Tiefsee-Ausstellung Thorolf Müller
Am Werk für die Tiefsee-Ausstellung. 

„Der Job Kurator bei Senckenberg ist einfach einzigartig“

Interview mit Dr. Thorolf Müller, Leitung Kuration bei Senckenberg


In die Tiefsee eintauchen, Millionen Jahre in der Erdgeschichte zurückreisen oder Blicke in Zukunftsszenarien werfen: Die Ausstellungen bei Senckenberg sind so faszinierend wie vielseitig. Doch wie sieht der Weg von der Idee zur fertigen Ausstellung aus? Und wer arbeitet alles daran mit? Dr. Thorolf Müller, Leitung Kuration bei Senckenberg, erklärt seinen spannenden Job im Interview – und verrät, was es demnächst im Senckenberg-Museum zu sehen gibt. 

Wie bist du zu Senckenberg gekommen?

Nach dem Abi wollte ich nicht direkt studieren, weil mir dieses Verschulte nicht so gefallen hat, und habe erst einmal eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht. Nach einigen Stationen habe ich dann 1999 in Kiel angefangen zu studieren, mit dem Ziel, Meeresbiologe zu werden.

Nach dem Grundstudium bin ich von der Meeresbiologie weggekommen, weil mich eine Privatdozentin sehr für Anthropologie begeistern konnte, und bin in dem Bereich geblieben, habe mein Diplom abgelegt und schließlich auch promoviert zum sogenannten Affe-Mensch-Übergangsfeld.

Zu der Zeit hat mich dann ein Dozent für Paläontologie, das ich im Nebenfach hatte, zu Senckenberg gebracht. Das war anfangs ein Praktikum, dann hat es sich von einer Assistenzstelle zu einer Projektleiterstelle bis hin zur Dauerstelle entwickelt. Und mittlerweile bin ich schon seit 13 Jahren hier.

Planet 3.0 Thorolf Müller
Hier wird für die Wanderausstellung „Planet 3.0 Klima. Leben. Zukunft“ getüftelt. 

Es scheint Dir also immer noch Spaß hier zu machen, oder?

Ja, klar. Jeden Tag sind neue, spannende Herausforderungen zu bewältigen. Der Job Kurator in so einem großen Museum wie dem von Senckenberg ist einfach einzigartig. Ich fühle mich auch dazu berufen gewissermaßen, weil er meine Talente gut verbindet.

Werfen wir mal einen Blick aufs Kuratieren: Wie wird denn entschieden, welche Ausstellungen es geben soll, und wie wird aus einer Idee eine fertige Ausstellung?

Die Ideen können aus ganz verschiedenen Ecken kommen: natürlich aus dem Museumsteam, von Geldgeber*innen oder auch aus der Wissenschaft. Manchmal machen wir auch Umfragen im Museum, dann können die Besucher*innen selbst angeben, welche Ausstellungsthemen sie interessieren.

Wenn wir dann eine Idee haben und sie umsetzen wollen, fangen wir mit einem groben Konzept an. Das entsteht meist in einem Kernteam, das idealerweise aus einem Kuratoren oder einer Kuratorin, einem Wissenschaftler oder einer Wissenschaftlerin und jemandem aus der Abteilung Bildung & Vermittlung besteht.

Wenn es noch kein Geld für die Idee gibt, präsentieren wir das Ausstellungskonzept Stiftungen, Firmen oder Privatpersonen. Wenn das Geld dann beisammen ist, arbeiten wir das Grobkonzept zum Feinkonzept aus. Das Kernteam bleibt dabei das gleiche, nach und nach kommen aber immer mehr Leute ins Spiel. Es kommen Gestalter*innen dazu, meist externe, die aus dem, was wir bislang nur aufgeschrieben haben, eine Ausstellungsarchitektur erstellen, also Möbel entwerfen, Media-Stationen und Filme planen usw.

Das Ganze wird dann allen Beteiligten präsentiert und besprochen, wobei oft noch drastische Änderungen vorgenommen werden. Dann geht es daran, die Ausstellungselemente zu bauen. Dafür kriegen wir Angebote von Firmen und wählen aus. Und schließlich muss das alles aufgestellt werden. (lacht)

Dazu kommen natürlich noch andere Sachen, beispielsweise die Öffentlichkeitsarbeit, die auch zum Kuratieren gehört. In diesem Fall heißt das, darüber nachzudenken, wie ich die Ausstellung bewerben kann.

Faszination Vielfalt Thorolf Müller
Gemeinsam wird an „Faszination Vielfalt“ gearbeitet.

Wie lange dauert der ganze Prozess normalerweise?

Das ist sehr abhängig von der Größe, aber auch dem Thema einer Ausstellung. Auch der Art: Ist es eine Dauer- oder Sonderausstellung? Für eine Ausstellung mit etwa 200 Quadratmetern Fläche: Zwei Jahre sind optimal, eineinhalb sind in Ordnung, neun Monate sind sportlich, aber machbar.

Wie viele Leute sind insgesamt an einer Ausstellung beteiligt?

Wir haben wie gesagt ein kleines Kernteam aus 4-5 Leuten. Im etwas größeren Kreis sind es dann schon 20 bis 30. Wenn wir aber alle Leute hinzuzählen, die in irgendeiner Form etwas zur Ausstellung beitragen, dann kommen wir auf sehr viel mehr. Ich hab das sogar einmal gemacht, für die „Tiefsee“-Ausstellung, da bin ich dann am Ende auf 208 Leute gekommen.

Wie ist das Gefühl, wenn die Ausstellung endlich fertig ist?

Das ist schon ein sehr schönes Gefühl. Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen, dass ein großer Druck abfällt, wenn die Ausstellungseröffnung stattgefunden hat und die ganze Arbeit vorbei ist. Dann hat man diesen Stress hinter sich gebracht – und ich meine „Stress“ hier absolut positiv, denn es macht echt Spaß, sich in die Ausstellungen reinzuhängen und richtig dafür zu ackern.

Was ich dann manchmal mache, ist, dass ich mich in die Ausstellung setze und den Leuten zuschaue. Wenn man sieht, wie Elemente so verwendet werden, wie sie gedacht sind, wenn sie z.B. Leute zusammenbringen wie das Drohnen-Spiel in der Faszination Vielfalt oder die Tauchfahrt in der Meeresforschung, dann macht einen das schon glücklich. Aber ich sehe das nie als „meinen“ Erfolg, sondern immer als Team-Erfolg. Wir haben alle gemeinsam daran gearbeitet und etwas Tolles geleistet.

Planet 3.0 Sabine und Thorolf
Ganz schön technisch geht es zu bei den Vorbereitungen für „Planet 3.0“ mit Sabine Mahr.

Auch wenn du in einem naturwissenschaftlichen Feld promoviert hast, kannst du natürlich unmöglich alles über alle möglichen Ausstellungsthemen wissen. Wie viel Recherche betreibst du?

Also idealerweise haben wir ja die Forscher*innen meist schon im Team. Aber natürlich informieren wir uns auch selbst und betreiben Recherche. Das heißt zum Beispiel, dass wir wissenschaftliche Primärtexte lesen. Aus so einem haben wir etwa auch vom Bärenspinner-Falter für den neuen Bereich „Natur und Medizin“ erfahren: Die Raupe dieses Schmetterlings schaltet auf den giftigen Schierling um, wenn sie von sogenannten Raupenfliegen parasitiert wird.

„Natur & Medizin“ wird bald zu sehen sein. Was kannst du über die Ausstellung verraten?

In der „Natur & Medizin“-Ausstellung zeigen wir in fünf Bereichen, welche Wirkstoffe für Medikamente aus der Natur stammen, welche dort noch schlummern, wie Infektionskrankheiten und biologische Vielfalt miteinander verknüpft sind und wie selbst Tiere „Medizin“ verwenden. Ein Tisch widmet sich entscheidenden Wendepunkten in der Geschichte der Heilkunde.

Es gibt einen Teil zu falscher Medizin, etwa zum Glauben, durch Hörner von Nashörnern potenter zu werden, was dazu führt, dass die Tiere von Wilderern gejagt werden und stark gefährdet sind.

Ein sehr spannender Bereich ist der zu Tieren & Medizin. Da geht es darum, wie sich Tiere selbst heilen, praktisch Medizin betreiben. Dafür haben wir einige erstaunliche Beispiele, etwa Vögel wie den Eichelhäher, die sich in Ameisen wälzen. Die Ameisen fühlen sich angegriffen und verteilen Ameisensäure auf den Federn. Das wiederum hilft gegen Parasiten. Lemuren auf Madagaskar knabbern an Tausendfüßern und reiben sich mit dem Abwehrsekret dieser Tiere ein – ebenfalls gegen Parasiten. Netter Nebeneffekt: Die Tiere werden davon high!

Tiefsee und Meeresforschung Ausstellung
So kann es am Ende aussehen: Der Themenraum „Tiefsee“. 

Schau mal in die Zukunft – was tut sich im Museum in den nächsten 10 Jahren?

Wir stehen vor einer großen Veränderung. In den kommenden Jahren werden wir das Museum grundlegend um- und ausbauen. Das ist bei der Größe des Hauses ein Kraftakt, aber auch eine Riesen-Chance für alle, die daran mitarbeiten. So etwas erlebt man maximal einmal im Leben. Museen entwickeln sich immer im Kontext mit der Gesellschaft – und so müssen sich Museen immer wieder neu erfinden. Das gilt auch und gerade für uns.

Wenn wir in einigen Jahren das „Neue Senckenberg-Museum“ fertiggestellt haben, hoffe ich auf 800.000 Besucher*innen im Jahr. Unser Museum ist und bleibt ein Museum der Generationen: Als Kleinkind komme ich mit den Eltern, meist noch einmal mit dem Kindergarten, später gezwungenermaßen als Schüler*in, dann komme ich wieder mit den eigenen Kindern und noch etwas später schleppe ich die Enkel*innen ins Museum. Und so geht es immer weiter mit der großen Fangemeinde des schönsten Museums in Frankfurt!

Zur Person

Dr. Thorolf Müller hat in Kiel und Mainz Anthropologie studiert und zum Affe-Mensch-Übergangsfeld promoviert. Er ist Leiter der Kuration bei Senckenberg.