Der Blauschillernde Feuerfalter (Lycaena helle) befindet sich in Deutschland seit 2011 auf der Roten Liste für vom Aussterben bedrohte Arten.

Senckenberg-Themen

Genomische Analyse schafft Maßnahmen gegen Artensterben

Interview mit Dr. Ann-Marie Waldvogel


Die Klimaerwärmung setzt der gesamten Tier- und Pflanzenwelt erheblich zu. Laut dem IPBES-Bericht von 2019 sind durch die bisherigen 2 Grad Erderwärmung bereits 5% aller existierenden Spezies vom Aussterben bedroht, Tendenz steigend. 

Ein Team internationaler Wissenschaftler*innen hat nun einen neuen Forschungsansatz zur Vorhersage des Überlebenspotentials von Arten durch genomische Analyse vorgestellt. Aus diesem können sich Maßnahmen und Handlungsmöglichkeiten zum Schutz der weltweiten Biodiversität ergeben. Dr. Ann-Marie Waldvogel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum erklärt im Interview mit der Senckenberg Onlineredaktion, wie der neue Forschungsansatz funktioniert und wie Bürger*innen selbst aktiv werden können.

Welche Spezies sind besonders gefährdet und wie könnte die Situation in 30 Jahren aussehen, wenn nichts unternommen wird?

Nur von wenigen Arten- und Organismengruppen gibt es eine genaue Abschätzung, ob diese vom Aussterben bedroht sind. Zudem ist oftmals nicht bekannt, ob und zu welchem Maße die für Ökosysteme relevanten Arten bedroht sind, oder ob diese das Potential besitzen, sich an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen. An dieser Stelle soll die neue Studie ansetzen, eben diese Fragen beantworten, um entsprechende Handlungen ableiten zu können. 

Wie könnte ihr neuer Forschungsansatz das Artensterben verhindern?

Der neue Forschungsansatz zielt darauf ab, Vorhersagen über die Reaktion von Arten auf den Klimawandel treffen zu können. Mit diesen Erkenntnissen können bereits frühzeitig Maßnahmen ergriffen oder Handlungsempfehlungen gegeben werden. Die Basisinformation zum Verhalten der Arten ebnet den Weg für wichtige Entscheidungen, Naturschutzkonzepte et cetera. 

Die evolutionäre Genomik kann die Vorhersage der Reaktionen von Arten auf den Klimawandel verbessern.

Welche Möglichkeiten haben verschiedene Arten, sich an die neuen klimatischen Bedingungen anzupassen?

Es gibt drei Möglichkeiten, wie eine Art auf veränderte Umweltbedingungen reagieren kann. Zum einen kann eine Art ihren speziellen Umweltbedingungen folgen, das heißt beispielsweise mit ihrem Klima wandern. Zum anderen kann sie sich genetisch anpassen, das bedeutet, dass sie neue Eigenschaften evolviert, die ihr ein Überleben in veränderten Lebensbedingungen erlaubt. Zuletzt gibt es auch Arten, denen Veränderungen keine größeren Probleme oder Umstellungen bereiten. Der gravierendste Fall wäre das Aussterben der Art – sie kann nicht migrieren oder sich anpassen und verliert so ihre Nische. 

Gibt es Spezies, denen es gelungen ist, sich an neue Lebensbedingungen anzupassen?

Ein Beispiel für eine gelungene Anpassung an veränderte Umweltbedingungen ist unter der Bezeichnung Industriemelanismus bekannt. Ein Falter, der natürlich in einer heller Variante vorgekommen ist, wandelte sich im Zuge der Industrialisierung und damit einhergehenden Luftverschmutzung in Großbritannien in eine dunklere Variante um. Die Luftverschmutzung, die sich vor allem auf dem Lebensraum des Falters, den hellen Birken und anderen Baumarten, niedergeschlagen hatte, veränderte so das Aussehen der Falters, der sich  zur Tarnung an die neuen dunklen Oberflächen anpasste. Als die Verschmutzung sich zurückbildete, wandelte sich auch der Falter zu seiner ursprünglichen Erscheinungsform zurück. Dies ist ein schönes Beispiel für die schnelle Anpassung einer Art an drastische Veränderungen ihrer Umwelt. 

Können Bürger*innen die Forschung unterstützen?

Es gibt viele Projekte, an denen Bürger*innen sich beteiligen können, und ohne größeren Aufwand nachhaltig zur Forschung beitragen können. Senckenberg startete kürzlich beispielsweise das Projekt „Puppenstube gesucht“ (auch „Die Schmetterlingswiese“ genannt), bei dem Bürger*innen aktiv zum Insektenschutz beitragen können. Auch viele internationale Projekte sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Beim Projekt Reef Check können Hobbytaucher*innen dokumentieren, welche Fische, Korallen und andere Meereslebewesen sie auf ihren Tauchgängen entdeckt haben, und auf diesem Weg die Forscher*innen unterstützen. Wissenschaftler*innen weltweit werden es nicht alleine schaffen, die globale Biodiversität zu charakterisieren, zu besammeln und die relevanten Daten zu erheben. Hier ist die Hilfe der Bürger*innen äußerst wertvoll!

Impact Summary (EN)

Global climate change (GCC) will lead to severe environmental changes and many species will lose their habitats. According to the recent Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES 2019), 5% of all species are at risk of extinction from 2°C global warming alone. To escape demographic decline or extinction, species have three different strategies to respond to changing environmental conditions: 1. range shift to track their ecological niche, 2. phenotypic plasticity to tolerate environmental change, 3. genetic evolution to adapt to new local conditions. The ability to disperse depends on species specific characteristics, e.g. birds can fly, whereas trees are sessile and thus have to cope with their local conditions. The ability of a species to genetically adapt to changing conditions depends on species-specific characteristics, such as e.g. genetic variability and population size.  If we want to counteract species extinction by conservation strategies we first need to be able to predict how different species will respond to GCC. A key element for accurate predictions is the potential for dispersal and/or evolutionary response of as many species as possible, and particularly of so-called keystone species which are of major importance for their respective ecosystem. Here we argue that it is possible to use genomic data to understand a species’ evolutionary potential and then use this to improve prediction models that can reliably predict how species will respond to changing climate conditions across their distribution area. A lot has already been learned about the genomic footprints of adaptation to climate in different organisms and we highlight some important research strategies. Similarly, there have been great advances in prediction modelling. So-called eco-evolutionary models are most promising for successfully integrating ecological and evolutionary information. However, these models depend on large amounts of ecological and genomics (i.e. evolutionary) data. Scientists will therefore have to establish large consortia and engage with local communities to collect the required data before the consequences of global climate change are irreversible.