Evolution of Sensory Systems

Forschung

Paläobiologie eozäner Fledermäuse

Fledermäuse als aktiv fliegende Säugetiere sind nur ausnahmsweise fossil überliefert. Eine Ausnahme bildet das Weltnaturerbe Grube Messel mit Funden von bisher mehreren Hundert Individuen, die vier Familien und sieben Arten zugeordnet werden. Dank der außergewöhnlich guten Erhaltung – ca. 90% der Fledermausfossilien als artikulierte Skelette, viele davon mit Weichteilen wie Fell, Ohrmuscheln und Flughäuten sowie Magen-Darm-Inhalten – erlauben sie Rückschlüsse auf Ernährung, Flug- und Hörvermögen. Durch radiologische Untersuchungen der Messeler Fledermäuse wurden im Vergleich mit rund 300 rezenten Arten das Echoortungsvermögen der eozänen Tiere nachgewiesen und im Vergleich mit den amerikanischen und afrikanischen Einzelfunden damit die „flight-first“ Hypothese gestützt. Die definierten Maße für die Echoortungsfähigkeit – Cochleabreite in Relation zur Schädelbasisbreite (s. grüne Linien der Abb.) – sind inzwischen internationaler Standard.

Anhand dieser Parameter ist festzustellen, dass die Tiere aus Europa (Stehlina minor, Quercy, Frankreich s. Abb.) und Afrika (Tanzanycteris mannardi, Tanzania) eine noch größere akustische Spezialisierung als die Messeler Taxa aufweisen, während die etwas älteren Arten aus der nordamerikanischen Green River Formation weniger spezialisiert (Icaronycteris index) bzw. überhaupt nicht zur Echoortung fähig waren (Onychonycteris finneyi).

Spezielle Untersuchungen des Innenohrs fossiler Messeler und rezenter Fledermäuse

Da bei den Fledermausfossilien durch die Kompaktion während der Fossildiagenese die meisten Hörregionen nur fragmentiert erhalten sind, müssen diese aus mehreren Individuen einer Art rekonstruiert werden. Dazu werden derzeit aus der umfangreichen Sammlung digitaler 2D-Radiografien die fossilen Tiere mit den am besten erhaltenen Innenohrregionen ausgewählt und in einer für fossile Fledermäuse typischen Auflösung (< 10 µm) tomografiert. Diese µCT-Untersuchungen von Cochlea (Gehörschnecke) und Vestibularorgan (Bogengangsapparat) von rezenten und fossilen Tiere werden unseren bisherigen Kenntnisstand zur Jagverhalten Messeler Fledermäuse erheblich erweitern.

Taphonomie Messeler Fledermäuse

Da nur gut 10% der Messeler Fledermäuse als zerfallende Skelette oder Flügelfragmente überliefert sind, wurde dieses für Fledermausfossilien ungewöhnliche Phänomen durch Zerfallsreihen mit rezenten frischtoten (Zoo-)Fledermäusen mit der Röntgenmethode untersucht. Aus den Ergebnissen zahlreicher Versuche bei verschiedenen Wassertemperaturen heutiger Tropenseen können wir schließen, dass die im eozänen See ertrunkenen Fledermäuse innerhalb weniger Tage dauerhaft in sauerstofffreie Seetiefen abgesunken sein müssen.

Radiologische Untersuchungen zu Zahnstatus, Alter und Pathologien von Pipistrellus spp. (Kooperationsprojekt mit der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Frankfurt/M.)

Großräumige Untersuchungen und die steigende Anzahl verletzter Tiere, die bei der Staatlichen Vogelschutzwarte abgegeben werden (Pfleglinge) belegen die zunehmende Gefährdung von Fledermäusen durch Lebensraumveränderungen (intensivierte Landwirtschaft, Windenergieanlagen, Urbanisierung, Insektensterben). Auffällig sind auch die in den letzten 20 Jahren bei Netzfängen dokumentierten Gebissveränderungen bei Zwergfledermäusen. Durch hochaufgelöste Mikro-Radiografien können solche Auffälligkeiten bei Totfunden und verstorbenen Pfleglingen der beiden Zwillingsarten P. pipistrellus und P. pygmaeus erkannt und systematisch untersucht werden.

Meldungen und Informationen zu Fledermäusen mit verändertem Gebiss oder anderen Auffälligkeiten bitte an Dr. Dagmar Stiefel d.stiefel@vswffm.de oder Dr. Renate Rabenstein renate.rabenstein@senckenberg.de.

Neuuntersuchung und systematische Neueinstufung des sog. Messeler Ameisenbären (Eurotamandua joresi) mittels hochaufgelöster µCT-Scans (Kooperationsprojekt mit der Johns Hopkins University, Baltimore & der University of Tennessee, Chattanooga)

Das ca. 86 cm lange Fossil – bis heute ein Unikat – erinnert durch seinen zahnlosen Kiefer, die röhrenförmige Schnauze und die auffällig kräftigen Vorderbeine an die rezent nur in Mittel- und Südamerika lebenden Ameisenbären und wurde 1981 als fossiler Ameisenbär beschrieben. Als sich die typischen Wirbelgelenke, das charakteristische Merkmal der Ameisenbären, aber nicht eindeutig belegen ließen, kamen Zweifel an der systematischen Zuordnung auf. Die Neuuntersuchung basiert auf hochaufgelösten Tomografien, die wegen der ungünstigen Relation von Plattengröße zur benötigten Auflösung (ca. 150 µm) mit einem Spezialverfahren erfolgten (Sensorshift-Messfelderweiterung, Audi CT Labor Neckarsulm). Die Analyse der diagnostisch wichtigen Details der Vordergliedmaßen (Segmentierung mit VGStudio MAX 3.1 Volume Graphics Heidelberg), ergab große Ähnlichkeit mit Schuppentieren und den ausgestorbenen Palaeanodonten, nicht aber mit Ameisenbären und Gürteltieren.

Evolution und Paläoökologie fossiler Raubtiere mit Schwerpunkten im Eozän von Messel und dem Miozän von Deutschland und Afrika (Dr. Michael Morlo)

Zunächst wurden die fossilen Raubtiere (Carnivora) und ihre ausgestorbene Schwestergruppe (Hyaenodontida) aus Messel bearbeitet (Morlo & Habersetzer 1999), wobei neue Röntgenmethoden für die Beschreibung der Taxa entscheidende Details lieferten. Die Forschung zu Evolution und Paläoökologie von Raubsäugern wird seitdem in verschiedenen internationalen Kooperationen (z.B. Österreich, USA, Belgien) auf ehrenamtlicher Basis kontinuierlich fortgesetzt und von eozänen auf jüngere fossile Taxa erweitert. Auch für die neueste Publikation wurden diagnostisch wichtige Merkmale der Bezahnung mit der in der Abteilung vorhandenen Röntgeninfrastruktur dargestellt. Die Abbildung entstand rein digital aus der Kombination (Photoshop) von unterschiedlich belichteten Speicherfolien am Faxitron entsprechend der unterschiedlichen Dichte einzelner Zähne und Zahnkeime.

XRF-Analyse zur zerstörungsfreien Oberflächen-Untersuchung der Elementzusammensetzung bei Messeler Urpferdchen und Fledermäusen (Kooperation mit dem Städel Museum, Frankfurt und der TU, Darmstadt)

Die Röntgenfluoreszenzanalyse (XRF) wird seit Jahren bei der Untersuchung von Kunstwerken eingesetzt. 2017 erfolgte von uns die erste umfangreiche Datenerhebung für paläontologische Objekte überhaupt, als beim Hersteller Bruker in Berlin Messeler Fledermäuse und eine Urpferdchenstute untersucht wurden und anlässlich der 200 Jahr-Feier von Senckenberg darüber ein Bericht bei 3sat entstand („Das Pferdchen durchleuchten“). Nach der erfolgreichen Anwendung der Methode an Fossilien wurde ein erfolgreicher gemeinsamer Antrag von Städel Museum Frankfurt, TU Darmstadt (Fachbereich Material- und Geowissenschaften, Materialanalytik) und Senckenberg Frankfurt (Radiologie) gestellt und das transportable Groß-Gerät M6 Jetstream im Sommer 2019 im Städel in Betrieb genommen. Links abgebildet ist die kleinste und häufigstev der vier Messeler Urpferdarten Eurohippus messelensis, von  der sogar trächtige Stuten bekannt sind. In der XRF-Analyse sind Knochen und Zähne (weiß = Kalzium) vergleichbar wie in einer Tomografie dargestellt. Isolierte Knochen und Zähne des Fötus und zersetzter, amorpher Knochen zeigen Anreicherungen von Nickel (grün), während Reste des ursprünglichen Gesteins („Ölschiefer“) durch darin enthaltenen Siderit (rot = Eisen) sichtbar sind.