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Die Bestände großer fruchtfressender Vögel wie des Blautukans (Andigena hypoglauca) sind bedroht. Ihr Rückgang hat zudem Auswirkungen auf das Klima, denn sie sind für die Verjüngung artenreicher Tropenwälder essenziell.

Zusammenführen, was zusammengehört

Der Name ist Programm, am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum


Spätestens seit der weltweiten Bestandsaufnahme der biologischen Vielfalt durch den Weltbiodiversitätsrat im Jahr 2019 ist offenkundig: Neben dem Klimawandel hat das Artensterbens ein dramatisches Ausmaß angenommen und zählt zu den größten Krisen der Gegenwart. Da biologische Vielfalt und Klima eng miteinander verbunden sind, ist es notwendig, beide Herausforderungen zusammen anzugehen – und disziplinenübergreifend zu erforschen.

Beide Krisen, sowohl Klimawandel als auch Biodiversitätsverlust, liegen darin begründet, dass die Menschen die Ressourcen der Natur übernutzen. Wie genau Ursachen und Folgen beider Krisen zusammenhängen, und wie effektive Maßnahmen zur Abhilfe oder Bewältigung gefunden werden können, wird jetzt auch vom Weltbiodiversitätsrat IPBES und vom Weltklimarat IPCC adressiert – im Dezember 2020 fand ein gemeinsamer Workshop beider Institutionen zum Thema „Spotlighting Interactions of the Science of Biodiversity and Climate Change“ statt. Basis für gute Politikberatung ist dabei, bestmögliches Wissen zu Biodiversität und Klima – und wie beides zusammenhängt – zur Verfügung zu stellen und Handlungsoptionen für Politik und Gesellschaft zu eröffnen.

Hier setzen die Aktivitäten unseres Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum an, denn die Wechselwirkungen von biologischer Vielfalt und Klima zu erforschen, ist seit der Gründung des Instituts im Jahr 2008 unser großes Ziel. Im Folgenden stellen wir eine Reihe von Forschungsergebnissen aus dem Jahr 2020 vor, die beispielhaft die Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Klima beleuchten. Auf ihrer Grundlage lassen sich Vorhersagen für zukünftige Entwicklungen treffen.

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01 Gewinner und Verlierer des Klimawandels aus Genen ableiten

Prof. Dr. Markus Pfenninger und sein Team wollen mit einem neuen Forschungsansatz (Waldvogel et al. 2020) schneller und für mehr Arten vorhersagen, welche Tiere und Pflanzen es schaffen können, sich an den Klimawandel anzupassen. Ihr Untersuchungsobjekt ist das Erbgut der Organismen. Die genomischen Analysen liefern Erkenntnisse darüber, welcher Spielraum einer Art zur Verfügung steht, sich genetisch an neue Umweltbedingungen anzupassen. Kombiniert man diese Informationen mit Daten zum Verbreitungspotenzial von Arten, lassen sich daraus ökoevolutionäre Vorhersagemodelle erstellen.

02 Klimawandel könnte asiatische Tropen ergrünen lassen

Zukunftsprojektionen für Regenwälder erstellt Dr. Simon Scheiter (Scheiter et al. 2020). Seine Simulationen zeigen, wie sich durch höhere Kohlenstoffdioxidwerte in der Luft die Vegetation der asiatischen Tropen bis 2100 verändern könnte. Demnach werden dort mehr immergrüne Pflanzen als bisher wachsen, laubabwerfende Vertreter gehen zurück und die Vegetation der Region wird in Zukunft höher sein. Durch potenziell 36 Prozent mehr oberirdische Biomasse könnte sich die Region damit zu einer globalen Kohlenstoffsenke entwickeln – sofern heutige Flächen mit natürlicher Vegetation nicht gerodet werden.

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03 Artensterben von großen Tieren in Regenwäldern hat Folgen für Baumnachwuchs

Dr. Isabel Donoso erforscht die Beziehungsnetzwerke von Arten in einem der größten Kohlenstoffspeicher der Erde – dem tropischen Regenwald. Gemeinsam mit ihren Koautor*innen konnten sie zeigen (Donoso et al. 2020), dass mit dem Verschwinden von nur zehn Prozent der größten Vogelarten die Leistungen dieser Tiere für das Ökosystem Regenwald (z. B. die Ausbreitung von Baumsamen) deutlich zurückgehen. Aller Voraussicht nach werden die Regenwälder der Zukunft also anders zusammengesetzt sein – und möglicherweise weniger Kohlenstoff speichern.

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04 Extreme Umweltbedingungen führen zu massiver Umverteilung der globalen Artenvielfalt

Heute herrscht die größte Artenvielfalt in den Tropen; gen Nord- und Südpol nimmt die Anzahl der Arten ab. Dies gilt allerdings nicht für den Zeitraum 252 bis 247 Millionen Jahre vor heute. Dr. Shan Huang konnte mithilfe von Fossilien zeigen (Song et al. 2020), dass die biologische Vielfalt damals gleichmäßiger über die Erde verteilt war; Ursachen waren extreme Umweltveränderungen und das darauffolgende Massenaussterben. Der Schluss liegt nahe, dass ein rasch fortschreitender Klimawandel die globale Verteilung der biologischen Vielfalt in Zukunft erneut maßgeblich verändern könnte.

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05 Gebietsfremde Arten nehmen bis 2050 rasant zu

Neben Klimawandel und Habitatzerstörung werden invasive Arten die biologische Vielfalt in Zukunft maßgeblich verändern. Dr. Hanno Seebens (Seebens et al. 2020) hat gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen die zukünftige Entwicklung gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten für die verschiedenen Kontinente modelliert. Demnach steigt deren Zahl weltweit bis zum Jahr 2050 um voraussichtlich 36 Prozent. Für Europa ist sogar eine relative Zunahme von 64 Prozent zu erwarten, mit voraussichtlich weitreichenden Folgen für die regionalen Beziehungsnetzwerke von Tier- und Pflanzenarten.

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06 Zugvögel: Klima bestimmt nur den Hinflug

Viele neuere Studien befassen sich damit, wie der Klimawandel das Wanderverhalten von Zugvögeln beeinflusst. Dr. Susanne Fritz und Dr. Alison Eyres (Eyres et al. 2020) zeigen, dass das Klima nicht der einzige Treiber des Vogelzugs ist. Bei ihrem Flug ins Winterquartier folgen Zugvögel zwar ihren klimatischen Vorlieben, beim Rückflug spielen hingegen klimaunabhängige Faktoren die wichtigere Rolle. Zum Schutz von Zugvögeln und zur Erhaltung ihrer Vielfalt ist es daher wichtig, die Veränderungen des Lebensraums in den Brutgebieten zu verstehen und nahrungsreiche Habitate zu erhalten.

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07 Klimaassoziierter Partnertausch in Symbiosen ist vorhersagbar

Symbiosen haben oftmals wichtige ökologische Funktionen. Dr. Gregor Rolshausen und Koautor*innen untersuchen (Rolshausen et al. 2020) den Anpassungskünstler Flechte. Das Erfolgsgeheimnis von Flechten ist es, einen ihrer beiden Partner austauschen zu können, um sich an klimatische Bedingungen anzupassen. Wann der Wechsel stattfindet, lässt sich bei der Flechtengattung Umbilicaria vorhersagen; und ist vor allem von der Temperatur abhängig. Die Forscher*innen wollen anhand der Ergebnisse besser vorhersagen, wie sich Symbiosen an den Klimawandel anpassen könnten.

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08 Klimawandel könnte zu Versorgungsengpässen bei exotischem Obst und Gemüse führen

„Der Klimawandel wird nicht nur die biologische Vielfalt, sondern auch unsere Ernährung beeinflussen“, so Dr. Thomas Kastner (Scheelbeek et al. 2020). Fast ein Drittel aller Obst- und Gemüseimporte des Vereinigten Königreichs stammt nämlich mittlerweile aus Ländern, deren Landwirtschaft unter den Auswirkungen des Klimawandels leidet. In Zukunft drohen daher Versorgungsengpässe und Preissteigerungen bei exotischem Obst und Gemüse. Die Schlussfolgerungen der Studie lassen sich auf ganz Westeuropa und damit auch auf Deutschland übertragen.

Diese Grundlagenforschung ist Basis für Politik- und Gesellschaftsberatung. So gingen die Forschungsergebnisse von Senckenberg BiK-F in mehrere Berichte des Weltbiodiversitätsrats ein. Auch beim ersten gemeinsamen Bericht des Weltbiodiversität- und Weltklimarats ist ein Kollege von Senckenberg BiK-F, Prof. Dr. Thomas Hickler, als Leitautor beteiligt und einer von 50 weltweit ausgewählten Expert*innen. Auch auf nationaler Ebene erzielt Senckenberg BiK-F politische Wirkung, zum Beispiel durch Mitwirkung an einer in der Presse viel zitierten Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der acatech und der Union der deutschen Akademien zum Thema „Biodiversität und Management von Agrarlandschaften“ (2020). Der gesellschaftliche und politische Wissensbedarf wirkt wiederum in die wissenschaftliche Forschung zurück. So zeigt das „Beispiel Senckenberg BiK-F“, dass nach Exzellenz strebende wissenschaftliche Grundlagenforschung und gesellschaftliche Relevanz zusammengehören können.

Literatur

Donoso, I. et al. (2020): Downsizing of animal communities triggers stronger functional than structural decay in seed-dispersal networks. – Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-020-15438-y

Eyres, A. et al. (2020): A tale of two seasons: The link between seasonal migration and climatic niches in passerine birds. – Ecology & Evolution, DOI: 10.1002/ece3.6729

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (2020): Biodiversität und Management von Agrarlandschaften – Umfassendes Handeln ist jetzt wichtig. Halle (Saale)

Rolshausen, G. et al. (2020): Expanding the mutualistic niche: parallel symbiont turnover along climatic gradients. – Proceedings of the Royal Society B, DOI: 10.1098/ rspb.2019.2311

Scheelbeek, P.F.D. et al. (2020): United Kingdom’s fruit and vegetable supply increasingly dependent on imports from climate-vulnerable producing countries. – Nature Food, DOI: 10.1038/ s43016-020-00179-4

Scheiter, S. et al. (2020): Climate change promotes transitions to tall evergreen vegetation in tropical Asia. – Global Change Biology, DOI: 10.1111/gcb.15217

Seebens, H. et al. (2020): Projecting the continental accumulation of alien species through to 2050. – Global Change Biology, doi:10.1111/gcb.15333

Song, H. et al. (2020): Flat latitudinal diversity gradient caused by the Permian– Triassic mass extinction. – Proceedings of the National Academy of Sciences, DOI: 10.1073/ pnas.1918953117

Waldvogel, A.‐M. et al. (2020): Evolutionary genomics can improve prediction of species’ responses to climate change. – Evolution Letters, DOI: 10.1002/evl3.154

Die Autorin

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese ist seit 2010 Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, darüber hinaus ist sie Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt, Vizepräsidentin der Leibniz-Gemeinschaft und Mitglied der Leopoldina. Seit 2013 wirkt sie im Direktorium der Senckenberg Gesellschaft und verantwortet hier den Bereich „Wissenschaft & Gesellschaft“.

Kontakt

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese
Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum
Senckenberganlage 25, D-60325 Frankfurt a.M.
katrin.boehning-gaese@Senckenberg.de