Lichenes und Bryophyta


Die Sektion Lichenologie & Bryologie beschäftigt sich mit Flechten und Moosen („Kryptogamen“). Neben dem Wandel der Biodiversität in der ehemals stark umweltbelasteten Euroregion Neiße im Vergleich zum wenig geschädigten „Biodiversitäts-Hotspot“ Kaukasus interessieren uns die Beziehungen zwischen Kryptogamenvegetation und wirbelloser Tierwelt. Dies bringt uns häufig auch auf taxonomische Fragestellungen.

Geschichte

Das Herbar von C.G. Mosig (um 1800)

Der älteste Sammlungsbestandteil ist das Flechtenherbar von Carl Gottlob Mosig (Bild links), das auch Pilze und Moose enthält und um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entstanden ist. Es wurde im Jahre 1962 auf einem Dachboden der Städtischen Kunstsammlungen zu Görlitz entdeckt und dem Naturkundemuseum übergeben.

Die Naturforschende Gesellschaft zu Görlitz (1811-1945)

Die eigentliche Geschichte flechten- und mooskundlicher Aktivitäten am Museum beginnt 1833/34, als Christian Friedrich Burckhardt der Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz eine Sammlung von 100 Lausitzer Kryptogamen schenkte. Nachfolgend bereicherten weitere Mitglieder der Gesellschaft, des damaligen Betreibers des Museums, die Sammlungen durch Spenden von Material. Insbesondere in den 1850ern und 1860ern wurden mehrere kleinere und auch größere Kryptogamenherbarien acquiriert; später gab es bis zum 1. Weltkriege noch vereinzelte Zugänge. Unter den zahlreichen Sammler*innen und Herkünften jener Zeit ragen mengenmäßig heraus die Aufsammlungen des Herrnhuter Bischofs Johann Christian Breutel von seinen Visitationsreisen nach Südafrika und auf die Westindischen Inseln und die Aufsammlungen von Rudolf Rakete aus der Görlitzer Heide und den Sudeten. Als wertvollste Zuwendung jener Zeit kann aber wohl eine Sammlung von Lebermoosen angesehen werden, die im Jahre 1862 von dem damaligen Dirigenten des Prinzlichen Alaun- und Vitriolwerkes in Muskau, Theodor Schuchardt, der Gesellschaft übereignet wurde. Es handelt sich dabei um einen Teil des Nachlasses des bedeutenden Lebermoosforschers Johann Georg Christian Lehmann mit Material von verschiedenen Sammlern aus aller Welt, ca. 40 % der damals bekannten Lebermoose enthaltend, worunter sich mehrere Hundert Typusbelege befinden.

Bild rechts: Xanthomaculina frondosa (Hale) Hale, eine weltweit nur in wenigen Herbarien belegte, seltene Flechte aus Südafrika, von Breutel im Jahre 1854 bei Groenekloof gesammelt

Das „Gesellschaftsherbar“ umfaßte schließlich bis zum 1. Weltkrieg etwa 2.000 Nummern Flechten und 3.000 Moose. Die flechten- und mooskundlichen Aktivitäten im Rahmen der Naturforschenden Gesellschaft bestanden zu jener Zeit somit im wesentlichen im Zusammentragen von Sammlungsmaterial und in der floristischen Erforschung der Oberlausitz.

Nach dem Tode des Kurators der botanischen Sammlungen Hugo von Rabenau im Jahre 1921 brach auch im Zusammenhang mit den ökonomischen Schwierigkeiten jener Zeit eine längere Periode der Stagnation an.

Als Forschungsstelle in der DDR (1953-1990)

Erst nach dem 2. Weltkriege begann das Naturkundemuseum im Rahmen seiner Etablierung als Forschungsstelle (ab dem Jahre 1953) wieder eine solche Strahlkraft als regionales Zentrum naturkundlicher Forschungstätigkeit zu entfalten, daß der Einrichtung bedeutende Sammlungen anvertraut wurden. Hervorzuheben sind das Moosherbar von Heinz Eckardt mit etwa 5.000 Belegen und das Flechtenherbar von Alwin Schade im Umfang von etwa 9.000 Belegen. Das Verdienst von Alwin Schade ist es auch, das Herbar von C. G. Mosig als solches identifiziert und durch sein Gutachten dessen Sicherstellung durch Überführung ans Naturkundemuseum bewirkt zu haben. Schade erkannte neben der Bedeutung dieser Sammlung als Dokument der historischen Flechtenvegetation der Region auch bereits, daß sich möglicherweise Typusmaterial zu von Acharius beschriebenen Taxa in dieser Sammlung befindet (Schade in Abh. Ber. Naturkundemus. Görlitz 41/11), konnte dieser Frage jedoch aus Altersgründen nicht mehr nachgehen.

Abb.: Dr. h. c. Alwin Schade (1881-1976), Mentor und wichtigster Zuwender des Flechtenherbars in den 1960er/70er Jahren (Bild aus Abh. Ber. Naturkundemus. Görlitz 51/9)

Schade, im Hauptberuf Lehrer, hat die Arbeit unseres Museums auch bei anderer Gelegenheit aktiv unterstützt, auch wenn er kein Museumsangestellter war. 10 seiner Veröffentlichungen sind in den „Abhandlungen und Berichten des Naturkundemuseums Görlitz“ erschienen. Hauptgegenstand dieser Arbeiten ist die Gattung Cladonia, das Vorkommen ihrer Vertreter in der Oberlausitz und der Einfluß von Schadstoffen, die den in den 1960er Jahren neu errichteten Kraftwerken entstammten. Schades Herbarium enthält neben eigenen Aufsammlungen auch umfangreiches Material von zahlreichen Kollegen des In- und Auslandes, mit denen er in Verbindung stand. Über seinen zur Nazizeit emigrierten ehemaligen Schüler J. C. E. Riotte, der im nordamerikanischen Exil nicht nur Archimandrit der ukrainischen Exilkirche, sondern auch eine Autorität auf dem Gebiet der Entomologie wurde, ist auch viel amerikanisches Material hereingekommen. Alwin Schade ist im Jahre 1976 gestorben.

Seit den 1980er Jahren kamen verstärkt Kryptogamenproben im Zusammenhang mit den bodenzoologischen Forschungsaktivitäten des Museums in die Sammlung. Neben Material aus der Region, wie zum Beispiel aus dem Dubringer Moor, waren es insbesondere Aufsammlungen des Görlitzer Tierparkdirektors Axel Gebauer von der 29. Sowjetischen Antarktisexpedition 1984/85 (Bild links: Usnea aurantiacoatra (Jacq.) Bory von King George Island), die bodenzoologisch untersucht worden sind. Zur Bearbeitung der Kryptogamen mangelte es jedoch zu jener Zeit an personeller Kapazität.

Wichtiges Forschungsthema des Museums waren über viele Jahre die Auswirkungen der Braunkohleindustrie in unserer Region, die wegen ihrer extremen Umweltbelastung auch als „Schwarzes Dreieck“ bekanntgeworden ist. Die Folgen für die Kryptogamenvegetation wurden gelegentlich durch die Kartierung von Deckungsgraden von Flechten im Rahmen von Schülerpraktika dokumentiert.

Als Landesmuseum des Freistaates Sachsen (1990-2008)

In den 1990er Jahren wurde durch Markus Reimann die Laubmoossammlung revidiert, neu geordnet und bereichert. Die Flechtensammlung wurde von 2002 bis 2004 von Volker Otte im Rahmen eines Volontariates bearbeitet. Dabei wurde der beachtliche Bestand an Typusbelegen (etwa 200) im Herbar von C. G. Mosig erkannt; auch gelang die Wiederauffindung des verschollenen Kataloges zu dieser Sammlung aus dem Jahre 1829. Ferner war die Aufarbeitung der antarktischen Aufsammlungen möglich, wodurch Vergleichsmaterial und taxonomische Expertise als Grundlagen für spätere Forschungsaktivitäten in der Region geschaffen wurden.

V. Otte war im Anschluß in verschiedenen Projekten am Museum tätig. Neben Aspekten des Wandels der Biodiversität der Kryptogamen in der Region nach der bedeutenden Verbesserung der Umweltqualität standen die biozönotischen Beziehungen von Kryptogamen und wirbellosen Tieren im Vergleich zwischen der stark anthropogen beeinflußten Euroregion Neiße und dem gering umweltbelasteten Westkaukasus im Mittelpunkt seines Interesses.

Teil des Senckenberg-Verbundes (ab 2009)

Mit dem Eintritt des Museums in den Senckenberg-Verbund wurde die Sektion Lichenologie und Bryologie geschaffen, die seit dem 1. 4. 2009 von Volker Otte geleitet wird. Der im Januar 2010 erfolgte Umzug der Kryptogamensektionen des Museums an den neuen Standort in der Jakobstraße hat die Unterbringung der Sammlungen und die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert. Nach erneutem Umzug ist der Bereich gegenwärtig, bis zum Einzug in den geplanten Neubau (ca. im Jahre 2024), interimsweise im Finanzamtsgebäude am Sonnenplan untergebracht

Die aktuellen Aktivitäten unserer Sektion können in den weiteren Rubriken unserer Sektionsseiten nachgelesen werden.