Die Vielfalt von Säugetieren erforschen – tot und lebendig
Die Vielfalt von Säugetieren erforschen – tot und lebendig
Paläontologen und Biologen erforschen ausgestorbene und lebende Arten traditionell getrennt voneinander. Ein Austausch zwischen den Disziplinen findet nur selten statt. Ein internationales Forscherteam hat nun ein Konzept entwickelt, um das zu ändern – und konnte neue Erkenntnisse über die Entstehung der heutigen Artenvielfalt von Großsäugern gewinnen.
Heutige Biodiversitätsmuster, zum Beispiel die Verteilung der Arten auf unserem Planeten, werden sowohl von gegenwärtigen als auch von historischen Umweltfaktoren beeinflusst. Biologen erforschen solche Muster, um die Ökologie und Evolution heute lebender Arten zu verstehen. Paläontologen hingegen haben ausgestorbene Arten im Fokus.
Das Konzept „Tot und Lebendig“
Um die wissenschaftliche Expertise aus Paläontologie und Biologie zu vereinen, haben Senckenberg-Wissenschaftler/-innen ein Konzept entwickelt. Vergleichbare Daten zur Verbreitung, Verwandtschaft und zu Merkmalen ausgestorbener und rezenter Arten werden direkt zusammen analysiert. Nehmen wir als Beispiel einen Stammbaum aller Arten, der molekulargenetische und morphologische Daten enthält. Diese Kombination ermöglicht einen tieferen Einblick in das Kommen und Gehen von Arten und in die Entstehung und Geschichte heutiger ökologischer Zusammenhänge (Abb. 1).
Die Paläontologische Seite: Säugetierrevolution über 20 Millionen Jahre
Dank der Daten aus der Paläontologie – dem „toten“ Teil des Untersuchungskonzepts – lassen sich die treibenden Mechanismen der evolutionären Entwicklung herleiten. Dies soll nun anhand eines Beispiels erläutert werden. Es ist bekannt, dass einige Huftiere wie Pferde und Hirsche im Neogen, der 23 bis 2,8 Millionen Jahre zurückliegenden erdgeschichtlichen Periode vor dem Beginn der Eiszeiten, immer größer wurden. Allerdings war bislang nie über alle Gruppen der Huftiere untersucht worden, wie verbreitet dieses Muster ist und welcher evolutionäre Mechanismus dahintersteckt.
Eine Studie am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum hat nun gezeigt, dass der Anteil größerer Huftierarten in Nordamerika wie auch in Europa über den genannten Zeitraum stetig zunahm – große Arten sind häufiger neu entstanden und starben seltener aus. Dieser Zusammenhang zwischen Körpergröße einerseits und Artbildung sowie Aussterberate andererseits wurde in der Untersuchung erstmals für fast 500 fossile Huftierarten belegt und spricht für den Mechanismus der natürlichen Selektion: Größere warmblütige Tiere sind besser an kühlere Lebensbedingungen angepasst, weil sie relativ gesehen weniger Wärme verlieren. Über die gesamte Dauer des Neogens wurde es global kühler – neu entstandene Nischen wurden daher von neuen, großen Arten besetzt. Zusätzlich war die Aussterberate bei großen Arten geringer, möglicherweise weil sie sich leichter ausbreiten und ihrem bevorzugten Lebensraum in einer sich verändernden Welt leichter folgen konnten.
Obwohl die Körpergröße bei Huftierarten über den Zeitraum des Neogens zunahm und es daher einen wachsenden Anteil an größeren Arten gab, ist die Artenvielfalt von europäischen und nordamerikanischen Großsäugern insgesamt heute geringer als in der geologischen Vergangenheit des Neogens. Dies könnte zum Beispiel darin begründet liegen, dass im Zuge der Abkühlung des Klimas die pflanzliche Primärproduktion abnahm, die als Biomasse die Nahrungsgrundlage vieler Großsäuger bildet. In einer weiteren Senckenberg-Studie konnten wir zeigen, dass über die Dauer von 20 Millionen Jahren die Vielfalt von Großsäugern tatsächlich von der Verfügbarkeit pflanzlicher Biomasse abhing. Je größer die pflanzliche Biomasse, desto mehr Gattungen von Säugetieren konnten in einem Ökosystem leben. Das mag plausibel klingen, doch diese Zusammenhänge waren zuvor nicht anhand von Fossilien belegt worden. Wir analysierten insgesamt über 12 000 Fossilvorkommen aus rund 1500 Fundstellen in Nordamerika und Europa; unter den 690 Gattungen von Großsäugern waren zum Beispiel Hirsche, Bisons, Nashörner, Pferde, Katzen, Wölfe, Elefanten und Affen.
Der große Umbruch: Heutige biologische Vielfalt und die Ankunft des Menschen
Die beiden genannten Studien untersuchten die Vielfalt von Fossilien nur bis zu Beginn der Eiszeiten, die vor etwa 2,8 Millionen Jahren einsetzten und vor 10 000 Jahren endeten. Insbesondere am Ende dieser Epoche starben viele Großsäuger wie etwa Mammuts und Höhlenbären unwiederbringlich aus. Heute leben in Europa nur 51 Arten von Großsäugern in 27 Gattungen; vor 10 Millionen Jahren waren es noch zwischen 130 und 200 Gattungen.
In der zweiten Studie setzten wir das „tot und lebendig“-Konzept um. Wir kombinierten unsere paläontologischen Ergebnisse, die wir im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Säugetierdiversität und pflanzlicher Biomasse gewonnen hatten, mit den entsprechenden Daten aus der Gegenwart. Letztere weichen signifikant ab: Heute existieren in Nordamerika und Europa noch deutlich weniger Großsäuger, als aufgrund der geringeren pflanzlichen Biomasse und der Abkühlung im Vergleich zum Neogen zu erwarten wäre. Berücksichtigt man allerdings die eiszeitlichen Aussterbeereignisse und die konkurrierende Nutzung pflanzlicher Biomasse durch den Menschen für Nahrung, Tierhaltung und andere Zwecke, passen die Ergebnisse ins Bild (Abb. 2).
Die deutlichen Unterschiede zwischen ehemaliger und heutiger Biodiversität sind ein Beleg für die fundamentale Änderung der ökologischen Zusammenhänge. Wahrscheinlich liegen die zahlreichen Aussterbeereignisse seit der späten Eiszeit, also von vor etwa 50 000 Jahren bis zum heutigen Artenschwund, in starken, rapiden Klimaveränderungen sowie auch in menschlichen Aktivitäten begründet; die Jagd auf Tiere seit mindestens 10 000 Jahren scheint hier ein wesentlicher Faktor gewesen zu sein. Spätestens seit der industriellen Revolution spielt die intensive Nutzung der natürlichen Ressourcen die wesentliche Rolle – heute konkurrieren wir gerade mit den größeren Säugetierarten um Lebensraum und Nahrung. Nehmen wir zum Beispiel das Rotwild beziehungsweise den Rothirsch. Der „König der Wälder“ war bei uns in Deutschland einst weit verbreitet, heute ist sein Territorium auf wenige Reliktvorkommen zusammengeschrumpft. Auch in seiner Lebensweise hat er sich anpassen müssen: von einer tagaktiven und über weite Strecken wandernden Tierart hin zum nachtaktiven Standwild mit klar eingegrenzten Lebensraum.
leitet die Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „Makroevolution von klimatischen Nischen bei Vögeln“ am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und der Goethe-Universität Frankfurt. Sie erforscht makroevolutionäre Prozesse wie die Entstehung und das Aussterben von Arten oder die Evolution von Artmerkmalen. Ihr besonderes Interesse gilt dem Einfluss abiotischer und biotischer Umweltparameter wie Klima, topografisches Relief und Vegetation auf räumliche und zeitliche Diversitätsdynamik von Vögeln und Säugetieren.
I am interested in large-scale evolutionary, paleontological, biogeographic, and (paleo-)ecological patterns, their relationships with the abiotic environment in time and space, and the processes underlying these patterns and relationships. I have worked on ecology, evolution and conservation of mammals, amphibians and birds. Particularly since the establishment of my own research group (Emmy Noether fellowship of the German Research Foundation DFG), my research focuses on macroevolution, macroecology, and biogeography of living and fossil birds and mammals. Since starting my professorship at Goethe University Frankfurt I increasingly develop interdisciplinary research in cooperation with experts in the reconstruction of paleoclimate and Earth surface dynamics, with the goal of understanding the effects of climate change and mountain building on biodiversity dynamics.
Since 2021 Professor for Geobiodiversity Resarch at the Institut für Geowissenschaften, Fachbereich Geowissenschaften / Geographie, Goethe-Universität Frankfurt; Leibniz Professorship in cooperation with Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
2014-2021 Emmy Noether research group leader, Senckenberg Biodiversity and Climate Research Centre & Fachbereich Biowissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt
2011-2014 Postdoctoral researcher, Biodiversity and Climate Research Centre (BiK-F) & Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt, Germany
2009-2011 Postdoctoral researcher, Center for Macroecology, Evolution and Climate, University of Copenhagen, Denmark
2009 PhD degree, Imperial College London, UK. Thesis „Comparative analyses of extinction risk in vertebrates”
2006-2009 Marie Curie Early-Stage Researcher at Imperial College London. EU FP6 project „HOTSPOTS – Understanding and conserving the Earth’s biodiversity hotspots”
1999-2005 Diplom in Biology, Eberhard Karls University Tübingen, Germany
ist Postdoktoranden- Stipendiatin der Alexander von Humboldt- Stiftung am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und interessiert sich für die Prozesse, die Biodiversität erzeugen und erhalten. Sie forscht interdisziplinär an Datensätzen aus der Ökologie und Biogeografie, molekularen Stammbäumen und dem Fossilbericht von Säugetieren, Muscheln und parasitischen Organismen, um allgemeingültige biologische Prinzipien über verschiedene Studienorganismen hinweg zu identifizieren.
I am interested in understanding broad-scale biodiversity dynamics, in space and time, particularly the dramatic temporal and spatial variation in different aspects of biodiversity. I investigate the processes underlying biodiversity patterns, with an emphasis on the role of history in shaping global and regional biota, including evolutionary history of the organisms and historical environmental transitions (e.g. landscape evolution and paleoclimate change).
I take an interdisciplinary approach to research by synthesising large datasets from ecology, evolution, palaeontology, geoscience, etc. I also integrate knowledge from studying various organismal systems, including terrestrial mammals, marine bivalves, and parasites.
Funded by a DFG Eigene Stelle grant, my current work combines cross-continent paleontological and neontological data of terrestrial large mammals to investigate the macroevolution of body size in relation to ecological functions and environmental transitions.
2012 PhD University of Georgia, USA
2006 MSc Imperial College London, UK
Post-PhD Positions
2015-2019 Alexander von Humboldt Postdoctoral Fellow, Senckenberg Biodiversity & Climate Research Centre, Germany
2012-2005 Postdoctoral scholar, University of Chicago, USA
Song, H., Huang, S., Jia, E., Dai, X., Wignall, P. B., Dunhill, A. M., (2020). “Flat latitudinal diversity gradient caused by the Permo-Triassic mass extinction”. Proceedings of the National Academy of Sciences USA. URL: https: //doi.org/10.1073/pnas.1918953117.
Teitelbaum, C. S., Amoroso, C. R., Huang, S., Davies, T. J., Rushmore, J., Drake, J. M., Stephens, P. R., Byers, J. E., Majewska, A. A., Nunn, C. L., (2020). “A comparison of diversity estimators applied to a database of host- parasite associations”. Ecography. URL: https://doi.org/10.1111/ecog.05143.
Huang, S., Meijers, M. J., Eyres, A., Mulch, A., Fritz, S. A., (2019). “Unravelling the history of biodiversity in moun- tain ranges through integrating geology and biogeography”. Journal of Biogeography 46.8, pp. 1777–1791. URL: https://doi.org/10.1111/jbi.13622.
Edie, S. M., Huang, S., Collins, K. S., Roy, K., Jablonski, D., (2018). “Loss of biodiversity dimensions through shifting climates and ancient mass extinctions”. Integrative and Comparative Biology 58.6, pp. 1179–1190. URL: https: //doi.org/10.1093/icb/icy111.
Huang, S., Eronen, J. T., Janis, C. M., Saarinen, J. J., Silvestro, D., Fritz, S. A., (2017). “Mammal body size evolution in North America and Europe over 20 Myr: similar trends generated by different processes”. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 284, p. 20162361. URL: https://doi.org/10.1098/rspb.2016.2361.