Detektivarbeit am Meeresboden
Interview mit Dr. Kai Horst George, Fachgebietsleiter Meiobenthonische Arthropoda.
Schon als Kind war er an der Biologie interessiert – jetzt ist Dr. Kai Horst George Fachgebietsleiter Meiobenthonische Arthropoda bei Senckenberg. Dabei erforscht er mikroskopisch kleine Organismen, die am Grund von Gewässern leben. Im Interview spricht der Senckenberg-Forscher über seine Begeisterung für sein Fachgebiet, schildert seinen Arbeitsalltag und erklärt, warum die so abstrakt erscheinende Erfassung winziger Lebewesen ungemein wichtig für die Biodiversität ist.
Dr. George, können Sie den Begriff „Meiobenthonische Arthropoda“ kurz erklären?
Das „Meiobenthos“ (oder auch die „Meiofauna“) umfasst verschiedene Gruppen ein- und mehrzelliger wasserlebender Organismen, die am Grund von Gewässern (Seen, Flüsse, Ozeane) leben und dem Plankton, das in der Wassersäule lebt, gegenübergestellt werden. Sie alle vereint ihre geringe Körpergröße; Vertreter des Meiobenthos passieren ein Sieb mit einer Maschenweite von 1mm, werden aber von einer Maschenweite von 0,04mm zurückgehalten. Zu diesen Gruppen zählen beispielsweise Fadenwürmer (Nematoda), Hakenrüssler (Kinorhyncha), Bauchhärlinge (Gastrotricha) oder auch Milben (Halacarida) und Vertreter verschiedener Krebsgruppen wie manche Flohkrebse (Amphipoda), Ruderfußkrebse (Copepoda Harpacticoida) und kleine Asseln (Isopoda). Die vier letztgenannten Tiergruppen gehören zum Tierstamm Arthropoda, den Gliederfüßern. Der Begriff „meiobenthonische Arthropoda“ bezieht sich also auf diejenigen aquatischen bodenbewohnenden Kleinstorganismen, die zu den Gliederfüßern zählen.
Wie sind Sie zur Forschung und zu Ihrem Fachgebiet gekommen?
An der Naturwissenschaft, vor allem an der Biologie, war ich schon als Schüler interessiert. Zur Meiofauna und dort zu den Copepoda Harpacticoida kam ich hingegen eher zufällig. Ich begeistere mich für Systematik, das ist die stammesgeschichtliche Forschung. Und weil der Professor, bei dem ich gerne meine Diplomarbeit leisten wollte, ein Spezialist sowohl im Fachgebiet Systematik als auch für besagte Copepoda Harpacticoida ist, kam ich zu dieser Tiergruppe. Ich habe es nie bereut.
Was fasziniert Sie an Ihrem Fachgebiet?
Das sind gleich mehrere Aspekte. Die winzigen Ruderfußkrebse sind in verschiedenerlei Hinsicht faszinierend. Sie sind zum einen einfach wunderschön. Das kann man freilich nur unter einem Mikroskop erkennen. Dann aber erschließt sich diese Schönheit, die mich immer wieder überwältigt! Mit ihrer Körperform, ihren Gliedmaßen, ihren filigranen Borsten und Körperanhängen erscheinen diese Krebse so bizarr, wie es nicht einmal die Phantasie eines Science-Fiction-Autors sich auszudenken vermag.
Ein weiterer Aspekt betrifft ihre Verbreitung in den Meeren. Harpacticoida sind eng an das Substrat gebunden, weisen keine freischwimmenden Lebensstadien auf und produzieren nur wenige Nachkommen. Sie haben deshalb ein stark eingeschränktes Ausbreitungspotential, sind aber trotzdem in den Ozeanen sehr weit bis sogar weltweit verbreitet. Die Auflösung dieses Widerspruchs, der übrigens auf die gesamte Meiofauna zutrifft („Meiofauna-Paradoxon“), ist ein sehr spannender Forschungsbereich und beinhaltet Studien, die sowohl die Flachwasser- als auch die Tiefseefauna einbeziehen müssen. Diese Untersuchungen führen dazu, dass ich Harpacticoida aus aller Welt bearbeite, um ein umfassendes Bild ihrer Verbreitung, ihrer Verwandtschaftsverhältnisse und somit auch von ihrer geschichtlichen Ausbreitung (Biogeographie) in den Ozeanen zu erhalten.