PM Landnutzung 7.1.2020
Einer der untersuchten Graslandflächen im Val-de-Sevre in Südwest-Frankreich.

Von der Vergangenheit eingeholt: Landnutzung hat langfristige Auswirkung auf biologische Vielfalt


Die Vergangenheit lässt die biologische Vielfalt in Agrarlandschaften nicht los, wie eine Studie von Wissenschaftler*innen des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums zeigt. Anhand einer Agrarlandschaft in Südwest-Frankreich konnte das Team zeigen, dass eine Zwischennutzung von Wiesen und Weiden als Ackerland auch nach zwanzig Jahren die Eigenschaften zur Bewegung und Nahrungssuche innerhalb einzelner Artengemeinschaften auf heutigen Wiesen und Weiden homogenisiert. Daher ist es laut Studie nötig, bestehende Wiesen- und Weideflächen in Agrarlandschaften langfristig zu erhalten, um eine Zuflucht für Arten zu bieten, die durch den Umbruch in Ackerland verloren gehen. Die Studie ist soeben in “Proceedings of the National Academy of Sciences” erschienen.

In den vergangenen zwanzig Jahren sind die Wiesen- und Weideflächen in Europa dramatisch geschrumpft; vielfach wurden aus ihnen Ackerflächen gemacht. Das Val-de-Sèvre im Südwesten Frankreichs ist hierfür ein typisches Beispiel: Heute gibt es dort 30 Prozent weniger Grünlandflächen als noch in 1994. Wie Wissenschaftler*innen des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum herausgefunden haben, beeinflusst eine solche, wechselnde Landnutzung in Agrarlandschaften langfristig – also bis heute – die Bandbreite der Eigenschaften der dort anzutreffenden Arten.

“Wir wissen bisher nur wenig über das Verhältnis zwischen der Landnutzung in der Vergangenheit und der heutigen biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften. Die Forschung hat bereits gezeigt, dass biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft maßgeblich durch die heutige Bewirtschaftung und den Anteil naturnaher Landnutzung beeinflusst wird. Wir konnten nun zeigen, dass die Landnutzung in der Vergangenheit mindestens einen genauso so großen Einfluss hat“, so die Leiterin der Studie, Dr. Gaëtane Le Provost, Wissenschaftlerin am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt.

Le Provost und ihr Team untersuchten 75 Wiesen- und Weidenflächen im Val-de-Sèvre für die detaillierte Angaben zur Landnutzung zwischen 1994 und 2014 verfügbar waren. Daraus leitete das Team ab, wie lange naheliegende Flächen bereits Ackerland gewesen sind, wie lange die Wiese oder Weide bereits besteht und wie oft die Fläche zwischen den Nutzungsarten Acker oder Wiese und Weide gewechselt hat. Zusätzlich erhoben die Forschenden, welche Pflanzen, Wildbienen, Schwebfliegen, Grashüpfer, Laufkäfer, Spinnen und Vogelarten auf den Flächen im Jahr 2014 zu finden waren.

“Auf den von uns untersuchten Wiesen und Weiden sind Artengemeinschaften der Flächen, die lange als Äcker genutzt wurden und in deren Umgebung es kein Dauergrünland gibt, hinsichtlich ihrer funktionalen Eigenschaften deutlich homogener. Es gibt auf diesen Flächen also heute nicht zwangsläufig weniger Arten, sondern die Arten gleichen sich funktional sehr, insbesondere was ihre Strategien zur Bewegung und Nahrungssuche angeht. Wenn Wiesen in Äcker umgewandelt werden, verschwinden langfristig die Spezialisten unter den Arten – man kann daher sagen, dass eine veränderte Landnutzung eine Aussterbeschuld trägt, die oft erst nach vielen Jahren sichtbar wird”, sagt der Ko-Autor der Studie, Dr. Peter Manning, Nachwuchsgruppenleiter am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.

Dass der Umbruch in Ackerland die Artengemeinschaft homogener macht, bringt eine Reihe von Risiken mit sich. Eine Agrarlandschaft ist dadurch schlechter in der Lage, Schädlinge ohne Hilfe einzudämmen oder den Verlust einzelner Arten abzupuffern. Das Team fand auch heraus, dass die Landnutzung in der Vergangenheit besonders für Arten am unteren Ende der Nahrungskette, wie die in der Studie untersuchten Grashüpfer, Bienen und Schwebfliegen, relevant ist. Ihre Sorge ist daher, dass eine verzögerte Reaktion auf die veränderte Landnutzung am oberen Ende zu einer zeitlichen Diskrepanz zwischen interagierenden Ebenen der Nahrungskette führen könnte.

Den Autor*innen nach liegt im Rückblick zugleich der Schlüssel zur Zukunft. „Eine Erkenntnis der Studie lautet: Wenn in Agrarlandschaften ausreichend Dauergrünland in Form von Wiesen und Weiden vorhanden sind, mildert dies den Verlust von Arten, die nur bedingt mobil sind und spezielle Nahrungsvorlieben haben, ab. Dauergrünland bietet diesen Arten nämlich Zuflucht. Daher sollte es alleroberste Priorität haben, die noch bestehenden Wiesen und Weiden in ländlichen Räumen zu schützen. Davon profitiert das gesamte Agrarökosystem“ schließt Le Provost.

Pressematerial

PM Landnutzung 7.1.2020

Mit der Umwandlung von Wiesen in Äcker gehen besonders viele spezialisierte Arten am unteren Ende der Nahrungskette verloren (im Bild: Grashüpfer).

PM Landnutzung 7.1.2020

Einer der untersuchten Graslandflächen im Val-de-Sevre in Südwest-Frankreich.