Paläozoologie III
Forschung
Das Hauptforschungsinteresse gilt den paläozoischen Brachiopoden (“Armfüßer”, „Lampenmuscheln“), einer Gruppe von Tieren mit zweiklappiger Schale, die seit dem Kambrium (vor 540 Millionen Jahren) bis heute weltweit die Meeresböden besiedelt haben. Im Paläozoikum (Erdaltertum) gehörten Brachiopoden zu den vielfältigsten und häufigsten fossil erhaltenen Lebewesen. Aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit, schnellen Evolution und der Möglichkeit, stabile Isotopen in den Kalkschalen des Unterstamms Rhynchonelliformea („artikulate Brachiopoden“) auszuwerten, haben Brachiopoden ein großes Potential, zur Lösung der wichtigen Fragen der Evolution des Lebens und der Umweltveränderungen in paläozoischen Ökosystemen beizutragen. Als sessile Filtrierer mit eingeschränkter Planktotrophie (d.h. das erwachsene Tier ist am Untergrund fixiert und unbeweglich, und auch die Larven haben schwebend im Plankton nur eine eingeschränkte Reichweite), sind sie wichtige Hilfsmittel der paläogeographischen Rekonstruktion vormaliger Ozeane und Kontinente.
Gewöhnlich beginnt die Arbeit mit einer taxonomischen Revision, die für alle weiterführenden Studien in den Bereichen Paläobiologie, Paläoökologie, Paläobiogeographie und Biostratigraphie die unerlässliche Grundlage bildet. Der stratigraphische Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit liegt im Devon (419 bis 359 Millionen Jahre vor heute). Es liegt in der Natur der Sache, dass die Revision von Arten die Untersuchung und den direkten Vergleich von Arten der ganzen Welt erfordert. Im laufenden Forschungsprojekt über ‘Rheinische’ Brachiopoden z.B. werden zahlreiche, bislang nur unzureichend bekannte Arten auf der Basis ihrer „Typen“ (der Urstücke, anhand derer die Art ursprünglich beschrieben wurde) revidiert, die sich oft verstreut in Sammlungen naturkundlicher Museen der ganzen Welt befinden. Viele dieser Typen sind die Grundlage für Arten, die bereits im 19. Jahrhundert beschrieben und seitdem kaum beachtet oder gar revidiert wurden. Die wichtigste grundlegende Infrastruktur für diese Studien ist die Senckenberg Brachiopoden-Sammlung, eine der größten ihrer Art.
Ein großes, noch weitgehend unerforschtes und unterschätztes Ereignis („Event“) in der Evolution ist die starke Biodiversifikation der Meereslebewesen während des frühen Devons (419 bis 393 Millionen J. v. h.), deren Resultat die größte phanerozoische Brachiopoden-Vielfalt in der Emsium-Zeit (408 bis 393 Mill. J. v. h.) ist („GEBE“ = „Great Eodevonian Biodiversification Event“, Blieck 2016).
Die Forschungen an rheinischen Brachiopoden des frühen Devons tragen zur Klärung dieser Frage bei. Durch die Revision von bislang über 200 Arten wurde eine Reihe von rheinischen Aussterbeereignissen mit starken Umwälzungen der Faunen im frühen Devon erkannt; außerdem gibt es eine bisher kaum bemerkte „Rheinische Lücke“ (‚Rhenish Gap‘) von 4–6 Millionen Jahren in der marinen Überlieferung (Jansen 2016).
Die bisherige paläobiogeographische Unterteilung im Silur–Mittel-Devon in das Altweltliche Reich, das Östliche-Amerikas-Reich und das Malvinokaffrische Reich wird in Frage gestellt. Alle taxonomischen Brachiopoden-Projekte der Sektion beziehen sich auch auf paläobiogeographische Verteilungsmuster der Brachiopoden. Insbesondere das Konzept ‘Altweltliches Reich’ scheint kaum haltbar und wird durch ein anderes Konzept ersetzt werden müssen.
Die Forschung der Sektion lässt sich innerhalb der Senckenberg-Netzwerk-Struktur hauptsächlich in die Senckenberg Forschungsfelder IV ‘Biodiversität und Erdsystemdynamik’ (IV.1 ‘Evolution von Erde und Umwelt’) und I ‘Biodiversität, Systematik und Evolution’ (I.1. Taxonomie und Systematik) einordnen.
Laufende Projekte
- Monographische Revision ober-silurischer bis mittel-devonischer Brachiopoden aus dem Rheinischen Schiefergebirge, Deutschland (Taxonomie, Phylogenie, Biostratigraphie, Paläobiologie, Paläobiogeographie). In einer Anzahl bereits publizierter kleinerer Artikel werden Teilergebnisse mitgeteilt. An der Monographie wird noch gearbeitet, bisher wurden knapp 300 Arten einbezogen. Taxa aus dem Rheinischen Schiefergebirge, die in den letzten Jahren (‘nach-Treatise’) als neu eingeführt wurden: Gattungen: Gibbodouvillina Jansen, 2014; Rhenostropheodonta Jansen, 2014; Gigastropheodonta Jansen, 2014; Sartenaerirhynchus Jansen, 2016; Ingentistrophia Jansen, 2019. Untergattungen: Iridistrophia (Flabellistrophia) Jansen, 2016; Paraspirifer (Mosellospirifer) Jansen, 2016; Paraspirifer (Laurentispirifer) Jansen, 2016. Arten: Rhenostropheodonta rhenana Jansen, 2014; Iridistrophia (Flabellistrophia) musculosa Jansen, 2016; Pachyschizophoria amygdalina Jansen, 2019; Fascistropheodonta ? wiltzensis Jansen, 2019.