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Blick zurück nach vorn: Klimamodellierung bei Senckenberg

Interview mit Dr. Julia Brugger über ihre Arbeit als Klimaphysikerin


Wie veränderte sich das Klima auf der Erde, als vor 66 Millionen Jahren ein Asteroideneinschlag zum Aussterben der Dinosaurier führte? Welche Auswirkungen hatte der plötzliche CO2– und Temperaturanstieg zu Beginn des Eozäns auf die Vegetation? Und was können wir aus dem Klima der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft lernen? Julia Brugger ist Klimaphysikerin und geht diesen Fragen in ihrer Forschung nach. Bei der Arbeit mit hochkomplexen Klimamodellen beeindruckt sie immer wieder, wie sensibel das Erdsystem auf Veränderungen reagiert – und wie behutsam wir deshalb mit ihm umgehen müssten.

Du bist Klimaphysikerin und Postdoc am Senckenberg Biodiversität und Kima Forschungszentrum in Frankfurt. Wie bist du zu Senckenberg gekommen?

Ich habe Physik studiert und kam während meiner Bachelorarbeit zum ersten Mal mit Klimaphysik und Klimamodellierung in Berührung. Mich hat die Physik sehr fasziniert, aber ich wollte sie für etwas verwenden, das ich wirklich sinnvoll finde. Die Frage „was ist gesellschaftlich gerade besonders wichtig?“ hat mich sehr beschäftigt. Ich habe dann an der Uni Potsdam einen Physik-Master mit Klimaspezialisierung gemacht, meine Masterarbeit am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung geschrieben und bin dort für meine Promotion zur Modellierung von Klimaveränderungen während früherer Massenaussterben geblieben.

So habe ich das Thema „Klima der Vergangenheit und was man für heute daraus lernen kann“ entdeckt. Ich fand es sehr beeindruckend, wie gut man an der Vergangenheit sieht, wie sensibel das Erdsystem auf Veränderungen reagiert, weshalb wir auch sensibel mit unserer Erde umgehen müssen. Weiter an der Vergangenheit zu forschen war eine Motivation für Senckenberg, besonders aber auch, dass ich mehr vom Einfluss von Klimaveränderungen auf das Leben verstehen wollte, von der Wechselwirkung von Klima und Pflanzen und von Vegetationsmodellierung.

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Wo die Modelle entstehen. Julia Brugger am Schreibtisch.

Bei deiner Arbeit rekonstruierst du das Klima vor Millionen von Jahren mit sogenannten Klimamodellen – wie genau funktioniert das? Welche Methoden wendest du dabei an?

Die Klimamodelle haben immer das Ziel, unsere Klimaumwelt möglichst gut abzubilden – für die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft. Die Modelle beruhen auf mathematischen Gleichungen, die physikalische Gesetze beschreiben, und die gelten immer. Wenn man diese Gleichungen für die ganze Welt lösen möchte, ist das nicht so einfach. Man teilt die Erde in Gitterzellen auf und die Zeit in Zeitschritte und berechnet dann das Klima für diese Gitterzellen und Zeitschritte auf Hochleistungsrechnern, das wird schnell sehr aufwendig. Je nachdem wie genau das Modell für eine Fragestellung sein muss, kann man die Gleichungen ein bisschen vereinfachen. Wenn man in die Zukunft schaut, möchten wir’s natürlich möglichst genau wissen.

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Ein Blick auf den Code und die dadurch entstandene Grafik eines Klimamodells.

Man kann es sich so vorstellen, dass die Modelle alle Komponenten des Klimasystems erst einmal einzeln beschreiben. Es gibt ein Ozean-Modell und ein Atmosphären-Modell und dann braucht man einen Austausch zwischen beiden. Konkret gibt es z.B. Gleichungen, die die Zirkulation in der Atmosphäre beschreiben oder die Zirkulation im Ozean. Wenn ich in die Vergangenheit schaue, gebe ich dem Modell bestimmte Bedingungen vor, die uns bekannt sind, z.B. die ungefähre CO2-Konzentration, wie die Kontinente angeordnet waren oder Angaben zur Sonneneinstrahlung, die sich in der Erdgeschichte verändert hat. Als Ergebnis erhält man dann typische Klimagrößen wie Temperatur oder Niederschlag.
Wie gut diese Größen die Wirklichkeit abbilden, ist ziemlich unterschiedlich – Temperatur können die Modelle richtig gut, Niederschlag dagegen ist immer noch eine Herausforderung. Für genaueren Niederschlag bräuchte man unter anderem eine noch stärkere Rechenleistung, was einfach unglaublich teuer ist.  

Es ist etwas sehr Besonderes, dass man mit Modellen sozusagen Geschichten nachstellen kann, während man anhand von geologischen Daten nur mögliche Zusammenhänge rekonstruieren kann

Bei Deinem Dissertationsprojekt ging es um das Aussterben der Dinosaurier – was hast Du dabei herausgefunden?

In der Studie haben wir uns angeschaut, welche Klimaveränderungen der Asteroideinschlag, der vermutlich vor 66 Millionen Jahren geschehen ist, verursacht hat, für ein ganz spezielles Szenario: Der Asteroid ist auf ein schwefelhaltiges Gestein gefallen, wodurch Schwefelaerosole entstanden sind. Welche Konsequenzen das für das Klimasystem hatte und wie lange es gebraucht hat, um sich davon zu erholen – diese „Geschichte“ wollten wir rekonstruieren.

Es ist etwas sehr Besonderes, dass man mit Modellen sozusagen Geschichten nachstellen kann, während man anhand von geologischen Daten nur mögliche Zusammenhänge rekonstruieren kann. Wir haben herausgefunden, dass es durch die Schwefelaerosole in wenigen Jahren nach dem Einschlag sehr, sehr kalt geworden ist, im globalen Mittel über 20 Grad kälter. Zunächst einmal haben auf allen Landflächen der Erde Minusgrade geherrscht. Das ist für einige Jahre so geblieben, bis die Sonneneinstrahlung zurückkam. Nach 30 Jahren hatte sich die Temperatur einigermaßen erholt.
Diese Abkühlung hat auch auf andere Komponenten des Klimasystems eine starke Wirkung gehabt. Unter anderem hat sie eine starke Durchmischung des Ozeans ausgelöst, die so viele Nährstoffe an die Oberfläche gebracht hat, dass es eine Algenblüte gab mit gefährlichen und giftigen Effekten für das ganze Ökosystem im und nahe dem Ozean.

Noch mehr zum Thema: Julia Brugger im Senckenberg-Podcast "Erdfrequenz"

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 Temperatur können die Modelle richtig gut, Niederschlag dagegen ist immer noch eine Herausforderung.

In Deiner aktuellen Forschung beschäftigst Du Dich mit dem Paläozän-Eozän-Temperaturmaximum vor 56 Millionen Jahren und der Zeit danach. Nimm uns mal mit auf eine Reise in die Vergangenheit: Was ist damals passiert und wie sah die Erde aus?

Das Paläozän-Eozän-Temperaturmaximum war ein sehr plötzlicher, starker Anstieg der Temperatur. Die CO2-Konzentration hat sich innerhalb von etwa 5000 Jahren verdoppelt oder verdreifacht, dadurch ist es vier bis sechs Grad wärmer geworden. Das Interessante ist, dass man das auf Abbildungen, die die Temperatur über viele Millionen Jahre zeigen, als ganz extremen und schnellen Anstieg wahrnimmt. Verglichen mit unserer Erwärmung heute war es aber vier- bis sechsmal langsamer! Das Temperaturmaximum hat ein massives Aussterben ausgelöst, gleichzeitig fand eine Verzwergung vieler Lebewesen statt, sie wurden kleiner. So haben sie sich an die Wärme und die schwierigeren Bedingungen, Futter zu finden, angepasst. Das System hat ungefähr 100.000 Jahre gebraucht, um sich zu erholen. 100.000 Jahre sind auf einer erdgeschichtlichen Zeitskala eher kurz – für uns Menschen ist das aber eine unvorstellbar lange Zeit. Dieses extreme Ereignis in der Vergangenheit zeigt also, dass die menschengemachte Erwärmung, wenn wir sie nicht stoppen, sehr wahrscheinlich extreme und sehr langfristige Folgen für das Leben auf der Erde haben wird.

In meinem aktuellen Projekt betrachten wir die warme Zeit, die auf das Temperaturmaximum gefolgt ist: das Eozön. Durch diese Forschung kann man viel darüber lernen, wie eine wärmere Welt ganz grundsätzlich charakterisiert ist. Zum Beispiel zeigen die Ergebnisse mit meinem Vegetationsmodell, dass es im Eozän sehr viel tropischen Wald gab, der sich in Breitengrade erstreckte, wo es heute keine tropischen Wälder gibt, während es boreale Wälder, die wir heute in den höheren Breitengraden haben, gar nicht gab. Unsere Ergebnisse stimmen mit den paläobotanischen Daten ziemlich gut überein. Das können wir als Bestätigung dafür interpretieren, dass die Klimamodelle wärmeres Klima gut darstellen können.

Welche Schlüsse können wir für unsere heutige Zeit − und unsere Zukunft − daraus ziehen?

Frühere Warmzeiten, insbesondere das Eozön, sind keine direkte Analogie zu unserer Zukunft, weil die Bedingungen anders waren, z.B. waren die Kontinente anders angeordnet. Wir sehen aber die grundsätzliche Charakterisierung einer warmen Zeit. Ich sehe ganz klar, dass sich die Vegetationszonen verschieben werden, das werden wir auch in der Zukunft erwarten, wenn auch nicht gleich so extrem wie wir für das Eozön simulieren. Wenn wir erwarten, dass das Klima der Zukunft eine andere Vegetation erfordert, ist die Frage, wie schnell sich das gesamte System daran anpassen und umstellen kann. Da der Wandel aktuell so schnell geht, haben die Vegetation und die Lebewesen vielleicht gar nicht die Chance, sich so schnell anzupassen – mit drastischen Folgen für die Biodiversität der Zukunft.

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Vortrag am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung.

Deine Arbeit ist Teil des Forschungsprojekts „Vergangene Warmzeiten als natürliche Analoge unserer ‚hoch CO2‘ Klimazukunft“, kurz „VeWA“. Dazu gehört auch die demnächst eröffnende Ausstellung „Klimawissen schaffen“. Worum geht es in der Ausstellung?

Es geht darum, Paläoklimaforschung verständlich und lebendig zu erklären. Wir als Forscher*innen werden vorgestellt, wie wir arbeiten und welche Methoden wir verwenden. Die Ausstellung zeigt, dass es eine faszinierende Arbeit ist und dass die Ergebnisse auf seriösen Methoden beruhen. Ein Ziel der Ausstellung ist es, zu zeigen, dass man mit dem Blick in die Vergangenheit des Klimas unsere heutige und zukünftige Welt besser verstehen und vorhersagen kann, weil man dabei das Erdsystem grundlegend besser versteht. Ich hoffe, dass wir etwas von dieser Faszination an den Prozessen des Erdsystems an sich, die ich immer wieder während meiner Forschung empfinde, vermitteln können. Denn ich finde, das motiviert einfach dazu, respektvoller mit der Erde umzugehen.

Wenn du dir in diesem ganzen Kontext etwas wünschen könntest, was wäre das?

Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen diesen Respekt vor dem Erdsystem empfinden. Dass sie erkennen, dass es das Größte und Schützenswerteste ist, das wir haben. Und dass es deswegen auch nicht schlimm ist, auf bestimmte Sachen zu verzichten, um die Erde zu schützen und den Klimawandel zu beschränken. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass eine klimafreundlichere Gesellschaft einen Gewinn auf ganz vielen Ebenen bedeuten würde.

Zur Person

Julia Brugger hat in Konstanz und Potsdam Physik studiert und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung promoviert. Seit 2020 ist sie Postdoc am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt. In ihrer Forschung blickt sie in die Vergangenheit, um Prozesse im Erdsystem besser zu verstehen. Insbesondere interessiert sie die Wechselwirkung von Klima und Vegetation in vergangenen Warmzeiten, um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, wie sich das Erdsystem und damit unser Lebensraum in der nahen und ferneren Zukunft verändert. Sie verwendet dazu Simulationen, die mit Computermodellen für Klima und Vegetation berechnet werden.