Biogeographie, Systematik und Evolution der Macrostylidae (Crustacea: Isopoda)
Wussten Sie, dass Asseln (Isopoda), zu denen auch Kellerasseln und Rollasseln gehören, eine der bemerkenswertesten und auffälligsten Tiergruppen in der Tiefsee sind?
Isopoden sind sehr vielfältig und in der Tiefsee sehr häufig, aber die Tiefsee-Isopoden sind nur entfernt mit denjenigen verwandt, die Sie in den Wäldern oder sogar in Ihrem Hinterhof finden können. Ihr letzter gemeinsamer Vorfahre kroch wahrscheinlich vor mehr als 250 Millionen Jahren auf der Erde — also lange bevor die Dinosaurier überhaupt zum ersten Mal auftauchten. Eine der Isopodengruppen, die in Tiefsee-Sedimenten häufig vorkommen, ist die Familie der Macrostylidae, die am Senckenberg-Institut Frankfurt recht intensiv untersucht wird.
Macrostyliden sind kleine (~ 1 mm – 1 cm), rätselhafte Asseln, über die nur wenig bekannt ist. Nahrungspräferenzen, Paarungsstrategie, Langlebigkeit, Lebenszyklus und ökologische Wechselwirkungen sind noch weitgehend unerforscht. Gegenwärtig sind weltweit etwa 90 Arten bekannt und beschrieben, aber viele weitere warten auf eine taxonomische Beschreibung.
Macrostylidae (Crustacea: Isopoda) haben eine weltweite Verbreitung in den kalten Wassermassen der Tiefsee. In den borealen und australen Kaltwasserregionen sind Arten auch im oberen Bathyal und sogar auf den Kontinentalschelfen nachgewiesen worden, beispielsweise in den norwegischen Fjorden oder auf dem antarktischen Kontinentalschelf (Riehl and Kaiser 2012; Riehl and Brandt 2013). Macrostyliden kommen häufig in Tiefseegräben vor, und Macrostylis mariana Mezhov, 1993 aus dem tiefen Marianengraben ist eine der tiefsten jemals nachgewiesenen Asselarten. Dr. Torben Riehl arbeitet seit 2008 kontinuierlich an dieser Gruppe, was ihn derzeit zum weltweit führenden Experten für Macrostyliden macht. Er hat mehrere Arten der Gattung Macrostylis G. O. Sars, 1864 sowie die Schwestergruppe der Macrostylidae, die Familie Urstylidae, beschrieben.
Dieses Langzeitprojekt umfasst neben taxonomischen Arbeiten (Beschreibungen, Revisionen) auch anatomische, phylogenetische, biogeographische, populationsgenetische und ethologische Aspekte. Aktuelle Studien über Macrostylidae umfassen Artbeschreibungen aus der Clarion-Clipperton-Bruchzone im Pazifik, vom australischen Kontinentalhang und aus dem tiefen Atlantik. Auf den ersten Blick sehen diese alle mehr oder weniger gleich aus. Trotz oder wahrscheinlich sogar wegen ihrer Rätselhaftigkeit sind sie faszinierend zu erforschen.
Warum erforschen wir Macrostylidae?
- Aufgrund ihrer Häufigkeit in Tiefseesedimenten, einem der am weitesten verbreiteten Lebensraumtypen der Welt, können viele allgemeine Ideen und Theorien zur Biodiversität, Ökologie und Evolution der Tiefsee anhand von Macrostylidae als Modelltaxon untersucht werden.
- Aufgrund ihrer lokomotorischen Fähigkeiten, ihrer Habitatpräferenzen und ihrer Brutpflege betreibenden Fortpflanzungsweise können Macrostyliden als relativ schlecht ausbreitend angesehen werden. Dies hilft bei der Aufdeckung von Mustern der Kolonisation, Konnektivität und Biogeographie.
- Macrostyliden sind ein so häufiges und vielfältiges Element abyssaler Gemeinschaften, dass man von einer vitalen Rolle dieser Gruppe in benthonischen Lebensgemeinschaften und für das Funktionieren abyssaler Ökosysteme ausgehen kann. In dieser Hinsicht bedeutet jeder neue Aspekt, der über ihre Ökologie, Evolution oder allgemeine Naturgeschichte enträtselt wird, eine Annäherung an ein gutes Verständnis dieses Ökosystems.
- Macrostylidae kommen in allen Ozeanen und fast über die gesamte verfügbare Meerestiefe vor. Dies lässt Rückschlüsse auf Tiefenbesiedlungsmuster zu.
Was wissen wir über die Fortpflanzung der Macrostyliden?
Brutpflege erfordert Energie, daher muss die Anzahl der Nachkommen klein sein.
Wie alle peracariden Krebse betreiben die Macrostyliden Brutpflege. Weibchen, die Eier tragen, haben auf der ventralen Seite ihres Körpers einen Brutbeutel, das so genannte Marsupium, das aus blattförmigen und überlappenden Fortsätzen der Vorderbeine des Weibchens gebildet wird. Sie tragen den Nachwuchs über den Zeitpunkt des Schlüpfens hinaus. Die für Krustentiere typische Larvenentwicklung ist verkürzt und vollzieht sich noch innerhalb der Eier. Nach dem Schlüpfen bleiben die post-embryonalen Macrostyliden innerhalb des Marsupiums, bis sie voll funktionsfähig sind und fast wie kleinere Kopien ihrer Mutter aussehen. Diese Lebensphase wird als Manca-Stadium bezeichnet. Den freigelassenen Babys fehlt noch ein siebtes Pereopodenpaar, und das siebte Pereonitenpaar ist unterentwickelt oder fehlt ebenfalls ganz. Über einige Häutungszyklen entwickeln sich diese Körperteile Schritt für Schritt. Der Vorteil der Brutpflege besteht darin, dass die Chancen. zu überleben und sich fortzupflanzen für jedes einzelnen Individuums erhöht werden, da der freigesetzte Nachwuchs größer und weiter entwickelt ist als die typischerweise freigesetzten Krebstierlarven. Der Nachteil ist, dass die Anzahl der Nachkommen durch die Größe des Marsupiums auf sehr wenige (vielleicht 5–25, je nach Art) begrenzt ist. Diese Art der Fortpflanzung kann im Abyssal besonders vorteilhaft sein, da es im Allgemeinen nahrungslimitiert ist. Vor allem die Wassersäule, der Lebensraum vieler freischwimmender Krebstierlarven, ist oligotroph (nährstoffarm), und die wenige vorhandene Nahrung sammelt sich am Meeresboden an, wo die Macrostylidenmancas leben.