reduktion von Antiparasitika bei Haus- und Nutztieren. Vor allem dürfen diese Mittel nur nach tierärztlicher Verschreibung und nicht rein prophylaktisch verabreicht werden; behandeltes Vieh sollte für eine gewisse Zeit im Stall in Quarantäne gehalten werden. Nutztiere sollten, wo möglich, vor allem wieder zu Weidegängern werden. Stallhaltung sollte nicht die Regel bleiben. Hoffen wir, dass der Stierkäfer zu einem guten Botschafter für die wichtige Rolle der koprophagen Käfer wird.

Lesetipps

Bunalski, M. (1999): Die Blatthornkäfer Mitteleuropas. Coleoptera, Scarabaeoidea. Bestimmung – Verbreitung – Ökologie. 80 S., Bratislava.

Bunzel-Drüke, M. et al. (2019): Naturnahe Beweidung. Ganzjahresbeweidung im Management von Lebensraumtypen und Arten im europäischen Schutzgebietssystem NATURA 2000. 2. Aufl.: 413 S.; Bad Sassendorf.

Jones, R. (2017): Call of Nature. The Secret Life of Dung. Pelagic Publishing. 292 pp.; Exeter.

Klausnitzer, B. (2019): Wunderwelt der Käfer. 3. Aufl.: 248 S.; Springer-Verlag, Berlin & Heidelberg.

Rössner, E. (2012): Die Hirschkäfer und Blatthornkäfer Ostdeutschlands (Coleoptera: Scarabaeoidea). 507 S.; Erfurt.