Eignungstests mit sonderbaren Ergebnissen, diverse Schnupperveranstaltungen von Universitäten – wohin sie der Weg nach der Schule führen sollte, war für Senckenberg-Forscherin Annett Junginger lange ein Rätsel. Irgendwann jedoch fand sie sich in einer Einführungsveranstaltung über geologische Prozesse auf der Erde wieder: „Bilder von Expeditionen aus der ganzen Welt wurden gezeigt. Da hat es irgendwie ‚Klick‘ gemacht.“
Mittlerweile kann sie selbst auf eine Reihe verschiedener Expeditionen zurückblicken. Treuer Begleiter dabei ist ihre Kamera: Jungingers Bilder erzählen von der Hitze Afrikas, Sandstürmen und skurrilen Begegnungen.
Frau Junginger, was bedeutet eigentlich Mikropaläontologie?
Das ist gar nicht so kompliziert. Alle mögen Dinosaurier: Von deren Existenz, Vielfalt, Verbreitung und Größe erzählen uns Knochenfunde auf der ganzen Welt. Die Wissenschaft, die sich mit diesen Lebewesen aus der Vergangenheit beschäftigt, nennt sich Paläontologie. Das kleine Wörtchen „Mikro“ bei meinem Fachgebiet bedeutet, dass ich mikroskopisch kleine Lebewesen aus der Vergangenheit studiere – Mikrodinos sozusagen.
Was verraten uns die Mikrofossilien über die Vergangenheit?
Am Grund eines Sees kann sich alles mögliche ablagern: Fossilien von Seeorganismen, Pollen, Phytolithe, Holzkohle, kleine Muschelkrebse, Fischknochen. Aber auch Minerale, die sich im See selbst aufgrund bestimmter Prozesse gebildet haben oder Material, welches aus dem Einzugsgebiet des Sees eingeschwämmt wurde, sind zu finden. Wir untersuchen meistens bestimmte Algen, Pollen und kleine Vielzeller, deren Skelette aus Silikat, Kalzit oder bestimmten organischen Verbindungen bestehen und auf diese Weise fossil erhalten bleiben. All die organischen und anorganischen Bestandteile im Seesediment ergeben zusammen ein Bild, wie der See und seine Umgebung beschaffen waren.
Die Mikrofossilien erzählen uns von den Pflanzen, die in der Region gewachsen sind, sowie von der Tiefe und Chemie des Sees. Die winzigen Lebewesen im Wasser reagieren nämlich sehr sensibel auf Umweltveränderungen. Diese können wir anhand ihrer Fossilien zurück verfolgen. Eines wissen wir ja: Das Klima – und damit die Umwelt – befindet sich im ständigen Wandel. Mikrofossilien geben uns Aufschluss darüber, wie die Welt vor hunderten, tausenden, oder gar Millionen von Jahren aussah. Das Tolle daran ist, dass Mikrofossilien eigentlich in jedem bisschen Staub oder Schlamm zu finden sind. Das ist ganz anders als in der klassischen Paläontologie: Da muss man oft jahrelang suchen, bis man einen Knochen ausgraben kann. Mikrofossilien zu finden ist also nicht so schwer – man braucht nur ein Mikroskop.
Welche Fragen möchten Sie mit ihrer Forschung beantworten?
Im Allgemeinen verfolgen wir bei allen Projekten das gleiche Ziel: die Umwelt der Vergangenheit zu rekonstruieren. Dazu gehört, mögliche klimatische Veränderungen nachzuvollziehen und die Rolle des Menschen dabei zu verstehen. Wir blicken in eine Zeit zurück, in der es noch nicht möglich oder üblich war, Geschehnisse handschriftlich zu dokumentieren. Mal schauen wir „nur“ 200, mal zwei Millionen Jahre zurück.
Sie leiten das Projekt “Wet Feet or Walking on Sunshine“.
Was versteckt sich hinter dem Titel?
Das Projekt ist an die internationalen Kooperation „Hominin Sites and Paleolakes Drilling Project (HSPDP)“, angegliedert, bei der Bohrkerne in der Nähe von wichtigen fossilen Fundstätten in Ostafrika analysiert werden. Ziel ist es, die Umwelt zu rekonstruieren, in der unsere Vorfahren gelebt und sich entwickelt haben.
Laut einer weit verbreiteten Hypothese gilt Ostafrika als mögliche Wiege der Menschheit, deswegen nehme ich Sie jetzt einfach mal mit ins abgelegene Chew Bahir Tal in Südäthiopien – nicht weit von dort wurden die ältesten Fossilien von Homo sapiens in Ostafrika gefunden. Das Tal ist fünf Mal so groß wie der Bodensee. In der Vergangenheit gab es Phasen, in denen es mit Wasser zu einem riesigen See gefüllt war. Heute existiert dieser See nur noch sporadisch als große Pfütze. Um mehr über die Vergangenheit zu erfahren, haben wir hier 2014 zwei knapp 300 Meter lange Seesedimentkerne während einer fünfwöchigen HSPDP-Kampagne erbohrt. Seitdem analysieren wir diese, um die Seegeschichte und das damalige Klima zu rekonstruieren und mehr über die Herkunft des Wassers in Erfahrung zu bringen.
Wie kann man sich das Leben im Camp vorstellen?
Es ist vor allem eine logistische Meisterleistung! Zelte, Küchenequipment, Essen, Toiletten, Generatoren, Betten: alles muss über weite Distanzen herangeschafft werden. Wasser ist in dieser Gegend außerdem ein sehr seltenes und sehr wertvolles Gut. Menschen legen täglich zig Kilometer zurück, um an Wasser zu kommen. Auch wir mussten mit Trucks Wasser für das Kochen, Duschen und Bohren heranschaffen. Glauben Sie mir, über die Beschaffung des Wassers allein könnte ich schon unzählige Anekdoten erzählen (lacht).
Einmal hat es dann aber doch geregnet, im ansonsten staubtrockenen Tal Chew Bahir. Eine willkommene Abwechslung für die Insektenwelt! Ein bisschen Wasser führte dazu, dass Milliarden von Mücken auftraten und uns die Nachtschichten beim Bohren zur Hölle machten. Kein Mückenspray, selbst das wirklich giftige Zeug, konnte die Mücken überzeugen, von uns abzulassen. Die einzige Möglichkeit gegen ihre Stechrüssel war es, sich so viele Schichten wie möglich anzuziehen. Bei Temperaturen von weit über 20°C in der Nacht war das zwar extrem warm, aber immerhin wurden wir nicht mehr gestochen.
Gibt es bei alldem eine Erinnerung, die sich ganz besonders in Ihr Gedächtnis eingeprägt hat?
Mit all den skurrilen, witzigen, herzerwärmenden, beängstigenden aber auch oft so lustigen Momenten könnte ich vermutlich ein ganzes Buch füllen. Aber ja, ich habe noch ein letztes Bild mit einer ganz besonderen Geschichte: Um im Chew Bahir Tal bohren zu dürfen, mussten wir zahlreiche Erlaubnisse einholen – vom Ministerium bis zum Stammesältesten. Das taten wir selbstverständlich, doch kurz nachdem wir mit den Bohrungen begonnen hatten, bekamen wir Besuch.
Etwa 30 bewaffnete Männer aus der Gegend wichen uns für Tage nicht von der Seite. Es kam mitunter zu hitzigen Diskussionen, denn sie befürchteten, dass wir einen Brunnen bauen – eine große Gefahr in einer Region, in der Wasser unglaublich wertvoll ist. Sie wollten verhindern, dass die verschiedenen Gruppen aus der Gegend sich darum bekriegen würden. Die Stimmung war auf beiden Seiten extrem angespannt. Nach drei Tagen stellten sie dann fest, dass wir wirklich nur an dem Matsch, der in Plastikrohren gepresst aus dem Boden kam, interessiert sind und verließen uns –kopfschüttelnd.
Zur Person
Annett Junginger hat in Berlin und Potsdam Geowissenschaften studiert und ist seit 2014 Juniorprofessorin für Mikropaläontologie an der Universität Tübingen. In ihrer Forschung spezialisiert sie sich unter anderem auf menschliche Evolution und die Schnittstelllen zwischen Mensch, Klima und Biosphäre. Am Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (SHEP) leitet sie das Team der Abteilung Mikropaläontologie.
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