Wie wäre es eigentlich, im Museum einen Dinosaurier auszugraben? Vor den Augen der Museumsbesucher*innen? Einen echten, 70 Millionen Jahre alten Edmontosaurus! Und die Forschungsergebnisse würden dann umgehend für die Ausstellung aufbereitet, mit allen modernen Möglichkeiten. Eine verrückte Idee? „Warum eigentlich nicht“ dachten sich ein paar Fossilienbegeisterte und legten los.
Wie alles begann …
Im Frühjahr 2018 kam erstmals eine Arbeitsgruppe Gleichgesinnter zusammen, um diesen kühnen Plan zu schmieden. Wo bekommt man so eine Grabungsfläche her? Schnell fiel die Wahl auf die berühmte Lance Fossil Area im Osten des US-Bundesstaates Wyoming. In den Sedimenten der Lance-Formation sind seit mehr als 100 Jahren zahlreiche Dinosaurierskelette und Einzelknochen gefunden worden, darunter auch spektakuläre Funde wie die Mumie unseres Entenschnabeldinosauriers „Edmond“ – ein Glanzstück in der Ausstellung des Senckenberg Naturmuseums.
Ein Gesteinsblock mit Dinoknochen nach Frankfurt verschiffen
So spektakulär viele der historischen Funde sind, so wenig war uns über die Fundumstände, aber auch über die Umwelt dieser Lebewesen vor knapp 70 Millionen Jahren mitten im Westen der USA bekannt. Wir fassten einen Plan, der vorsah, einen sehr großen Block von der Fundstätte in Wyoming nach Frankfurt zu transportieren und erst dort freizupräparieren. Sozusagen eine öffentliche Dinograbung im Senckenberg-Museum! Damit könnten wir unseren Besucher*innen die Erfahrung paläontologischer Geländearbeit näherbringen und gleichzeitig die modernsten Methoden geowissenschaftlicher Forschung an dem Projekt erläutern. Einfach großartig! Und für diese geniale Idee konnten wir dann auch begeisterte Mitstreiter*innen gewinnen. Finanziell unterstützt durch die Lipoid Stiftung feilten wir in Zusammenarbeit mit National Geographic und dem Frankfurter Kunstverein das Konzept aus. Unsere Überlegungen mündeten dann in mehreren Geländekampagnen in den USA.
Voruntersuchungen mit allen Disziplinen
Bereits im Sommer 2018 fanden erste Prospektionen statt, um den besten Ort für die bevorstehende Grabung auszukundschaften. Dabei stellte sich heraus, dass die beste verfügbare Fundstelle ein sogenanntes Bonebed, eine Lage mit unzähligen, isolierten Dinosaurierknochen, in Niobrara County, Wyoming ist. Zurück in Frankfurt teilten wir die während der Prospektion gesammelten Proben auf die beteiligten Wissenschaftler*innen am Senckenberg, an der Goethe-Universität Frankfurt und der Eberhard Karls Universität Tübingen auf. Jede*r Forscher*in ging einer anderen Fragestellung nach: Sei es die Herkunft der kleinen Bernsteine im Sediment, die Untersuchung der Holzkohle oder die Geochemie des Zahnschmelzes von Edmontosaurus.
Der Ort der Grabung
Bergung mit Kettensäge und Gabelstapler
Das eigentliche Ziel der Grabungen war aber die Bergung eines riesigen Blockes voller Dinosaurierknochen mit einer Grundfläche von rund 20 Quadratmetern, der in palettengroße Stücke zersägt und nach Frankfurt transportiert werden sollte. Im Juni 2019 war es soweit. Die Vorbereitungen im einsamsten County des bevölkerungsärmsten Bundesstaates der USA wurden getroffen: Eine kleine Gruppe legte das Bonebed mit Baggern frei und organisierte alles Notwendige, damit im Juli 2019 ein 20-köpfiges Team bestehend aus Paläontolog*innen und Präparator*innen des Senckenberg Naturmuseums, des Wyoming Dinosaur Centers (siehe Exkurs unten) und der Sammlervereinigung Missing Link mit schwerem Gerät die Fläche dokumentieren, sichern und verladen konnte. Gleich zwei Container voller Gesteinsblöcke erreichten Frankfurt im folgenden Winter, um dort wieder zu einer zusammenhängenden Fläche montiert und schließlich in einem eigens errichteten Gebäude öffentlich freigelegt zu werden.
Graben unter Laborbedingungen …
Neben dem Ziel, unseren Museumsbesucher*innen eine Dinosauriergrabung so authentisch wie nur möglich zu präsentieren, wollen die Forscher*innen das Ökosystem vor fast 70 Millionen Jahren rekonstruieren, es verstehen und die Bildung des Bonebeds klären.
Denn Graben bedeutet immer auch, Zusammenhänge zu zerstören. Eine Grabung ist immer von den Rahmenbedingungen – zum Beispiel von Temperatur oder Infrastruktur – abhängig. Weit draußen in der Einöde Wyomings, bei Temperaturen von 40 Grad Celsius und von Moskitoschwärmen verfolgt sind die Arbeitsbedingungen deutlich schwieriger als in einem Forschungsinstitut in Frankfurt. Insbesondere kleine Funde können beim Freilegen von Knochen im Gelände schnell verlorengehen, wie zum Beispiel die seltenen Zähne von Säugetieren.
… mit 3D-Scanner und Druckluftstichel
Am Forschungsinstitut können wir auf die erforderliche Infrastruktur zurückgreifen. Druckluftstichel bieten gegenüber Hammer und Meißel im Gelände Vorteile beim Freilegen der mitunter fragilen Knochen. Auch die Position beziehungsweise Ausrichtung einzelner Funde, aus der wir die Fließrichtung fossiler Flüsse rekonstruieren können, lässt sich „unter Laborbedingungen“ mittels moderner 3D-Scanner einfacher und genauer dokumentieren.
Exkurs
Museum der besonderen Art
Das Wyoming Dinosaur Center geht auf die private Initiative seines Gründers Dr. Burkhard Pohl zurück. Die Liebe zu Fossilien brachte ihn dazu, 1995 in Thermopolis ein Museum einzurichten und Ausgrabungen für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Noch mehr: Besucher*innen des Dinosaur Centers haben die Möglichkeit, aktiv nach Fossilien zu graben. Mehr als 10000 Knochen legte das Team um den begeisterten Fossiliensammler in den letzten 25 Jahren frei. Burkhard Pohl hat es uns vorgemacht und war als Ideengeber von Anfang an dabei. Es war also nur ein „kleiner Schritt“ zu unserem Vorhaben, denn es ist ein Glücksfall für Senckenberg, auf seine Expertise, die Erfahrung seines Teams bei Bergung und Präparation der Knochen sowie die logistische Unterstützung bei Grabung und Transport zurückgreifen zu können – was wesentlich zum Gelingen unseres Edmontosaurus-Projekts beigetragen hat.
Die Dinosaurier-Grabung in Wyoming in Bild und Ton zu dokumentieren, war eine Herausforderung für sich. Unsere Arbeit als freiberufliche Bildjournalisten bringt uns immer wieder an neue, spannende Orte, aber dieses Szenario war für uns beide neu. Zu jener Zeit wussten wir sehr wenig über Dinosaurier, Gesteine oder die Kreidezeit. Bereits an unserem ersten Tag kam Jonas vollends auf seine Kosten, als er die Anfahrt durch die Great Plains zur Grabungsstelle zum ersten Mal meistern durfte. Dort angekommen prasselte das für eine Woche andauernde Faktenfeuerwerk der Paläontolog*innen und Geolog*innen auf uns ein, brachte unsere Köpfe immer wieder zum Qualmen – und von der anfänglichen Unwissenheit war schon bald kein Rede mehr. Dann hieß es, sich den ortspezifischen Herausforderungen zu stellen: fehlendem Schatten, unaufhörlichen Moskitoattacken oder auch dem Kampf gegen den rund 70 Millionen Jahre alten Staub, der unser Equipment wieder und wieder einhüllte. Doch was sind diese Schwierigkeiten verglichen mit den großartigen Erlebnissen dort draußen? Gleich bei unserer ersten Prospektierung stießen wir direkt auf Dinosaurierknochen. Ab diesem Moment war uns klar, dass uns ein unvergesslicher Field Trip bevorstand.
Eindrücke und Erlebnisse wie dieses ebbten während der Geländekampagne, in den Dinosauriermuseen von Black Hills und Thermopolis sowie bei zahlreichen Interviews mit Grabungsbeteiligten und erfahrenen Dinosaurier-Jäger*innen wie Pete Larson nie ab – ebensowenig die Informationsflut. Fazit: Eine extrem produktive und lehrreiche Woche ging wie im Flug vorüber, die Aufnahmen sind im Kasten. Und wir können es kaum erwarten, das Team wieder bei seinen Grabungen zu begleiten.