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Bevor es LOEWE-TBG gab, arbeiteten bei Senckenberg nur wenige Forscher*innen mit dem Erbgut von Organismen.

Drei Jahre LOEWE-TBG

Neuer Stammbaum der Arten


Zahlreiche genetische Codes sequenziert, Marktchancen analysiert und bisher drei Professuren generiert – eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.

Translationale Biodiversitäts-Genomik ist nach drei Jahren immer noch ein Zungenbrecher, aber das LOEWE-Zentrum hat sich in Senckenberg erfolgreich etabliert und vernetzt sich zusehends. Die Idee, den genetischen Code aller Lebewesen zu entschlüsseln und nutzbar zu machen, steckt in dem langen Namen und ist Programm von LOEWE-TBG. Nach spannenden und international sichtbaren Ergebnissen, die wir zusammen mit den Partnern Goethe-Universität, Justus-Liebig-Universität und dem Fraunhofer IME erzielt haben, steht 2021 im Zeichen der Beantragung der zweiten Förderphase. 

Bevor es LOEWE-TBG gab, arbeiteten bei Senckenberg nur wenige Forscher*innen mit dem Erbgut von Organismen, genauer gesagt mit der Analyse vollständiger Genome (s. Infobox). Eines der ersten Genome, das bei Senckenberg sequenziert wurde, war 2012 das eines Braunbären. Weitere Genome von Säugetieren, Ameisen, Mücken, Pilzen und Flechten folgten. Schnell war klar, dass die Biodiversitätsforschung in Zukunft auf dieses neuartige Werkzeug setzen wird. Durch die rasante Entwicklung der Methoden und den beispiellosen Preisverfall sahen wir vor wenigen Jahren die Möglichkeit, diesem Bedarf mit einer strukturbildenden Forschungsinitiative gerecht zu werden.

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Blick ins Labor von LOEWE-TBG. Das neu geschaffene Forschungszentrum verfolgt ein großes Ziel: das Erbgut von Arten aus allen Bereichen im Stammbaum des Lebens zu bestimmen.

Das Genom

Der Bauplan eines Organismus, das Genom, enthält die gesamte Erbinformation, die in Form von Chromosomen organisiert ist. Ein Genom ist allen Lebewesen gemein, seine konkrete Sequenz aber ist letztendlich für jedes Individuum einzigartig. Die Größe der Genome schwankt bei Vielzellern stark: von wenigen zehn Millionen Basenpaaren zum Beispiel bei Pilzen bis zu mehreren Dutzend Milliarden bei Lungenfischen. Beim Menschen und anderen Säugetieren ist das Genom riesig: drei Milliarden Buchstaben:

A – T – C – G (Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin), die für die vier Aminosäuren stehen, aus denen die Nukleotide der DNA gebildet werden. Diese Menge an Buchstaben könnten 12 000 000 Seiten eines typischen Romans füllen, oder 60 000 Bände. Erstaunlicherweise ist die Anzahl der im Genom codierten Gene für die meisten Vielzeller aber sehr ähnlich; und liegt etwa zwischen 13 000 und 25 000, egal ob Fruchtfliege oder Mensch. Dieser Flut an Information Herr zu werden und sie sinnvoll interpretieren zu können, ist Aufgabe der Genomik.

Bis vor wenigen Jahren kannten wir nur das Genom des Menschen. Inzwischen konnten wir alleine bei LOEWE-TBG die Genome von 267 Arten entschlüsseln. Diese rasante Entwicklung wurde durch den Fortschritt in der DNA-Sequenzierungs und Computertechnologie möglich.

Drei neue Professoren

Mit der LOEWE-TBG-Förderung konnten 2020 drei neue Kooperations-Professuren für Biodiversitätsgenomik zwischen Senckenberg und der Goethe-Universität sowie der Justus-Liebig-Universität Gießen eingerichtet werden. Die neuen Arbeitsgruppen werden LOEWE-TBG insbesondere in der zweiten Phase prägen.

Prof Dr. Michael Hiller kommt aus der Max-Planck-Gesellschaft und leitet nun den Projektbereich Vergleichende Genomik am TBG, Senckenberg und der Goethe-Universität. Sein Hauptinteresse besteht darin, die genomischen Grundlagen von phänotypischen Unterschieden zu verstehen. Er ist unter anderem an einem Projekt beteiligt, das die Sequenzierung der Genome aller Flederm.use zum Ziel hat.
Prof. Dr. Miklós Bálint ist zum Professor für Funktionale Umweltgenomik an der Justus-Liebig-Universität Gießen und am LOEWE-TBG berufen. Er ist Ökologe und erforscht mit genomischen Methoden die Zusammensetzung ökologischer Gemeinschaften. Am LOEWE-TBG etabliert er zusammen mit Senckenberg Görlitz 600 Genome von Bodenlebewesen, um Genomik und Metagenomik in die funktionale Ökologie zu integrieren.
Prof. Dr. Eric Helfrich war an der Harvard Medical School in Boston und ist als Professor für LOEWE-TBG im Bereich Explorative Naturstoffgenomik an die Goethe-Universität berufen worden. Er befasst sich mit der Identifizierung von Naturstoffen, die antibiotisch oder antitumoral wirken könnten. Dazu entwickelt er Algorithmen, um Genome nach den Stoffwechselwegen zur Herstellung von bioaktiven Substanzen zu durchsuchen.

Den Gencode aller Lebewesen bestimmen

Wir sind Partner des Earth-Bio-Genome-Projekts und arbeiten an nichts Geringerem, als die gesamte Erbinformation aller Lebewesen, die auf der Erde leben, zu sequenzieren und in Datenbanken zu archivieren. Profitieren werden davon nicht nur die Umweltwissenschaften und der Artenschutz, sondern insbesondere auch die Medizin und Pharmazie.

Über die Genomprojekte von Bären, Blauwalen, Giraffen, Pilzen und Flechten haben wir in dieser Zeitschrift und anderen populärwissenschaftlichen Publikationen schon mehrfach berichtet. Im Zentrum unserer Bemühungen stehen allerdings auch Tierstämme, von denen es keine oder nur wenig genetische Information gibt und die selbst unter Biologen weniger bekannt sind. Einige dieser Exoten gehen sogar auf die Kambrische Explosion vor rund 540 Millionen Jahren zurück. Schnurwürmer zum Beispiel – von denen eine Art mit bis zu 30 Meter langen Exemplaren aufwartet – sind nur unter wenigen Expert*innen bekannt.

Neurotoxine aus Schnurwürmern

Allerdings sind diese urtümlichen Würmer seit einiger Zeit in die Diskussion gekommen: Sie produzieren neuroaktive Substanzen, sogenannte Neurotoxine, die in Arzneimitteln gegen Alzheimer und Schizophrenie eingesetzt werden könnten. Dr. Maria Nilsson (Senckenberg Frankfurt) und Dr. Björn von Reumont (Justus-Liebig-Universität Gießen) entschlüsselten unter anderem das Genom eines in Deutschland beheimaten Schnurwurms und bestimmten dessen bislang unbekannte Neurotoxine (von Reumont et al. 2020). In Zusammenarbeit mit dem Evolutionsbiologen Prof. Dr. Thomas Bartolomaeus von der Universität Bonn ist es uns gelungen, die Genome von drei weiteren Arten dieser nahezu unbekannten Tiergruppe erstmals zu sequenzieren.

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Die TBG-Pyramide veranschaulicht, dass die genomische Variation in den Erbanlagen und deren Produkte Grundlage aller Biodiversität (Arten) darstellt und im Zusammenspiel mit der Umwelt die Ausprägung der Ökosysteme bestimmt.

Siamesischer Kampffisch in acht Wochen

Das Forschungsfeld Genomik schreitet rasant voran. Vor zwanzig Jahren ist in internationaler Anstrengung das Genom des Menschen vollständig sequenziert worden. Das „Human Genome Project“ kostete viele Milliarden Euro und brauchte ein Jahrzehnt zur Vollendung. Dank unserer Expertise und der vom LOEWE-TBG neu geschaffenen Infrastruktur mit Labor- und Rechenzentrum schaffen wir solche Aufgaben heute erheblich schneller: Mit zehn Student*innen eines Master-Kurses gelang es uns zum Beispiel, ein Wirbeltiergenom in nur acht Wochen zum ersten Mal komplett zu sequenzieren (Prost et al. 2020). 

Es ist uns ein Anliegen, bei LOEWE-TBG junge, angehende Forscher*innen mit dieser revolutionierenden Technik vertraut zu machen. Als Erstes sequenzierten wir das Genom des Siamesischen Kampffisches. Diese Art ist nicht nur bei Aquarianern wegen ihrer Farbenpracht beliebt, sondern zudem ein Modellorganismus in der Verhaltensforschung. Es folgten die Genome des Gestreiften Leierfischs und des Großen Sandaals. Beide Arten sind für die Fischerei von Bedeutung, und ihr Bestand, ihre Diversität und andere Fragen lassen sich nun mithilfe genomischer Methoden erforschen.

Erbinformation von Holotypen

Ein weiteres wichtiges Feld, in dem LOEWE-TBG sich bei Senckenberg einbringt, ist die genomische Sequenzierung von Holotypen. Die Beschreibung und Einordnung von Arten, die Taxonomie, ist eine Kernaufgabe von Senckenberg. Neue Arten wurden bislang, neben der Beschreibung der Morphologie, nur durch die Hinterlegung eines namengebenden Exemplars – des Holotypen – in der wissenschaftlichen Literatur dokumentiert, das Belegexemplar in den Sammlungen verwahrt. LOEWE-TBG ermöglicht es, die gesamte Erbinformation dieser einmaligen Holotypen zu sequenzieren. Die erste Art, deren Holotyp wir in Zusammenarbeit mit dem Senckenberg-Herpetologen Dr. Gunther Köhler sequenziert haben, ist eine neu beschriebene Schlangenart aus Myanmar (Köhler et al. 2020).

Anwendungspotenziale und Marktchancen

Um unsere Forschungsergebnisse und deren Anwendungsmöglichkeiten in die                (Fach-)Öffentlichkeit zu tragen, haben wir eine eigene Arbeitsgruppe für Transferaktivitäten etabliert Sie begleitet aber auch ausgewählte TBG-Projekte. Mit intelligenten Analysetools und Know-how identifiziert die Transferstelle von LOEWE-TBG mögliche Produkte dabei für den Markt und macht Wettbewerbs- und Schutzrechtanalysen. Auch diese Einrichtung ist ein strukturbildendes Element und unterscheidet LOEWE-TBG von anderen Genominitiativen.

Literatur

Antonelli, A., Kissling, W. D., Flantua, S. G. A., Bermudez, M. A., Mulch, A., Muellner-Riehl, A. N. M., Kreft, H., Lindner, H. P., Badgley, C., Fjeldsa, J., Fritz, S.A., Rahbek, C., Herman, F., Hooghiemstra, H. & Hoorn, C. (2018): Geological and climatic determinants of mountain biodiversity. – nature geoscience, 11, 718–725.

Favre, A., P.ckert, M., Pauls, S. U., J.hnig, S. C., Uhl, D., Michalak, I., Muellner-Riehl, A. N. M. (2015): The role of the uplift of the Qinghai-Tibetan Plateau for the evolution of Tibetan biotas. – Biological Reviews, 90, 236–253.

Mosbrugger, V., Favre, A., Muellner-Riehl, A. N. M., P.ckert, M. & Mulch, A. (2018): Cenozoic evolution of Geo-Biodiversity in the Tibeto-Himalayan region. In: Mountains, Climate and Biodiversity, Hoorn, C., Perrigo, A. & Antonelli, A. (Hrsg.), Wiley, 429–448.

Rahbek, C., Borregaard, M. K., Colwell, R. K., Dalsgaard, B., Holt, B. G., Morueta-Holme, N., Nogues-Bravo, D., Whittaker, R. J. & Fjelds., J. (2019): Humboldt’s enigma: What causes global patterns of mountain biodiversity? – Science, 365, 1108–1113.

Schneider, J. V., Negraschis, V., Habersetzer, J., Rabenstein, R., Wesenberg, J., Wesche, K. & Zizka, G. (2018): Taxonomic diversity masks leaf vein–climate relationships: lessons from herbarium collections across a latitudinal rainfall gradient in West Africa. – Botany Letters, 165 (3–4), 384-395.

Uhl, D. & Mosbrugger, V. (1999): Leaf venation density as a climate and environmental proxy: a critical review and new data. – Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, 149, 15–26.

Die Autoren

Prof. Dr. Axel Janke kam 2010 als Professor für Genetik von der Universität Lund an das SBiK-F und die Frankfurter Goethe-Universität. Sein Haupttätigkeitsfeld ist die Genomik. Seit 2012 arbeitet er mit der Giraffe Conservation Foundation unter anderem über die Genomik der Giraffen. Seit 2017 ist er Sprecher von LOEWE-TBG.
Prof. Dr. Markus Pfenninger leitet am SBiK-F die Arbeitsgruppe „Molekulare Ökologie“ und das Laborzentrum. Sein wissenschaftliches Interesse gilt Mechanismen und Möglichkeiten sehr schneller evolutionärer Anpassung. Weiter forscht er als Professor am Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie der Universität Mainz.
Prof. Dr. Steffen Pauls ist Evolutionsbiologe und Gewässerökologe. Er erforscht die Evolution und Populationsgenetik/-genomik von Wasserinsekten, um deren Arten- und Funktionsvielfalt vor allem in Hochgebirgsbächen zu verstehen. Er leitet bei Senckenberg die Abteilung Terrestrische Zoologie und ist Ko-Sprecher von LOEWE-TBG.