Invasive Arten: Globale Bedrohung für Natur, Wirtschaft, Ernährungssicherheit und menschliche Gesundheit
Neuer IPBES-Bericht liefert Belege, Instrumente und Optionen für den Umgang mit gebietsfremden Arten
37.000 gebietsfremde Arten wurden bis jetzt weltweit durch menschliche Aktivitäten eingeführt – mehr als 3.500 davon gelten als so schädlich, dass sie eine ernsthafte Bedrohung für die Natur und unsere Lebensqualität darstellen. Solche invasive Arten spielen bei etwa 60 Prozent des weltweiten Aussterbens von Tieren und Pflanzen eine Schlüsselrolle. Die nicht-heimische Fauna und Flora verursacht zudem jährliche Kosten von über 392 Milliarden Euro, die sich seit den 1970er-Jahren in jedem Jahrzehnt vervierfacht haben. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Team, unter ihnen Senckenberg-Wissenschaftler Dr. Hanno Seebens, in einem neu veröffentlichten Bericht des Weltbiodiversitätsrats (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, IPBES). Die Forschenden plädieren für einen präventiven Umgang mit invasiven Arten und einen länder- und sektorübergreifenden Ansatz ihrer Kontrolle.
„Invasive Arten sind – neben dem Land- und Meeresnutzungswandel, der direkten Ausbeutung von Arten, dem Klimawandel und der Verschmutzung – eine der fünf gewichtigsten Ursachen für den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt“, erklärt Dr. Hanno Seebens vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt. Der Frankfurter Wissenschaftler hat gemeinsam mit weiteren 85 Expert*innen aus 49 Ländern über vier Jahre mehr als 13.000 Quellen – wissenschaftliche Studien, behördliche Dokumente sowie Aufzeichnungen indigener Völker und lokaler Gemeinschaften – zu invasiven Arten ausgewertet. Der von ihnen neu veröffentlichte „Assessment Report on Invasive Species and their control“ des Weltbiodiversitätsrates IPBES wurde am vergangenen Samstag in Bonn von Vertreter*innen der 143 IPBES-Mitgliedsstaaten angenommen.
In ihrem Bericht betonen die Autor*innen, dass nicht alle gebietsfremden Arten zwingend invasiv und damit zu einer Bedrohung der heimischen Ökosysteme werden: Etwa 6 Prozent der gebietsfremden Pflanzen, 22 Prozent der gebietsfremden wirbellosen Tiere, 14 Prozent der gebietsfremden Wirbeltiere und 11 Prozent der gebietsfremden Mikroben gelten als invasiv. „Mehr als 2.300 der invasiven Arten finden wir in Gebieten, in denen indigene Völker und lokale Gemeinschaften leben – Menschen, die am stärksten von der Natur abhängig sind. Sie bedrohen dort deren Lebensqualität und kulturelle Identität“, ergänzt Seebens und fährt fort: „Global sehen wir, dass invasive Arten ein Hauptfaktor für 60 Prozent sowie der einzige Auslöser für 16 Prozent des weltweiten Aussterbens von Tieren und Pflanzen sind. Mindestens 1.200 Aussterbeereignisse von Tieren und Pflanzen können direkt auf 218 invasive Arten zurückgeführt werden.“ So hätten beispielsweise der Kanadische Biber (Castor canadensis) oder die Pazifische Auster (Magallana gigas) die von ihnen besiedelten Ökosysteme mit schwerwiegenden Folgen für heimische Arten verändert, heißt es in dem Bericht. Nahezu 80 Prozent der dokumentierten Auswirkungen invasiver Arten seien auch für den Menschen negativ: Die Karibische Miesmuschel (Mytilopsis sallei) verursacht zum Beispiel enorme wirtschaftliche Schäden in der indischen Fischerei, kommerziell betriebene Muschelbänke in Neuengland sind durch die invasive Gemeine Strandkrabbe (Carcinus maenas) gefährdet. Und auch gesundheitliche Folgen, einschließlich Krankheiten wie Malaria, Zika und West-Nil-Fieber, werden durch invasive Mückenarten wie Aedes albopictus und Aedes aegyptii hervorgerufen.
„Invasive Arten sind ein globales Problem mit lokalen, unterschiedlich starken Auswirkungen“, so Seebens und weiter: „34 Prozent der Auswirkungen biologischer Invasionen finden wir in Süd- und Nordamerika, 31 Prozent in Europa und Zentralasien, 25 Prozent in Asien und dem Pazifik, etwa 7 Prozent wurden aus Afrika gemeldet.“ Die verheerendsten Auswirkungen (etwa 75 Prozent) entstehen an Land – vor allem in Wäldern, Waldgebieten und kultivierten Flächen –, deutlich weniger in Süßwasser- (14 Prozent) und Meereslebensräumen (10 Prozent). Auf Inseln richten invasive Arten den größten Schaden an: Auf mehr als 25 Prozent aller Inseln übersteigt die Zahl gebietsfremder Pflanzen die der einheimischen Flora.
Das Forscher*innen-Team warnt, dass sich zukünftig – bedingt durch den globalen Klimawandel und die Zunahme des weltweiten Handels und Reisens – die Gesamtzahl der invasiven Arten noch erhöhen wird. „37 Prozent der heute bekannten 37.000 gebietsfremden Arten wurden seit 1970 gemeldet und sind größtenteils auf die zunehmende Globalisierung des Handels und Habitatzerstörung zurückzuführen“, fügt Seebens hinzu.
Die IPBES-Expert*innen verweisen auf die im Allgemeinen unzureichenden Maßnahmen zur Bewältigung der Herausforderungen durch invasive Arten. Während 80 Prozent der Länder in ihren nationalen Biodiversitätsplänen Ziele für den Umgang mit invasiven gebietsfremden Arten verankert haben, verfügen nur 17 Prozent der Länder über nationale Gesetze oder Vorschriften, die sich speziell mit diesen Fragen befassen. 45 Prozent aller Länder investieren überhaupt nicht in das Management biologischer Invasionen. Dies erhöhe auch das Risiko invasiver gebietsfremder Arten für Nachbarstaaten, so die Autor*innen.
„Positiv können wir hervorheben, dass künftige biologische Invasionen, das Ansiedeln invasiver Arten und ihre Auswirkungen durch ein wirksames Management und stärker integrierte Ansätze verhindert werden können. Es gibt fast für jeden Kontext und jede Situation Managementinstrumente, Steuerungsoptionen und gezielte Maßnahmen, die wirklich funktionieren“, erläutert Seebens und weiter: „Präventionsmaßnahmen – wie streng durchgesetzte Einfuhrkontrollen – sind dabei die beste und kosteneffizienteste Option, aber auch die Ausrottung, Eindämmung und Kontrolle von invasiven Arten sind in bestimmten Situationen wirksam. Zudem kann die Wiederherstellung von Ökosystemen die Widerstandsfähigkeit gegenüber künftigen Invasionen erhöhen.“
Die Autor*innen plädieren für Regularien auf internationaler Ebene, eine ausreichende Finanzierung von (Kontroll-)Maßnahmen, eine Sensibilisierung und Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit, offene Informationssysteme und das Schließen von Wissenslücken. „Beim letzten Punkt ist auch die Wissenschaft gefragt – es gibt immer noch große Wissenslücken, vor allem für invasive Invertebraten und in Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas, die es zu schließen gilt. Besonders wichtig ist es aber, dass Maßnahmen implementiert und auch kontrolliert werden müssen“, fasst Seebens zusammen und schließt: „Im Rahmen der 15. Vertragsstaatenkonferenz zur biologischen Vielfalt (CBD COP15) in Montreal wurde beschlossen die Einführung und Ansiedlung invasiver Arten bis 2030 um mindestens 50 Prozent zu reduzieren. Unser IPBES-Bericht liefert die Belege, Instrumente und Optionen, die dazu beitragen, dass diese Verpflichtung erfüllt werden kann.“