Erdfrequenz #16

Wie der Mensch zum Menschen wurde: Die Fundstätte Schöningen


 
 

Fossilien von Waldelefanten und Säbelzahnkatzen sowie bestens erhaltene 300.000 Jahre alte Holzspeere: Die Fundstätte Schöningen in Niedersachsen hat in der Archäologie Weltruhm erlangt. Doch wie genau laufen solche Ausgrabungen eigentlich ab? Und wieso sind die Funde in Schöningen so unglaublich gut erhalten? Darüber sprechen wir im Senckenberg-Podcast „Erdfrequenz“ mit Dr. Jordi Serangeli, dem wissenschaftlichen Grabungsleiter in Schöningen. Wir gehen der Frage nach, was sich anhand der spektakulären Funde über die damaligen Menschen, ihre Umwelt und ihre Lebensart sagen lässt – und was wir davon über die Entwicklung der Menschheit ableiten können: Wie wurden wir, wer wir heute sind?

Alle Infos zur Forschungsstation Schöningen

Die Entdeckung des Elefantenskeletts – inklusive Video von der Ausgrabung!

Einblicke in die Ausgrabung des Wurfstocks

NFM 10-12-2020
Ein besonderer Ort: die Forschungsstation Schöningen. 

Hören Sie direkt hier Folge 16

Podcast mit Jordi Serangeli

Was wissen wir über die frühen Menschen? Wie haben sie sich gegen Säbelzahnkatzen und Co. durchgesetzt? Jordi Serangeli im Kurz-Interview. 

2017 wurde in Schöningen das nahezu vollständig erhaltene Skelett eines Waldelefantengefunden. Wie fühlt es sich an, so einen Gegenstand auszugraben

Eine Ausgrabung ist nie das Werk einer einzelnen Person, sondern immer eine Teamleistung. Und geteilte Freude ist immer doppelte Freude. Natürlich freuten wir uns gemeinsam über den ersten Fund eines riesigen Wirbels und fragten uns, wie es weitergehen würde. Im Laufe von zwei Jahren kamen dann nach und nach weitere Knochen zum Vorschein. Das Zungenbein, der Unterkiefer, die beiden Stoßzähne, die übergroßen Röhrenknochen, die Wirbelsäule, die Rippen. Am Ende war fast das ganze Tier da. Es ist sicherlich eine Freude, aber auch eine Verantwortung, die viele Fragen mit sich bringt: Wie kann man diesen Fund am besten ausgraben, dokumentieren und bewahren? Was sagt uns das? Welche Forschung können wir betreiben? Wie können wir diese Entdeckung in den wissenschaftlichen Diskurseinbringen und sie der Öffentlichkeit am besten präsentieren?

Die Funde in Schöningen haben unsere Sicht auf die frühen Menschen verändert. Was genau wissen wir jetzt durch sie?

Schöningen ist wie ein Buch, das wir Tag für Tag mit konstanter Begeisterung und immer neuen Kapiteln lesen. Um nur einige der wichtigsten „Kapitel“ zu nennen: 1) Dank der Speere wissen wir, dass diese Menschen – also „wir“ – schon vor 300.000 Jahren Jäger waren. 2) Dank der Überreste von Säbelzahnkatzen und Löwen wissen wir, dass Speere auch zur Verteidigung verwendet wurden. 3) Dank der Pflanzenreste wissen wir, dass es damals ein reichhaltiges Nahrungsangebot an essbaren Wurzeln, Blättern, Nüssen und Beeren gab. 4) Dank der fast unglaublichen Erhaltung von Schöningen kennen wir das Klima und die Umwelt von vor 300.000 Jahren im Detail. 5) Dank der Werkzeuge aus Holz, Knochen und Stein können wir sehen, wie sich diese Menschen organisierten und planten, und wir erkennen, dass sie sich in ihren Strategien nicht so sehr von uns unterschieden. 6) Als Grabungsleiter weiß ich, dass „weitere Kapitel“ dieses Buches derzeit von Forscherinnen und Forschern analysiert, interpretiert und „übersetzt“ werden, so dass wir alle bald mehr wissen werden. Mehr darf ich hier aber nicht verraten.

Säbelzahnkatzen, Löwen, Elefanten: Die Umwelt des Homo heidelbergensis war eine gefährliche. Wie hat er es geschafft, sich durchzusetzen?

Wie man so schön sagt: Man wächst mit seinen Aufgaben. Der Homo heidelbergensis war ein Mensch und nutzte daher Ideen, handwerkliches Geschick, Planungstiefe und Denkvermögen, um seine „Probleme“ zu lösen. Dank Werkzeugen wie Speeren stand er bereits damals an der Spitze der Nahrungskette, allerdings nur tagsüber. Wenn es Nacht wurde, machte er sicher keine romantischen Spaziergänge im Dunkeln, um die Sterne zu betrachten, denn hinter jedem Busch konnten Löwen und Säbelzahnkatzen lauern.

Gibt es bestimmte falsche Vorstellungen von der damaligen Zeit, auf die Sie oft treffen?

Ja, viele. Die größte falsche Vorstellung ist meiner Meinung nach, dass diese Menschen und ihre Welt ganz anders waren als wir und unsere heutige Welt. Nein. Sie unterschieden sich in Bezug auf ihre motorischen und körperlichen Fähigkeiten, ihre Planungstiefe und ihre Bedürfnisse nicht sehr von uns. Ihre Umwelt war damals anders, aber nur, weil sie völlig natürlich war und die Menschen ein Teil dieser Natur waren. Später, ebenfalls dank der Speere, begann der Mensch die lange Reise, die zu den gravierenden Klima- und Umweltveränderungen führte, die wir heute als Anthropozän bezeichnen.

Wenn Sie die Antwort auf eine ungeklärte Frage in Ihrem Fachgebiet erhalten könnten, was würden Sie wissen wollen?

Seit wann gibt es Spielzeuge? Ich würde mich sehr freuen, wenn wir bei der Ausgrabung etwas entdecken würden, das eindeutig als „Spielzeug“ interpretiert werden kann.

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Impressum

Copyright: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Konzept: Sören Dürr, Adrian Giacomelli, Judith Jördens
Redaktion: Adrian Giacomelli, Judith Jördens
Red. Mitarbeit: Benjamin Wimmer
Moderation: Susan Schädlich
Produktion: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Jingle: Light House Studios (Johanna Süß)

Ansprechpartner

Adrian Giacomelli
Onlineredaktion und Bewegtbild, Frankfurt/M.
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Judith Jördens
Leitung Pressestelle & Social Media