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Crustaceen

Forschung


Das Tiefsee-Forschungsschiff Sonne nach erfolgreich abgeschlossener Expedition KuramBio II im Hafen von Yokohama.

Schwerpunkte

Die wissenschaftliche Aktivität der Sektion Crustaceen hat zwei geographische Schwerpunkte, die Tiefsee und die Meere der Polarregionen. Dort entschlüsseln die Senckenberger Krebstierforscher*innen die Evolution, Ökologie und Biogeographie der Ranzenkrebse (Peracarida), insbesondere der Asseln (Isopoda). Die Grundlage dafür bildet die Taxonomie.

Feldforschung, Sammlungsarbeit und virtuelle Datenerhebung

Als wichtigster Bestandteil der Erforschung der Tiefsee und ihrer Krebstiere ist die Datenerhebung zu nennen. Im Wesentlichen erlangen wir diese auf drei Weisen: Sammelreisen, Museumsaustausch, und Online-Datenbanken.

Zum Teil erheben die Senckenberg-Crustaceenforscher*innen ihre Forschungsdaten selbst, indem sie die zugrunde liegenden Objekte sammeln. Regelmäßig nehmen sie an Tiefsee-Expeditionen teil, die sie zum Teil auch selbst organisieren und leiten. Zu den jüngsten Sammelreisen sind die Expeditionen Larsen-C im Jahr 2019 und KuramBio II (2016) zu zählen. Bei diesen Expeditionen handelt es sich um meist mehrwöchige Reisen auf großen Forschungsschiffen, bei denen spezielle Probenahmegeräte zum Einsatz kommen, wie der Großkastengreifer, Multiple Corer oder der Epibenthosschlitten, der in seinen heute am meisten verwendeten Konfigurationen von Senckenberger Forscher*innen der Crustaceen-Sektion sowie des DZMB entwickelt wurde.

Als zweites wichtiges Standbein der Datenerhebung ist der Austausch mit anderen Naturkundemuseen zu nennen. Über Leihverkehr von Sammlungsmaterial oder Forschungsreisen zu anderen derartigen Museen werden zum Teil sehr alte wissenschaftliche Sammlungen noch heute für brandaktuelle Forschung herangezogen. Sie liefern zum Teil noch Jahrzehnte nach ihrer Aufsammlung wichtige Erkenntnisse.
Zuguterletzt nutzen die Senckenberger Krebstierforscher*innen öffentliche Datenbanken, wie GenBank und OBIS, um Daten verfügbar zu machen (zu mobilisieren) und sie für weiterführende Analysen aus von anderen Wissenschaftler*innen verfügbar gemachten Datensätzen zu „minen“. Insbesondere nutzt Dr. Hanieh Saeedi diese ´Form der Datenerhebung in ihrem Projekt BENEFICIAL , um biogeographische Auswertungen zu erstellen und Vorhersagen über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Meeresfauna zu machen.

Taxonomie

Als fundamentale Grundlage für weiterführende Studien bildet die Taxonomie einen der thematischen Schwerpunkte der Crustaceen-Sektion. Jedes Jahr wird dieses Fundament am Senckenberg durch die Entdeckung und Beschreibung neuer Arten erweitert. Die wissenschaftliche Sammlung dient dabei als lebendiges Archiv im Sinne einer transparenten und nachhaltigen Forschung — Gastwissenschaftler aus der ganzen Welt nutzen sie, für ihre taxonomischen Arbeiten. Beschreibende und identifizierende Taxonomie sind elementare Bestandteile bzw. Grundvoraussetzung für die meisten Projekte der Crustaceensektion. Als besonders taxonomisch orientiertes Projekt ist die Revision (systematische Überarbeitung) der Asselfamilie Macrostylidae zu nennen.

Faunistik

Das Erfassen von Artengemeinschaften bestimmter Regionen in Tiefsee und Polarmeeren gehört zu den wichtigsten Arbeitsgebieten der Crustaceen-Sektion. Hierfür arbeiten wir in Kollaborationsprojekten, wie KuramBio und Larsen-C , mit taxonomischen Spezialist*innen für andere Tiergruppen aus der ganzen Welt zusammen. Derartige Zensusprojekte erfassen zunächst möglichst die gesamte Faunengemeinschaft einer bestimmten Region und bilden somit die Grundlage, um zukünftige Veränderungen festzustellen, welche beispielsweise mit dem Klimawandel oder Umweltverschmutzung in Zusammenhang stehen können. Die Faunistik ist somit die Grundlage für Biomonitoring (Faunenveränderung mit der Zeit) und die Biogeographie.

Das aktuell bearbeitete Projekt KuramBio gehört zu einer ganzen Serie von Forschungprojekten im Nordwestpazifik (SoJaBio, KuramBio, SokhoBio, KuramBioII), dessen Tiefseefauna es inventarisiert. Es wird in naher Zukunft um ein weiteres Projekt, AleutBio , ergänzt. Dieses wird die bereits erfolgten faunistische Erhebungen um die Region des Aleutengrabens und der Beringsee erweitern.

In dem Projekt Larsen-C geht es um die Erhebung der Meeresbodenfauna des Antarktischen Kontinentalschelfs. In dem als Prinz Gustav Kanal bezeichneten Gebiet östlich der Antarktischen Halbinsel sind 1995 zwei Schelfeise (Gletscher, die auf dem Meer schwimmen) abgebrochen, wodurch sich dieses Meeresgebiet verändert hat. Senckenberg-Forscher*innen untersuchen in diesem Projekt zusammen mit Kolleg*innen des British Antarctic Survey die Auswirkungen dieser Veränderung auf die Meeresbodenfauna in dem vormals durch den Gletscher bedeckten Meeresboden.

Biogeographie

Die Verbreitung mariner Organismen- und Organismengemeinschaften ist an bestimmte Umweltfaktoren gebunden. Ihre Verbreitung kann beispielsweise an ozeanische Wasserkörper, Temperatur, Salzgehalt oder an einen begrenzten Tiefenhorizont gekoppelt sein. Die Biogeographie widmet sich diesen Umweltpräferenzen von Arten und Lebensgemeinschaften sowie ihren dadurch bedingten geographischen Verbreitungen. Ist die Biogeographie einer bestimmten Region bekannt und durch eine gute Artenkenntnis untermauert, ist möglich, Veränderungen in der Verbreitung von Organismen vorherzusagen und sie anhand der Kenntnisse über ihre Präferenzen zu interpretieren. Genau dies ist das Ziel des Projektes BENEFICIAL , welches die Veränderungen der Faunen im Übergangsbereich zwischen Nordwestpazifik und der Arktis untersucht und modelliert. Damit knüpft BENEFICIAL nahtlos an die Forschungprojekte SoJaBio, KuramBio , SokhoBio und KuramBio II im Nordwestpazifik an.

Evolutionsbiologie

In der Crustaceen-Sektion beschäftigen wir uns auch mit den stammesgeschichtlichen Ursprüngen von Tiefseekrebsen sowie mit der Frage, welche Faktoren zur Artbildung in der Tiefsee führen können. Für diese evolutionsbiologische Arbeit bedienen wir uns der Methoden der Phylogenetik (Stammbaumrekonstruktion) und der Populationsgenetik.

Angesichts der (vermeintlichen) großflächigen Eintönigkeit des Lebensraums Tiefsee (vor allem im Abyssal) sind unsere Vorstellungen zu den evolutiven Ursprüngen der Tiefseefauna noch sehr begrenzt. Für verschiedene Organismengruppen wurde postuliert, dass sie aus flacheren Meeresbereichen, wo sie ihren Ursprung haben, in das Abyssal einwandern. Bei Meeresasseln kommen viele Vertreter ausschließlich im Abyssal vor, was der oben genannten Annahme zu widersprechen scheint. Senckenberger Krebstierforscher*innen untersuchen deshalb, ob es bei diesen Tiergruppen in der Tiefsee Hinweise auf Artbildung gibt, wie die Tiefseefauna stammesgeschichtlich mit der Fauna der flachen Meere in Verbindung steht und welche Faktoren hierbei eine Rolle spielen.

Beispielsweise untersuchen Crustaceen-Forscher*innen im Rahmen des Projektes KuramBio , welche Einflüsse vermeintliche Barrieren und Gradienten, wie zum Beispiel ein Tiefseegraben, auf die Verbreitung von Arten und den Austausch zwischen Populationen haben und ob sie durch eine Reduktion von Genfluss zur Artbildung beitragen können. Derartige Studien werden unter anderem an der kosmopolitischen Tiefsee-Asselfamilie Macrostylidae durchgeführt.

Habitaterkundung am tiefen Meeresboden

Mitarbeiter*innen der Senckenberger Crustaceen-Sektion sind in verschiedenen Meeresregionen an der Kartierung des Meeresbodens beteiligt. In der Vergangenheit wurden bereits vielerlei Annahmen über die Struktur und Diversität des Meeresbodens in der Tiefsee gemacht. Insbesondere im Abyssal geht man davon aus, dass recht homogene und von Sediment bedeckte Ebenen den Großteil ausmachen. Diese sind durch Gebirgsrücken und die Kontinentalhänge sowie Tiefseegräben in Becken unterteilt. Doch im Grunde muss man sagen, dass überhaupt erst ein verschwindend geringer Teil davon im Detail erforscht wurde.

Erst kürzlich wurde im Rahmen des Projektes KuramBio II eine Studie veröffentlicht, die die Tiefe des Kurilen-Kamchatka-Grabens neu vermessen hat. Hierbei hat Prof. Dr. Angelika Brandt mit Kollegen des Senckenberg DZMB , des Alfred-Wegener-Instituts sowie der HafenCity Universität Hamburg zusammengearbeitet.

In Zusammenarbeit mit dem GEOMAR entwickeln unsere Crustaceen-Forscher*innen außerdem eine neuartige Methode der Fernerkundung, um mit Hilfe von Echolotung unterschiedliche Meeresbodentypen zu unterscheiden. Hierdurch wird es in der Zukunft möglich sein, präzise Annahmen über verschiedene Lebensräume in über 5000 m Tiefe zu machen.

Mikroplastik in der Tiefsee

Neben organismisch geprägten Forschungsarbeiten und Habitaterkundung untersuchen Mitarbeiter*innen der Crustaceen-Sektion die Bedeutung der hadalen Meereszonen (alle Meeresbereiche tiefer als 6500 m) für den langfristigen Verbleib von Mikroplastik im Meer. In Anknüpfung an KuramBio wird in Zusammenarbeit mit dem Alfred-Wegener-Institut aus den Sedimenten des Kurilen-Kamchatka-Grabens (Nordwestpazifik) Mikroplastik identifiziert. Das Projekt Deep-MiPoll ist damit eines der ganz wenigen, welches sich dem Problem der zunehmenden Verschmutzung der tiefsten Meeresbereiche widmet.