Stockfoto Wolf

Streitfall Wolf

Seitdem sich im Jahr 2000 erstmals wieder ein Wolfsrudel in Deutschland etabliert hat, ist der Bestand auf über 100 Rudel angewachsen. Den damit verbundenen Herausforderungen soll ein Wolfsmanagement des Bundes und der Länder begegnen, für das Senckenberg-Wissenschaftler*innen an mehreren Standorten präzise Daten, etwa zu Wanderwegen, Rudelstrukturen und Ernährungsgewohnheiten der Wölfe, erheben. Damit helfen sie auch, Wahrheit, Spekulation und Märchen zu trennen und eine sachliche Grundlage für öffentliche und politische Diskussionen zu schaffen.

Genetische Untersuchungen zu Herkunft, Verwandtschaft und Ernährungsweise

Jährlich werden am Senckenberg-Standort Geln-hausen mehr als 3000 DNA-Proben von Wölfen im Auftrag der Bundesländer analysiert. Die winzigen Mengen Erbsubstanz aus Wolfskot, Haaren oder Speichelresten an gerissenen Beutetieren haben den Forschern bereits einiges verraten: Genetische Ähnlichkeitsvergleiche zeigen, dass die deutschen Wölfe aus dem polnischen Masuren stammen und sich schnell über Deutschland ausgebreitet haben. Dabei verhalten sie sich nicht anders als Wölfe in Wildnisgebieten, auch die Rudelgröße und -zusammensetzung ähnelt denen anderer Regionen. Wie etwa in Skandinavien finden wir nur eine sehr geringe Vermischung (Hybridisierung) mit Haushunden. Wölfe kommen mit unserer umgestalteten Kulturlandschaft gut zurecht und bilden – trotz hoher menschlicher Besiedlungsdichte – für die Art typische Populationsstrukturen aus.

Das Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz untersucht gesammelten Wolfskot auf die darin enthaltenen Nahrungsbestandteile. Die Analyse von über 8000 Kotproben zeigt, dass sich die Wölfe in Deutschland ganz überwiegend – 94 % der gefressenen Biomasse – von wildlebenden Huftieren ernähren: vor allem von Rehen und Wildschweinen, aber auch von Rot- und Damhirschen. Alle weiteren Nahrungsbestandteile – und eben auch Haustiere – spielen eine untergeordnete Rolle. Um Daten zu der viel diskutierten Problematik zu generieren, ob und wie die Wölfe die Wildbestände beeinflussen, werden aber auch die gerissenen Beutetiere im Hinblick auf Geschlecht, Alter und körperlichen Zustand untersucht. 

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Eine zentrale Beratungsstelle Wolf bei Senckenberg – Die DBBW

Diese Forschungsdaten wie auch die Monitoringergebnisse zu Verbreitung, Anzahl und Vermeh-rung der Wölfe waren bis vor Kurzem nicht allgemein verfügbar, sondern wurden in den einzelnen Bundesländern separat erhoben. Nachdem die Länder um fachliche Unterstützung gebeten hatten, veranlasste das Bundesamt für Naturschutz 2016 die Entwicklung einer „Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf“ (DBBW). Die Hauptaufgabe der DBBW besteht darin, die Behörden mit aktuellen Informationen zur Situation der Wölfe in Deutschland zu versorgen und sie wissenschaftlich und praktisch in Fragen des Wolfsmanagements zu beraten. Darüber hinaus stellt die DBBW für Medien und Öffentlichkeit umfassende Informationen zu Wolfsvorkommen und zum Wolfsmanagement in Deutsch-land auf ihrer frei zugänglichen Internetseite zur Verfügung (www.dbb-wolf.de).

Die DBBW wird unter der Führung der Sencken-berg Gesellschaft für Naturforschung von einem Konsortium aus vier wissenschaftlichen Institutionen getragen, denen neben den Senckenberg-Standorten Görlitz (Leitung) und Gelnhausen das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) Berlin sowie das LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland angehören. Die DBBW sammelt die von den Naturschutzbehörden der Bundesländer übermittelten Informationen zu Wolfsvorkommen, Schadensfällen, einschließlich Kompensations- und Präventionszahlungen, sowie zur Anzahl tot aufgefundener Wölfe nebst Todesursachen, bewertet sie fachlich und bereitet sie für die Dokumentation auf.

Schützen oder Schießen? Fachliche Empfehlungen der DBBW

Die Beratung der Naturschutzbehörden durch die DBBW reicht von der Interpretation von Wolfshinweisen bis zu Empfehlungen im Umgang mit möglichen Wolf-Hund-Mischlingen oder auffälligen Wölfen. Ein Beispiel dafür ist der Wolf MT6 aus Niedersachsen, der als „Problemwolf Kurti“ öffentliche Aufmerksamkeit erregte. Nachdem die zunächst vorgeschlagene „negative Konditionierung“ fehlschlug, empfahl die DBBW die Tötung des Tieres. Auch solche Entscheidungen sind mitunter notwendig, um Konflikten zu begegnen und die Akzeptanz von Wölfen nicht zu gefährden.

Nahrungszusammensetzung von Wölfen in Deutschland (n = 8781 Losungen // n = 8781 Losungen)
Rehe 50,9%
Wildschweine 20,3%
Damwild 5,9%
Muffelwild 0,4%
unbestimmte Hirschartige 3,5%
Hasenartige 3,2%
Nutztiere 1,6%
mittelgroße Säuger 0,8%
Kleinsäuger 0,1%
unbestimmte Säuger 0,1%
Wildvögel +
Fische +
Früchte 0,1%

Autoren

Hermann Ansorge
Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Ansorge
ist als Leiter der Abteilung Zoologie am Standort Görlitz tätig. Seit 1997 lehrt er an der Hochschule Zittau/Görlitz und seit 2008 am Internationalen Hochschulinstitut Zittau der TU Dresden. Darüber hinaus ist er an der National University of Mongolia in Forschung und Lehre eingebunden. Sein Interesse gilt der Populationsökologie, Populationsgenetik und Ernährungsökologie von Säugetieren.

Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Ansorge

Diplombiologe
Geboren 1955 in Halle/Saale

1975-1980: Studium der Biologie – Terrestrischen Ökologie an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg (Diplom zum Thema “Ökologische Untersuchungen an Singvögeln im Rauchschadensgebiet Dübener Heide”)

1980-1985: Wissenschaftlicher Assistent am Staatlichen Museum für Naturkunde Görlitz

1985: Berufung zum Kustos für Wirbeltiere am Staatlichen Museum für Naturkunde Görlitz

1990: Promotion am Fachbereich Biologie der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg (“Zur intraspezifischen Variabilität des Rotfuchses Vulpes vulpes (Linné, 1758) in der Oberlausitz”)

1990-2005: Oberkonservator und Bereichsleiter Allgemeine Zoologie am Staatlichen Museum für Naturkunde Görlitz

Seit 1997: Lehrtätigkeit an der Hochschule Zittau/Görlitz im Studiengang „Ökologie und Umweltschutz“

2004: Lehrtätigkeit als Senior Fellow am Collegium Pontes 2004 Görlitz-Breslau-Prag (Population Biology)

Seit 2005: Honorarprofessor für Ökologie und Phylogenie der Wirbeltiere an der Hochschule Zittau/Görlitz

2005-2008: Hauptkonservator am Staatlichen Museum für Naturkunde Görlitz

2005-2008: Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Säugetierkunde e.V.

Seit 2008: Lehrtätigkeit am Internationalen Hochschulinstitut (IHI) Zittau im Studiengang „Biotechnologie und Angewandte Ökologie“

Seit 2009: Abteilungsleiter Zoologie am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz

2009-2016: Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Säugetierkunde e.V.

Seit 2014: Lehrtätigkeit an der TU Dresden / IHI Zittau / Senckenberg Görlitz im Studiengang „Biodiversity and Collection Management“

2015: Ehrendoktor (Dr. h.c.) der National University of Mongolia Ulaanbaatar

Seit 2016: Professor für Spezielle Zoologie (Wirbeltiere) an der TU Dresden

Geländearbeit, Akademische Lehre und Forschungsaufenthalte vor allem in der Mongolei (1978, 1982, 2002 und seit 2005 jährlich Expeditionen, Summer Schools und Hochschulpartnerschaften)

Seit 2021: Ehrenamtlicher Mitarbeiter am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz

Mitarbeiterfoto
Dr. Carsten Nowak
hat in Frankfurt promoviert und leitet nach einem Forschungsaufenthalt an der University of Notre Dame, USA, seit 2008 das Fachgebiet Naturschutzgenetik am Standort Gelnhausen. Als bundesweit einmaliges Zentrum für wildtiergenetische Untersuchungen wird dort die Wiederbesiedlung unserer Kulturlandschaft durch Luchs, Wolf, Wildkatze und weitere geschützte Arten erforscht.

Mich faszinieren die Möglichkeiten, die molekulare Methoden im Natur- und Artenschutz bieten. Naturschutz leidet oft an einer unbefriedigenden Datengrundlage, was das Ergreifen effizienter und zielgerichteter Schutzmaßnahmen erschwert. Genetische Methoden können zahlreiche bislang unbeantwortete Fragen klären, die etwa Inzucht und genetische Verarmung oder die Herkunft von Populationen betreffen. Des weiteren beschäftige ich mich seit längerer Zeit mit den Effekten anthropogener Umweltveränderungen auf die fundamentale Ebene der Biodiversität, die genetische Vielfalt innerhalb und zwischen Arten.

Interessensgebiete:

    * Bedeutung von genetischer Diversität für die Überlebensfähigkeit von Populationen
    * Artenschutzgenetik mit Schwerpunkt Invertebraten
    * Einsatz genetischer Methoden im Monitoring (Neozoen, kryptische Arten)
    * Interspezifische Hybridisierung bei Insekten
    * Biologie und Ökologie aquatischer Neozoen

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