Klimawandel: 81 Prozent weniger Wasserinsekten

Hochauflösende Langzeitstudie zeigt deutliche Veränderungen in Bächen

Senckenberg-Wissenschaftler Peter Haase hat gemeinsam mit seinem Kollegen Viktor Baranov von der Ludwig-Maximilians-Universität München und weiteren Forschenden die Veränderung der Insektenwelt eines deutschen Fließgewässers untersucht. Über 42 Jahre wurde der in einem hessischen Naturschutzgebiet liegende Breitenbach mindestens wöchentlich beprobt. Die Daten zeigen, dass die Anzahl der Wasserinsekten um 81,6 Prozent gesunken ist, deren Artenvielfalt dagegen leicht anstieg. Das Wissenschaftler*innen-Team führt die Entwicklung in der heute im Fachjournal „Conservation Biology“ erschienenen Studie auf den globalen Klimawandel zurück.

Der Breitenbach im Osthessischen Bergland gilt als typisches Exemplar eines kleinen Mittelgebirgsbaches – diese Form der Fließgewässer finden sich in Deutschland und Mitteleuropa am häufigsten. „Dennoch sticht der Breitenbach unter diesen Gewässern hervor! Über 42 Jahre wurden hier wöchentliche Insektenproben sowie tägliche Wasserabfluss- und Temperaturmessungen vorgenommen. Es gibt wohl weltweit kein anderes Fließgewässer, das so lange und in dieser Häufigkeit beprobt wurde“, erklärt Prof. Dr. Peter Haase, Abteilungsleiter „Fließgewässerökologie und Naturschutzforschung“ am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.

Diese einzigartige Datengrundlage nutzten Haase und Dr. Viktor Baranov von der Ludwig-Maximilians-Universität München, um die Entwicklung der Insektenwelt in Korrelation mit Veränderungen im Klima zu untersuchen. „Zugute kommt uns hierbei, dass der Breitenbach in einem rund 610 Hektar großen Naturschutzgebiet und somit fernab von direkten menschlichen Einflüssen liegt“, erläutert Baranov und fährt fort: „Wir konnten so einer zentralen Frage in der Ökologieforschung nachgehen: Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf – ansonsten weitestgehend ungestörte – Ökosysteme?“

Die Ergebnisse sind alarmierend: Die durchschnittliche Wassertemperatur des Breitenbachs stieg im Zeitraum Januar 1969 bis Dezember 2010 um 1,8 Grad und die Anzahl der Insektenindividuen verringerte sich um 81,6 Prozent. „Im Gegensatz zu diesem ‚Abundanzverlust’ verzeichnen wir insgesamt eine Steigerung der Biodiversität im Breitenbach – wir haben also weniger Individuen, dafür aber mehr Arten“, ergänzt Haase. Diese Entwicklung erklären sich die Forschenden mit einer Verschiebung der Fließgewässereigenschaften: „Der beprobte Abschnitt war vor 42 Jahren ein klassischer Bachoberlauf. Durch den Temperaturanstieg zählt er nun zu einem Bachmittellauf, in dem man generell mehr Arten findet“, fügt Baranov hinzu. Die Daten des Wissenschaftler*innen-Teams zeigen aber auch, dass dieser Trend wieder an einer Kehrtwende unterlegen ist – Messungen aus den letzten zwei Dekaden zeigen, dass im Breitenbach die Artenvielfalt wieder abnimmt. Auch hier spielen Klimawandel-bedingte Verschiebungen eine wichtige Rolle: Seit 1990 dominieren trockene Jahre mit entsprechenden Auswirkungen auf die Wasserinsekten.

„Unsere Studie zeigt, dass der Klimawandel auch in ansonsten anthropogen unbeeinflussten Gebieten bereits einen erheblichen Einfluss auf unsere aquatischen Ökosysteme hat. Zudem wird die Komplexität der Natur deutlich, welche sich nicht linear verhält. Diese kann nur durch Langzeitmessungen, wie am Breitenbach, in ihrer Gänze verstanden werden – mit Kurzzeitstudien oder reinen Modellierungen wären wir in unserem Untersuchungsgebiet zu deutlich anderen Ergebnissen gekommen“, resümiert Haase.